So war Bob Dylan in der Zitadelle Spandau in Berlin
Am Montag spielte Bob Dylan im Rahmen des Citadel Music Festivals in der Zitadelle Spandau in Berlin. Maik Brüggemeyer war natürlich vor Ort. Hier sein Nachbericht.
Bob Dylan sucht unsere Breiten mit größerer Beständigkeit auf als so mancher Zugvogel. Und die Freunde finden immer neue Ausreden, einen nicht mehr zu begleiten, wenn er kommt. Die Setlists seien langweilig geworden, sagen sie, die Songs nur noch ein von einer uninspirierten Band begleitetes Krächzen und überhaupt die Zitadelle in Spandau sei so weit draußen, auf die Berliner S-Bahn sei kein Verlass, man habe den Abend der Freundin versprochen und am nächsten Morgen müsse man früh raus. Man kommt fast selbst ins Grübeln und hadert: Wo ist noch mal Spandau und was macht eigentlich die Freundin so zur Zeit? Man fährt natürlich trotzdem hin. Ich jedenfalls. Denn mindestens ein Mal im Jahr sollte man sich davon überzeugen, dass es Bob Dylan noch gibt und wer er gerade ist. Vor gut einem Jahr war er Comic Bob, performte seine Texte mit irren Betonungen, linkischen Gesten und Hütchen. Er grummelte, lachte, schimpfte, brummte. Fast wie W. C. Fields.
Zunächst scheint es an diesem Abend in Berlin, er habe sich seitdem kaum verändert, trage immer noch dieselbe Maske, nur den Hut hat er abgelegt, dafür eine Sonnenbrille aufgesetzt. Wie neulich, als er vor Barack Obama trat, um eine Friedensmedaille vom Friedensnobelpreisträger entgegenzunehmen.
Zu Beginn steht Dylan an der Orgel, raspelt wie zuletzt fast immer zu beginn „Leopard-Skin Pill-Box Hat“. Dann wechselt er zur Gitarre, die er in der Hand hält, wie andere Männer seines Alters eine Heckenschere. Seltsam atonale Geräusche schallen aus den Lautsprechern. Im Publikum schaut man sich halb belustigt, halb peinlich berührt an. Als habe jemand einen Furz gelassen. „It ain’t me, babe“ singt Dylan. Gottseidank. Wir dachten schon. „Things Have Changed“ ist Comic Bob in Hochform. Jede Punchline klingt in Mundharmonikageorgel aus, „Tangled Up In Blue“ ist noch lustiger – mittlerweile vermutlich das komischste Roadmovie seit Homers „Odyssee“. „Cry A While“ misslingt dann leider, „She Belongs To Me“ gerät lieblich – das einzige Tribut ans Oldie-Publikum an diesem Abend, der noch gar nicht richtig begonnen hat, denn die Hauptattraktion kommt noch: der Flügel, der drei Tage zuvor zum ersten Mal auf der Bühne zum Einsatz kam.
Bob Dylan ist ja ein genialisch dilettantischer Klavierspieler (zur Untermauerung dieser These bitte „She’s Your Lover Now“, „Dirge“ „Blind Willie McTell“, „Angelina“ oder „Dignity“ hören). Oft nutzt er das Instrument, um synkopisch darauf herumzutapsen. So auch an diesem Abend. Er scheint sich erst zurechtfinden zu müssen auf den 88 Tasten, verspielt sich einige Male und findet über die Verspieler schließlich einen Rhythmus, dann sogar eine Melodie. Es sind unperfekte Momente wie diese, aus denen bei Dylan-Konzerten Großes entsteht. „Love Sick“ findet zu neuer majestätischer Pracht. „The Levee’s Gonna Break“ wird zum Boogie-Woogie und der Mann am Klavier gibt den Meade Lux Lewis. Für „High Water“ verlässt Dylan den Schemel für kurze Zeit, kehrt aber mitten im Song zurück. Er kann nicht lassen von seinem neuen Spielzeug, die Orgel, die er in den letzten Jahren oft malträtierte, steht verwaist in der Ecke. Gut so. Das Kindliche, Unberechenbare ist zurück in Dylans Spiel. In „Desolation Row“ finden seine Finger in jeder Strophe eine neue kleine Melodie, die er dann gesanglich aufnimmt. Aus dem langen Brief aus dem Trakt der Verzweifelten wird ein Epos in acht Gesängen. Mit „Highway 61 Revisited“ ist er back on Boogie Street. Seinen traurigsten Song, „Simple Twist Of Fate“, begleitet er lyrisch auf der Gitarre. Das ist so tränentreibend, dass selbst der Himmel nicht mehr an sich halten kann. „Thunder On The Mountain“ ist in den sechs Jahren seiner Existenz ein völlig neuer, viel besserer Song geworden. In „Like A Rolling Stone“ stoppt die Band nach einem kurzen Intro ab, um zu sehen, wo der Chef damit hinwill. Weiß der aber selbst nicht so genau. Für „All Along The Watchtower“ scheint er zumindest eine vage Idee zu haben. Der Furor ist gewichen, der Song wirkt brüchiger, transparenter. Mal sehen wie er klingt, wenn Bob Dylan nächstes Jahr zurückkommt. Ganz am Ende gibt es einen ganz neuen Song. Denkt man zumindest zunächst. Fiddle, Klavier, schöne Melodie, könnte ein Hit werden. Man hört auf den Text, was hat der Alte uns wohl zu sagen? „How many roads must a man walk down …“ An diesem Abend führt jede Straße irgendwie nach Spandau.