Wie Nirvana am 17. August 1991 die Welt veränderten
„Smells Like Teen Spirit“ war eine subversive Persiflage auf das übliche MTV-Futter.
17. August 1991: Anarchie bei MTV – Mit „Smells Like Teen Spirit“ wurde Indie-Rock zum Mainstream
„Kurt hasste Mainstream“, konstatiert Krist Novoselic. „Darum ging es in ‚Smells Like Teen Spirit’: die Konformität der Masse und ihr konformes Denken.“ Am 17. August 1991 drehten Nirvana, ein Underground-Trio aus dem Großraum Seattle, in einem Studio in Culver City das Video zu „Smells Like Teen Spirit“, der ersten Single-Auskopplung aus ihrem noch unveröffentlichten Album „Nevermind“. Der Clip, schnell zusammengestrickt von Regie-Neuling Sam Bayer, war eine subversive Persiflage auf das übliche MTV-Futter: Nirvana spielen in einer High-School-Sporthalle vor begeisterten Fans, dazu schwenken hübsche Cheerleader ihre Pompoms. Nur dass die Mädchen das Wort „Anarchie“ auf ihre Pullover gekritzelt haben, die Kids Pogo tanzen und die Band – Drummer Dave Grohl, Bassist Novoselic und Sänger/Gitarrist/Songwriter Kurt Cobain – zum Playback den Mund auf- und zuklappen. Das Video änderte Nirvanas Leben schlagartig.
Im Oktober ’91, als die Band in Nordamerika tourte, lief „Smells Like Teen Spirit“ auf MTV praktisch ununterbrochen. Club-Gigs wurden zu ausverkauften Triumphzügen, die Albumverkäufe schossen in die Höhe. Im Januar ’92 stand „Nevermind“ auf Platz eins der Album-Charts. Doch die locker-poppige Bösartigkeit und schweißgetränkten visuellen Details des „Teen Spirit“-Videos warben auch höchst effektiv für etwas viel Größeres: die Erfindung des Punk-Metal und die Indie-Ideale einer neuen Generation von Seattle-Bands. Mit Nirvana als Speerspitze stürmten Soundgarden, Pearl Jam, Alice in Chains, Screaming Trees und Mudhoney die Radio-Playlists und Album-Charts und wurden der Pop-Mainstream der nächsten fünf Jahre. „Eine zufällige Ansammlung von Außenseitern, die sich gegenseitig keinen großen Druck machten“, beschreibt Mudhoney-Sänger Mark Arm die glorreiche Zeit, bevor die Talentscouts wie Heuschrecken über die Stadt herfielen und nach „Grunge-Bands“ Ausschau hielten. „Es gab einen Kern von vielleicht 50 Leuten, die man bei fast jedem Konzert sah“, ergänzt Mudhoneys Drummer Dan Peters. Viel Geld war damals nicht zu holen.
Sub Pop, das beliebteste lokale Label, verband strenge Sparsamkeit mit unfehlbarem Musikgeschmack und brachte Platten von vielen wichtigen Seattle-Bands jener Zeit heraus, darunter auch Nirvana. Als die Band, 1987 von Cobain und Novoselic gegründet, 1989 ihr Album „Bleach“ aufnahm, kostete Sub Pop das den kolossalen Betrag von 606,17 Dollar. Das wilde Leben hatte aber auch seine Schattenseiten. Heroin war unter den Rockmusikern in Seattle weit verbreitet. Unfähig, seine Sucht zu bezwingen und geschüttelt von Selbstzweifeln, beging Cobain am 5. April 1994 Selbstmord und brachte damit Seattles Renaissance zu einem frühen Ende. Das letzte Opfer war Sänger Layne Staley von Alice in Chains, dessen langer Abstieg in die Drogenhölle 2002 mit einer tödlichen Überdosis endete.
„Der Hype damals, wie sie die Musik hochgejubelt haben – das hinterließ bei allen Spuren“, erzählte Pearl-Jam-Sänger Eddie Vedder letztes Jahr. „Damit musste man erst mal fertig werden.“ Doch auf dem Höhepunkt des Ruhms gab es kaum etwas Aufregenderes, als eine Band aus Seattle zu sein. „Du hattest zehn Jahre Musik gemacht und nie ein Publikum gehabt“, erinnerte sich Vedder 1999. „Dann, plötzlich, hattest du eins. Und das wollte jeder auskosten.“