Rolling Stone Porträt

Slow Hollows: Die neue Indie-Schule

Für Pop- und Fashion-Vordenker wie Frank Ocean und Hedi Slimane ist Austin Feinstein längst ein Star. Der charismatische 18-Jährige möchte es mit seiner Indierock-Band Slow Hollows jedoch ganz langsam angehen

Natürlich hatte der 48-jährige ein Auge auf Austin Feinstein geworfen. Seit über 15 Jahren ist Hedi Slimane auf der Suche, ja fast süchtig nach jungen Männern wie ihm. Als sich in den frühen Nullerjahren in Großbritannien eine neue Indierock-Welle Bahn brach, stand der Modedesigner in der ersten Reihe und bekam den Mund gar nicht mehr zu. Franz Ferdinand, The Libertines, Razorlight, Arctic Monkeys: Eine ganze Armada cooler Youngster inspirierte die Mode des damaligen Dior-Homme-Kreativchefs – nur um dessen hautenge Jeans, schmale Sakkos und dünne Krawatten wenig später selbst zu tragen.

https://www.youtube.com/watch?v=nzom9SCig1I

„London Birth Of A Cult“ nannte er vielsagend einen Bildband, in dem er der Szene und vor allem dem jungen Pete Doherty ein Denkmal setzte. Slimane habe den Look einer ganzen Generation geprägt, sagten damals Bewunderer wie David Bowie oder Karl Lagerfeld (der 40 Kilo abnahm, um in die dürre Dior-Linie zu passen). Kritischere Geister wie Jarvis Cocker erwiderten, Slimane beute die Subkultur für seine Zwecke aus.

(Foto: Daria Kobayashi Ritch)
(Foto: Daria Kobayashi Ritch)

Schaumgeborener Indiedarling

Seit 2007 lebt der Franzose in Los Angeles. Auch hier zieht er mit seiner Kamera durch die Untergrund-Clubs, immer auf der Suche nach den hübschen, den wilden, schaumgeborenen Rockstars, die noch keine sind. Als er die Slow Hollows zum ersten Mal spielen sah, war ihr Sänger, Austin Feinstein, gerade mal 16, ein Indiedarling wie am Reißbrett designt, irgendwo zwischen River Phoenix, dem jungen Beck und DiCaprio zur Zeit von „Gilbert Grape“. Obwohl die Band sich ihre gelangweilte Attitüde, die Mittelscheitelfrisuren und Ringelshirts eher bei Neunziger-Indieslackern als bei schnittigen Post-Rockern der Achtziger abguckte, sich eher Pavements Stephen Malkmus als Ian Curtis zum Vorbild nahm, war Slimane sicher, der Geburt einer neuen Klasse von Stars beizuwohnen – oder zumindest eines Stars. Er musste den androgynen Teenager mit den roten Wangen und dem Schlafzimmerblick unbedingt als Model haben.

Unabhängig von Slimane wurden auch andere A‑List-Künstler auf den jungen Musiker aufmerksam. Frank Ocean zum Beispiel. Feinstein spielt auf dessen aktuellem Album, „Blonde“, Gitarre und singt bei der herzzerreißenden Ballade „Self Control“ Refrain und zweite Stimme. Der neurotisch perfektionistische Neosoul-Produzent hatte den Song an mehrere Sänger und Sängerinnen geschickt. Feinstein versuchte gar nicht erst, die hohen Töne zu treffen. Ocean war begeistert.

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Keine Berührungsängste

Berührungsängste zwischen Indie, R&B, Pop und HipHop scheinen für die neue Musikergeneration aufgelöst, das Internet hat die Gräben zugeschüttet. Kanye West ist nur einen Klick von Joy Divison entfernt, genauso wie der DJ oder die Rockband aus der Nachbarschaft. Der ebenfalls aus L.A. stammende Tyler, The Creator hatte die Slow Hollows auf YouTube entdeckt und Feinstein via Twitter angeschrieben. Er liebe ihre Musik, so der 1991 geborene Rapper. „Aber wo bleiben eure Videos?“ Zusammen mit der kolumbianischen Popsängerin Kali Uchis nahmen Tyler und Feinstein die R&B-Ballade „Perfect“ auf.

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Im dazugehörigen Musikvideo stiehlt der Indierocker den etablierten Künstlern die Show. Zuerst sehen wir bloß seine Hand, die eine Gitarre anschlägt, dann fährt die Kamera höher, näher an seinen Mund, der immer wieder dasselbe Wort formt: „alone“. Die Szene wirkt auf faszinierende Weise surreal, nichts scheint zusammenzupassen, der verzweifelte Text nicht zur süßen Melodie, das knabenhafte Gesicht nicht zur unterkühlten Mimik, die tiefe, narkotisierende Stimme nicht zur dürren Gestalt Feinsteins, der vor pastellfarbenen Kinderzimmerwänden von Verführung und Zurückweisung erzählt. In der letzten Einstellung schnippt er einen Schmetterling von seinen Fingerkuppen. Man bekommt dieses Bild nur schwer wieder aus dem Kopf.

Feinsteins Charisma ist unübersehbar

Feinsteins Charisma ist unübersehbar. Die Band aus dem San Fernando Valley hat sich damit abgefunden, dass ihr Sänger im Mittelpunkt steht. Er selbst hadert damit. „Wenn man unsere Band googelt, kommt sofort mein Gesicht. Das frustriert mich“, sagt der mittlerweile 18‑Jährige ohne Eitelkeit. Aaron Jassenoff (Bass), Dylan Thinnes (Gitarre), Reed Kanter (Keyboard) und Jackson Katz (Drums) nehmen ihn trotzdem ohne erkennbare Eifersucht in die Mitte und lassen ihren Songwriter das Gespräch führen.

Sätze wie ‚Ihr seid für euer Alter ziemlich gut!‘ fallen kaum noch

Die Band sitzt im rustikalen Wohnzimmer von Feinsteins Familie im beschaulichen Stadtteil Sherman Oaks. Es ist ein milder kali-fornischer Herbstabend. Draußen heulen Hunde durch das Valley. Bis eben haben sie noch die große Fernsehdebatte zwischen Donald Trump und Hillary Clinton verfolgt. „Es widerte mich so an, dass ich wegschalten musste“, sagt Austin. Es ist das erste Mal, dass sie wählen dürfen. Keiner von ihnen ist älter als 20.

(Foto: Riley Donahue)
(Foto: Riley Donahue)

„Das ist ein entscheidender Moment in unserer Karriere. Es ist doch so: Wenn du zu alt bist, verlieren die Leute das Interesse an dir. Und wenn du zu jung bist, nehmen sie dich nicht ernst. Ich glaube, wir sind gerade an einem guten Punkt in der Mitte. Sätze wie ‚Ihr seid für euer Alter ziemlich gut!‘ fallen kaum noch.“ Dass Feinstein in seiner überlegten Art zu sprechen viel reifer wirkt als seine 18 Jahre, liegt vor allem daran, dass er in den vergangenen Jahren alles versucht hat, die Frage nach seinem Alter in den Hintergrund zu rücken und sich so erwachsen wie möglich zu geben.

Wenn Slackersound ambitioniert klingt

Eigene Musik macht Feinstein seit seit seinem zwölften Lebensjahr. Mit 14 gründete er die Slow Hollows, zwei Alben hat er bereits mit ihnen veröffentlicht. Das dritte, „Romantic“, erscheint Anfang November auf dem Label Danger Collective, das drei seiner Bandkollegen betreiben. Das Fundament der neun Stücke bildet erneut genüsslich schlurfender Indierock, der an Pavement oder Yo La Tengo erinnert. Die Melodien sind eingängig, die Hooks mühelos, so beiläufig perfekt hat diese Musik schon lange keiner mehr gespielt. Dazu integriert die Band erstmals ausgiebig Trompete und Saxofon – ein seltsamer Kontrast, der den Slackersound geradezu ambitioniert wirken lässt.

https://www.youtube.com/watch?v=kmEE7_L8NAI

„Ich kann jetzt sagen, dass Pavement und John Coltrane der Grund sind, warum ich Musik mache. Aber seien wir ehrlich, tatsächlich waren der Film ‚School Of Rock‘ und ‚Seven Nation Army‘ von den White Stripes viel wichtiger“, bekennt Austin, und seine Bandkollegen nicken eifrig: „Genau!“ Ausgerechnet „School Of Rock“, die kindgerechte Komödie aus dem Jahr 2003, in der Jack Black als Aushilfslehrer eine Schulklasse auf das Rockstar-Dasein vorbereitet, indem er Pete Townshends Windmühle auf den Lehrplan setzt und seinen Schülern einschärft, der Industrie zu misstrauen.

Lieblingsfilm: „School Of Rock“

Man glaubt fast, die Slow Hollows wären selbst auf diese Schule gegangen. Im Gegensatz zu in den Tag hineinlebenden oder von Managern abgeschirmten und bevormundeten Newcomern vergangener Tage haben die Jungs aus L.A. sehr genaue Vorstellungen davon, wie ihre Karriere ablaufen soll. „Es ist mir definitiv wichtig, dass die Band größer wird“, sagt Feinstein. „Wichtiger ist jedoch, dass wir uns selbst treu bleiben.“

https://www.youtube.com/watch?v=crjQ2aBses4

Wie Pete Doherty abstürzen möchte keiner. Bei einem Major unterschreiben ebenfalls nicht. Dabei könnte ein professionelles Label die Band mit Feinsteins Vorschusslorbeeren durch Scenester wie Frank Ocean leicht promoten. Für die Aufnahmen im Hinterhofstudio von Keyboarder und Labelchef Reed Kanter wollten sie jedoch nicht einmal einen externen Produzenten hinzuziehen.

Nicht enden wie Doherty

„Viele Bands die auf unserem Level waren, haben falsche Entscheidungen getroffen und die Kontrolle aus der Hand gegeben. Ich analysiere solche Dinge genau“, sagt Feinstein.

(Foto: Riley Donahue)
(Foto: Riley Donahue)

Die Gefahr, auf diese Weise vielleicht nie über die Szene in Los Angeles hinauswachsen, ist ihnen bewusst. Auch kann ihr kleines DIY-Label die Infrastruktur eines weltweiten Vertriebs bislang nicht stemmen. Sie würden gern in Europa touren, wissen aber nicht recht wie. Trotzdem machen die fünf sich keine Sorgen. Sie sind mit dem Internet aufgewachsen und vertrauen auf die Mund- beziehungsweise Share-Propaganda im globalen Dorf. „Auch ich -habe meine Lieblingsmusik im Netz kennengelernt. Dort haben wir das größte Publikum, das man sich vorstellen kann. Wir haben auch noch nie ein Musikvideo gemacht. Alle Videos, die du von uns im Internet findest, stammen von Fans.“

https://www.youtube.com/watch?v=N9fIAFUqcbc

Kurt Cobain: Ein trauriger Typ

Seine Zusammenarbeit mit Größen aus Pop und Fashion war der bestmögliche strategische Schritt, um die Slow Hollows weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt zu machen. Feinstein instrumentalisiert die Mechanismen des Ruhms, statt sich in ihnen zu verlieren. Auch der Albumtitel „Romantic“ sei dahingehend zu verstehen. „Heute gibt es die Tendenz, abgefuckte Schicksale oder Künstler mit psychischen Problemen zu romantisieren“, redet der ansonsten ruhige Feinstein sich moderat in Rage.

GG Allin hat Frauen wie den letzten Dreck behandelt

„Nimm Kurt Cobain. Ein talentierter junger Mensch bringt sich um: Das ist erst mal einfach nur unfassbar traurig. Ich erinnere mich an eine Zeit, als ich es cool fand, diesen traurigen Typus zu verkörpern. Dabei hat es überhaupt keinen Nutzen. Statt dass man sich auf das Talent einer Person konzentriert, werden ihre Probleme zur Ursache der Kunst erklärt.“ Bandkollege Dylan nickt und schiebt hinterher: „Oder GG Allin! Ich meine, der Typ hat sich auf der Bühne angeschissen. Und Frauen wie den letzten Dreck behandelt. In L.A. laufen viele Leute mit GG‑Allin-Shirts herum. Ich meine, ist das euer Ernst?“

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Mittlerweile ist es ein Uhr nachts. Vereinzeltes Gähnen und schweifende Blicke. Jackson und Dylan müssen am nächsten Morgen ins College. „Danke für euer Interesse!“, verabschiedet Feinstein sich höflich. Zurück bleibt der Eindruck einer auf-, ja geradezu abgeklärten Generation. Wo bleibt der Rock’n’Roll, der unkontrollierbare, gefährliche, den ein Hedi Slimane seit Jahren immer wieder sucht und als Ausdruck eines ewig jungen Lebensgefühls verkaufen möchte? Die Stimme seiner Generation möchte Austin Feinstein sicher nicht werden. Wenn es nach ihm geht, hat sie außer der Stimme der Vernunft aber auch keine weitere nötig.

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