Smog – „Wild Love“
Bill Callahan, Sänger Texter und einziges Full-Time-Mitglied von Smog, ist einsam. Zunächst verschwand das Gegenüber und da war nur noch der leere Stuhl auf dem Cover von „Julius Caesar“, dann verschwand auch dieser noch. Selbst der Bilderrahmen auf der „Wild Love“-Hülle ist leer. Wie wir innen sehen können, flüchtet der Stuhl ängstlich vor dem herannahenden Wasser und verwandelt sich allmählich in einen Krebs. Denn Bill Callahan wollte immer auf den Boden des Ozeans. In die Stille. Den Fischen zusehen.
So sind auch seine Songs: Als sitze er unter einer kleinen Glocke, wie man sie zur Beobachtung von Meeresgetier in die Tiefen herablässt und schaue zu, wie das Leben vorbeivegetiert. Auf Englisch heißt eine solche Taucherglocke „bathysphere“, so wie der erste Song auf „Wild Love“. „Will Oldham macht Musik, um alleine zu sein. Ich mache Musik, weil ich alleine bin“, hatte Callahan mal versucht den Unterschied zum anderen großen Solitär der US-Indieszene zu erklären. Auf „Wild Love“ finden sich zwölf Versuche der Kontaktaufnahme mit der Außenwelt – alle schlagen fehl.
Die Eltern nehmen ihm seine Träume: „ When I was seven my father said to me/ But you can’t swim’/ And I’ve never dreamed of the sea again.”. Sie töten seinen treuen Freund (einen Hund?), die Freundin bringt sich um, die nächste verlässt ihn und er tilgt alle Erinnerungen an sie: „I painted myself in the corner again/ Because I didn’t like the colour of my floors/ After you walked all over them.“ Das wird nicht das letzte Mal gewesen sein. „Don’t turn to me, cause I’m no hope“, singt er. Er will nicht mehr reden, denn niemand kann ihn verstehen, er will nicht mehr hören, denn es gibt nichts zu sagen, er will verführen: „I just wanna touch you/ Sweet Smog children/ Like the invisible man.“
War er auf “Julius Caesar” noch Travis Bickle aus Scorseses „Taxi Driver“ gewesen, hatte AC/DC gehört, seinen Körper gestählt und gegen alle Ausweglosigkeit aufmüpfig aufbegehrt, hat er es sich nun in der Hoffnungslosigkeit eingerichtet. Nur der Sarkasmus ist ihm an einigen Stellen geblieben: „I was on her body/ He was on her mind“. Seine Kindheitsträume führten ihn aufs Meer, die Liebe sperrt ihn schließlich in ein Goldfischglas.
Musikalisch klingt das weitaus beschwingter als die Lo-Fi-Ästhetik des Frühwerks, denn Musik scheint der letzte Ausweg. Der einzig glückliche Mensch auf „Wild Love“ ist der Hungerkünstler Prince, alleine in seinem Studio, um vier Uhr morgens, wenn alle Mädchen weg sind: „And he finally get’s that guitar track right/ And it’s better than anything any girl could ever give him“. Das erinnert an Gaspard in Eric Rohmers “Sommer“, der, zwischen drei Frauen stehend, sich schließlich dafür entscheidet, abzureisen, um eine Vier-Spur-Maschine zu erstehen.
„Einen Song zu schreiben, ist wie einen Vogel zu fangen“, sagte Bill Callahan kürzlich in einem Interview, „so wie du das Wesen des Vogels nicht bestimmen kannst, wenn du ihn in einen Käfig sperrst, kannst du auch den Moment, die Emotion, die du in einem Song festhältst, nicht näher definieren, aber du kannst den Vogel so besser beobachten, ebenso die Emotion.“ Zumindest auf „Wild Love“ schien er nicht einen Vogel, sondern einen Odradek, dieses absurde, zweckfreie Wesen aus Kafkas „Die Sorge des Hausvaters“, fangen zu wollen. Das ist ihm gelungen.
Domino, 1995