So viele Defizite
Zu Guttenberg ist der Darling der Republik – vor allem, weil die anderen so blass aussehen, meint Schauspieler Ullrich Matthes.
In Anne Wills Sendung gibt es oft unerträglichen Floskelsalat und selten Überraschungen. Er aber war eine: Theaterschauspieler Ullrich Matthes, dem Kinopublikum vor allem als Joseph Goebbels in „Der Untergang“ bekannt, überzeugte als Gast zum Thema Guttenberg durch sein Poltik-Wissen, seine präzise Sprache und kluge Analyse. Die Rolle des deutschen Politikstars beurteilte er kritisch. Der Rolling Stone hat nachgefragt.
Herr Matthes, wer war der politische Held Ihrer Jugend?
Für meine Generation beantwortet sich die Frage fast von selbst: natürlich Willy Brandt. Im April 1972, als das Misstrauensvotum gegen ihn gestellt wurde, saß ich zitternd vor dem Fernseher.Für mich 13-Jährigen war da fast so eine Spannung und Anteilnahme zu spüren wie ein paar Monate später beim Olympia-Endspurt zwischen Heide Rosendahl und Renate Stecher. Willy und Heide: meine beiden Pubertätshelden …
Warum scheint es Persönlichkeiten wie Brandt in der heutigen Politik nicht mehr zu geben?
Unter anderem weil die großen, gebrochenen Biografien, geprägt durch den Krieg und die Jahre des Wiederaufbaus der deutschen Demokratie, naturgemäß weniger werden. Der heutige Nachwuchs rekrutiert sich größtenteils aus den Jugendorganisationen der Parteien, aus smarten, eher angepassten Karrieristen. Das ist einer der Gründe, warum jemand wie Helmut Schmidt, der während seiner Amtszeit ja nicht sonderlich beliebt war, heute so kultisch verehrt wird.
Kommen wir zu Guttenberg – der spreche Klartext, heißt es oft lobend über ihn.
Politik ist ja die oft mühsame Suche nach Kompromissen. Da wird so ein vermeintlich energischer, durchaus charismatischer Quereinsteiger wie Guttenberg natürlich schnell zum Star. Und wenn sich dann ein Minister auch noch hinstellt und in deutlichen Worten zugibt, dass das, was in Afghanistan passiert, Krieg ist – dann sind die Menschen verblüfft und begeistert. Das Bedürfnis nach so genanntem Klartext, von den Boulevardmedien befeuert, ist groß. Auch die Beliebtheit von Joachim Gauck hat damit zu tun.
Wie kommt es, dass Guttenberg so stark auf die Menschen wirkt?
Das speist sich zum Großteil aus den Defiziten der derzeitigen Regierung. Die Kanzlerin ist – zumindest in der Öffentlichkeit – keine sonderlich begabte Rednerin. Der praktisch nicht-existente Mann an ihrer Seite, die zurückgedrängte Weiblichkeit, das alles hat das Bild der deutschen Politik quasi enterotisiert, wie es unter dem Alphamann Schröder nicht denkbar gewesen wäre. Hinzu kommt, dass der derzeitige Außenminister nicht unbedingt ein Sympathieträger ist …
Guttenberg hat schon einige politische Krisen überstanden: Kundus, Gorch Fock. Wieso verzeiht ihm die Öffentlichkeit so bereitwillig?
Ohne zynisch klingen zu wollen: Das Informationschaos rund um den bombardierten Tanklaster hat die Menschen in Deutschland nicht sonderlich berührt. Auch die Entlassung eines Schiffskapitäns ist kein hochemotionales Thema. Hätte Guttenberg irgendein deutsches Tabu gebrochen – Nazivergleiche und ähnliches -, sähe das anders aus. Hat er aber nicht. Er hat nur demonstriert, dass er durchgreifen kann – egal, wie das Ergebnis beim Publikum ankommt. Nicht einmal der geschmacklose Afghanistan-Ausflug mit seiner Frau und Talkmaster Kerner im Schlepptau hat ihm geschadet. Ich fand das total daneben. In einem Kriegsgebiet sollte sich jede Art von PR für die eigene Person verbieten.
Der Gedanke, Guttenberg könnte Kanzler werden – bereitet der Ihnen schlaflose Nächte?
Die Frage habe ich mir auch schon ab und zu gestellt. Sagen wir so: Wenn es schon jemand von der Union sein müsste, könnte ich mit Norbert Röttgen oder Ursula von der Leyen auf jeden Fall leben. Guttenberg haben wir als handelnden Politiker noch nicht lange genug erlebt, um seine Qualitäten einschätzen zu können. Für mich muss ein Politiker allerdings nicht übercharismatisch sein, um gute Arbeit zu leisten. Charaktere wie Hans-Jochen Vogel oder Frank-Walter Steinmeier schätze ich sehr, auch wenn sie nicht unbedingt die unterhaltsamsten Talkshow-Gäste sind. Übrigens fände ich es hochinteressant, wenn einer wie Peer Steinbrück als Herausforderer gegen Guttenberg antreten würde – so weit entfernt voneinander sind die beiden gar nicht. Auch Steinbrück liebt deutliche Worte, hat etwas Forsches, Direktes. Und er hat Humor.
Glauben Sie, dass irgendwann der Guttenberg-Backlash kommt?
Na klar! Selbst Boris Becker ist ja heute kein Darling der Öffentlichkeit mehr. (lacht)
Würden Sie Guttenberg vermissen, wenn er von der Bildfläche verschwinden würde?
Nein. Vermissen würde ich nur die Queen von England. An die habe ich mich irgendwie gewöhnt.
Der vielfach preisgekrönte Ullrich Matthes (51) ist festes Mitglied des Ensembles des Deutschen Theaters in Berlin und gilt als einer der besten Schauspieler des Landes.