Sleater-Kinney in Berlin: Sie können einem noch immer die Welt bedeuten
Im Berliner Huxley’s zeigen Sleater-Kinney, wie bedeutsam sie auch heute noch sind. Fern von Nostalgie liefert das Trio ein stürmisches Konzert, bei dem alt und neu, Rock und Politik miteinander verschmelzen
Anfang März war auf „Pitchfork“ ein Artikel mit dem Titel „Notes From Sleater-Kinney First-Timers“ zu lesen. Dort haben junge Autorinnen – und es waren ausschließlich Autorinnen – die zu jung sind um die Band vor 2005, ein Jahr vor ihrer Trennung, live gesehen zu haben, von ihren Eindrücken der aktuellen Konzerte berichtet. Es waren mit Superlativen übersäte Notizen, aus denen herauszulesen war, dass für viele die Rückkehr der „besten Rockgruppe der letzten 20 Jahre“ nicht weniger als das entscheidende Ereignis 2015 ist.
Man mag diesen Grad an Verehrung übertrieben finden. Es hat allerdings etwas Schönes, dass Sleater-Kinney auch heute noch die Kraft haben Leben zu verändern.
In Deutschland fällt das Comeback des Trios nicht viel nüchterner aus. Die neue Platte „No Cities To Love“ wurde auch hier beinahe ausnahmslos euphorisch rezipiert; und das Berliner Huxley’s ist mit rund 1.500 verkauften Tickets ausverkauft. Jegliche Vorbehalte, hier könne es um Rückschau und Selbstbespiegelung gehen, lässt die Band mit den krachenden Tönen von neuen Stück „Price Tag“, in Splitter explodieren. Sleater-Kinney sind zurückgekommen, um im Hier und Jetzt stattzufinden, nicht um Erinnerungen an eine 90er-Jahre-Jugend zu evozieren. Daran lässt der energische Vortrag des Songs über die Fehler in der Logik des amerikanischen Traums und die fatalen Folgen der Wirtschaftskrise keinen Zweifel.
Trotz des wuchtigen Auftakts stehen die ersten Songs unter einem Erwartungsschleier, auf der Bühne wie auch beim Publikum. Der Ethos dieser Band war stets die Treue zu den Wurzeln in der DIY-Szene ihrer Heimat in Olympia, Washington. Maximale Wirkung erzielten die furiosen Melodien und progressiv-feministischen Statements von Sleater-Kinney ja auch gerade deshalb, weil sie in den intimen Clubs zum Partizipieren einluden. Jede Woche standen neue Leute mit neuer Band auf der Bühne, Leute, die letzte Woche noch Zuschauer waren. Dieser unmittelbare Zugang lässt sich natürlich in größeren Hallen deutlich schwieriger finden. Das ist die Herausforderung, vor der Sleater-Kinney heute stehen.
Begegnet wird dieser Hürde so, wie Sleater-Kinney es immer getan haben: mit unbeirrbarem Fokus und schierer Ausdauer. Schlag auf Schlag feuern Carrie Brownstein und Corin Tucker ihre Gitarrenriffs von der Bühne, ohne sich mit Ansagen aufzuhalten, Schlagzeugerin Janet Weiss bildet mit ihrem Spiel das Rückgrad der Formation. „Start Together“, „No Anthems“, „One Beat“, „Get Up“, „No Cities To Love“: Die Songtitel sind so unmittelbar und rau wie das Spiel der Band. Songs aus dem Backkatalog und solche von „No Cities to Love“ verschwimmen zu einer Phalanx aus Dreieinhalb-Minütern.
Etwa in der Mitte des Konzerts, bei „Words and Guitar“, schwappt die Stimmung endgültig über. Der Boden bebt, das Publikum bricht in großen Jubel aus, die Band wirkt eher elektrisiert als erschöpft vom bisherigen Marathon, der am Ende immerhin 23 Songs umfassen wird. Die ruhigeren Stücke, wie etwa von „The Hot Rock“, sind rar gesät, die Zeichen stehen klar auf all or nothing.
Nachdem die Band mit „Jumpers“, ihrem intensiven, von einem Zeitungsartikel über Suizide an der Golden Gate Bridge inspirierten Stück, das reguläre Set beschließt, zweifelt keiner mehr daran, dass die drei auch jenseits der Vierzig die gleiche Ekstase entfachen können wie in den 90ern. Tucker wendet sich mit Selbstvergewisserung ans Publikum: „Even though things have changed since then, they haven’t changed enough“. Ob damit jetzt der Feminismus, das Klima oder die Schere zwischen Arm und Reich gemeint ist, das bleibt dem Einzelnen überlassen.
Das unausweichliche „I Wanna Be Your Joey Ramone“ ist natürlich ein Selbstläufer – und zeigt einem ein weiteres Mal, welch weiten Weg Brownstein, Tucker und Weiss in den letzten 20 Jahren gegangen sind. Von riot grrrls, die in Kellern befreundeter Bands auftreten, hin zu feministischen Ikonen, die männlich besetztes Terrain zurückerobern.
Zum Schluss gibt es „Dig Me Out“, das stürmischste aller ihrer Gitarrenfanale. Brownstein und Tucker liefern sich ein Duell, Brownstein lässt das Publikum in der ersten Reihe auf ihrem Instrument mitschrammeln, Weiss drischt gebeugt auf das Schlagzeug. Sleater-Kinney sind mit ungebrochener Kraft aus ihrer knapp zehnjährigen Bandpause zurückgekehrt – und das sind verdammt gute Nachrichten. Dass Sleater-Kinney wieder da sind und der Gesellschaft zumindest für die Dauer eines atemlosen Konzerts mit zwei Gitarren und Drums entgegentreten, das kann einem die Welt bedeuten.