So glücklich wie Sisyphus
Wer schüchtern ist, gilt oft als depressiv. Elliott Smith widerlegt das mit seinen genialen Songs
Warum ist dieser Junge so trübsinnig? Zugegeben, er ist eher unscheinbar, doch ein wahrer Künstler muss ja kein Adonis sein. Kaut er seine Fingernägel etwa nur deshalb bis in Nagelbettnähe ab, weil er so unsicher ist? Nein, das muss Elliott Smith nämlich auch nicht sein. Schließlich wurde er für seinen Song zu „Good Will Hunting“ Oscar-nominiert. Großer Durchbruch vor zwei Jahren. Und sein jüngstes und fünftes Werk „Figur 8“ wird allerorts bejubelt und dank so einigen genialen Passagen gar mit diversen Songs der „Fab Four“ verglichen. Eigentlich alles bestens, aber dennoch raucht der Mann nervös Kette und redet leise wie ein Mäuschen. Warum singt Smith „Everything means nothing to me“ und muss sich dann mit Fragen nach der offensichtlichen Bedeutungslosgikeit seiner eigenen Existenz rumquälen?
Er lächelt enigmatisch und ist wohl einfach nur notorisch schüchtern. Den Titel „Figure 8“ endehnte er immerhin keck dem Song einer marginalen US-Band. Und setzt ihn nun clever gleich mit dem Symbol von Unendlichkeit. Nein, er will nichts hören von Traurigkeit und der ihm immer wieder gern angedichteten „depressiven Grundstimmung“ in seinen Liedern. Spricht eher von Melancholie und ist offenbar romantisch. Musik wurde und ist für ihn „seine Zuflucht“. Seit den ständigen Umzügen der Eltern während seiner Kindheit ist das so. Kein Baseball, aber Klavierstunden. Kein Basketball, dafür Gitarrenunterricht. Die klassischen Voraussetzungen für den späteren Einzelgänger.
„Ich fand das damals alles völlig in Ordnung. So stand ich nämlich nicht unter diesem blöden Gruppenzwang, dauernd besonders toll oder beliebt sein zu müssen, und konnte den gesellschaftlichen Irrsinn ungestört beobachten. Ich habe viel gelesen. Nein, ich bin einfach nur realistisch. Und ich schreibe immer nur über das, was ich auch wirklich sehe.“
Nach einem Jahr ohne eigene Wohnung hat Elliott Smith nun ein Appartment in 1~A. Und pflegt weiterhin seinen Indiviualismus. „Solange mir nichts Besseres begegnet, das mich zu überzeugen weiß, werde ich meinen derzeitigen Lebensstil lieben. Ich bin gerne ungebunden und unterwegs.“
Mr. Smith macht sich grundsätzlich keine Sorgen, weder um seine Kunst, noch um seine Karriere. „Ich lasse alles so lange ruhen, bis ich es gut genug finde. Wenn ich mal einen Song vergesse, kein Problem. Es gibt Millionen Noten, und so besonders wertvoll ist ein Song ja nun auch wieder nicht.“ Manchmal ist’s ihm beinahe peinlich, Amerikaner zu sein. Er schätzt weder den in aller Welt operierenden US-Retter, noch den Durchschnittsbanausen da draußen. „Was haben wir denn schon an Kultur? Etwa das, was uns das Fernsehen zeigt? Für mich stellt sich die Wirklichkeit nicht in knalligen Bonbonfarben dar. Eher in tausend verschiedenen Schattierungen von Grau. Die vermeintliche Attraktivität von Glück, Erfolg und Sauberkeit ist mir einfach zu verlogen.“
Als Junge träumte Mr. Smith mal davon, ein Feurwehrmann zu werden, um Kinder, Kranke und Katzen aus brennenden Häusern zu retten. Heute schreibt er statt dessen überaus harmonische Songs und sieht diese als kleine Rettungsanker im Gewässer unserer trüben Wirklichkeit. „Ich kann Glück nie ohne seine verborgenen dunklen Seiten empfinden. Meine Songs haben daher stets Licht und Schatten. Und ich bin froh, dass ich meine ultimativen Songs bislang noch nicht geschrieben habe. Sonst müsste ich ja mit der Arbeit aufhören.“
Elliott Smith ist ein ausgesprochen glücklicher Mensch. Fast so glücklich wie Sisyphus.