Sleater-Kinney: Der Rock’n’Roll ist eine Frau
Sleater-Kinney haben nach zehn Jahren Pause mit "No Cities To Love" gerade ihr erstes neues Album veröffentlicht. Willkommen zum Comeback der Girl-Punk-Pioniere!
„Der Optimismus und die Gewissheit, die wir hatten, bevor wir merkten, dass nichts mehr sicher ist – das ist der Traum der 90er-Jahre“
Die beiden sind nicht besonders gesprächig, wirken ruhig und ein bisschen unterkühlt, manchmal sind sie auch unsicher, wer denn nun die nächste Frage beantworten soll – oder wohl eher: muss. Man kann sich kaum vorstellen, dass die beiden reservierten Damen zu all den Rockstar-Posen und der Hysterie, die sie als Sleater-Kinney zele-brieren, überhaupt fähig sind. Aber dass aus schüchternen Menschen Bühnentiere werden können, weiß man ja. Zuletzt etwa zu bewundern, als die zarte Annie Clark, die in den vergangenen Monaten übrigens öfter mal an der Seite von Brownstein zu sehen war, als St. Vincent einen heiß gelaufenen Rockstar-Roboter gab.
„Eine Band ist eine Art Behälter, eine Kraft, mit der man verschmilzt, die außerhalb der eigenen Person liegt und größer ist als man selbst – ein ganz eigenes Ding, in das man sich fallen lassen kann“, erklärt Brownstein, die – ebenso wie Tucker – tatsächlich von Sleater-Kinney spricht, als handelte es sich um eine
eher aus der Ferne bewunderte Bekannte; Simone Sleater-Kinney, eine angeheiratete Cousine von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vielleicht.
Aber was Brownstein da beschreibt, deckt sich mit dem, was Robert Forster von den Go-Betweens, auf deren Comeback-Album, „The Friends Of Rachel Worth“, Brownstein, Tucker und Weiss Anfang des Jahrtausends mitspielten, mir schrieb, als ich ihn bat, Sleater-Kinney ein paar Ratschläge für einen gelungenen Neustart zu geben: „Ich glaube, es ist ganz einfach, wieder in eine alte Gruppe hineinzuschlüpfen – das sieht von außen viel schwieriger aus, als es in Wirklichkeit ist.“
„Das stimmt“, sagt Brownstein und nickt. „In dieser Hinsicht war es jetzt auch ganz einfach, dort weiterzumachen, wo wir aufgehört hatten. Wir kannten diese Welt – was allerdings nicht heißt, dass man nicht ab und zu überrascht wird; Sleater-Kinney haben eine Energie, die einen fertigmachen kann, und diese Band ist ziemlich leicht entflammbar.“
Janet Weiss erklärte dem amerikanischen ROLLING STONE, Brownstein und Tucker seien auf seltsame Weise wie Zwillinge: „Sie funktionieren irgendwie telepathisch, und sie wissen genau, welche Knöpfe sie bei der jeweils anderen drücken müssen.“ Und Brownstein gibt zu, dass sich diese Vertrautheit manchmal anfühle, als würde Tucker „die Karte meiner Adern kennen“.
Das muss nicht immer von Vorteil sein. Außerdem, so Brownstein in Berlin, müsse man sich davor hüten, sich bei der Arbeit zu sehr in der Vertrautheit und dem Altbekannten einzurichten. „Aus künstlerischer Sicht ist das oft unbefriedigend. Man muss sich und die anderen herausfordern, sonst ist man schnell frustriert. Deshalb glaube ich, dass es wichtig ist, Neues auszuprobieren, bevor man wieder auf die Bühne geht. Darum haben wir uns erst mal in den Keller begeben und neue Songs geschrieben. Einfach nur die alten Lieder noch mal zu spielen hätte mir jedenfalls keinen Spaß gemacht.“
„Wir haben unsere alten Platten noch mal klanglich aufgebessert und in einem Box-Set zusammengefasst, weil wir zeigen wollen, dass sie uns wichtig sind“, ergänzt Tucker, die sich für „Start Together“ noch mal durch alle Alben hören musste.“
„Aber gleichzeitig war uns klar, dass wir eine neue Platte machen mussten, wenn wir wieder eine Band sein wollten. Man muss die Vergangenheit hinter sich lassen, wenn man in der Gegenwart leben will.“
Die Idee zu einer Reunion entstand übrigens, als Brownstein Tucker in ihrem Haus im Südosten von Portland besuchte, um ihr neue Folgen ihrer Serie „Portlandia“ vorzuspielen. „Normalerweise schaue ich mir die Show selbst nicht noch mal an“, sagt sie entschuldigend. „Aber das war ein Rohschnitt, den Fred Armisen und ich Corin und ihrem Mann (dem Filmemacher Lance Bangs – Red.) zeigen wollten, weil ihr Sohn Marshall in einer Folge mitspielt. Und irgendwann sagte Corin: ,Glaubst du, wir werden irgendwann noch mal ein Sleater-Kinney-Konzert spielen?‘“ Armisen und Bangs, beide bereits seit Mitte der Neunziger große Fans der Band, waren sofort begeistert und entwarfen mögliche Szenarien für ein Comeback. Brownstein reagierte zunächst, wie es wohl ihre Art ist, eher unbeeindruckt, zuckte mit den Schultern und sagte: „Klar, warum nicht?“
In „Portlandia“ setzen Brownstein und Armisen in Sketchen mit wiederkehrenden Figuren die kreative Szene ihrer Wahlheimat, Portland/ Oregon, mehr oder weniger satirisch überhöht in Szene. Portland ist, ähnlich wie Williamsburg/Brooklyn oder Berlin-Friedrichshain, ein Mekka für Hipster, Freaks und Künstler aus aller Welt. „The dream of the 90s is alive in Portland“, ist der Claim der Serie. „In den Neunzigern gab es diesen unglaublichen Optimismus, als wir uns aufs Millennium zubewegten“, erläutert Brownstein. „Und ich glaube, niemand verkörperte diese Hoffnung und diesen uneingeschränkten Optimismus so sehr wie Bill Clinton. Man dachte, alles würde einfach immer besser, und im Jahr 2000 wäre ein Höhepunkt erreicht.
Alles war damals irgendwie monolithisch, die Strukturen schienen undurchdringlich und unzerstörbar – in dieser Zeit vor der Atomisierung durch das Internet gab es das monolithische Fernsehen, die monolithische Musik, die monolithischen Länder und Mächte, um die wir uns alle versammelten. Natürlich ging das dann mit 9/11 und der Finanzkrise alles zu Bruch – aber dieser Clintonian optimism und diese Gewissheit, die wir hatten, bevor wir merkten, dass nichts sicher ist – das war der Traum der Neunziger. Und ,Portlandia‘ spielt mit der Idee, dass diese Form der unschuldigen Hoffnung in einigen Milieus überlebt hat.“
Wenn man beim Schauen dieser Serie auf die Idee kommt, eine 90er-Jahre-Band zu reanimieren, muss man entweder einen seltsamen Humor haben oder ein sentimentaler Nostalgiker sein – dachte ich jedenfalls, äußerte es auch und wurde von kritischen Blicken meiner beiden Gegenüber getroffen. „Ich bin nicht daran interessiert, Nostalgie zum bestimmenden Faktor meiner Kreativität werden zu lassen“, sagt Brownstein, die gerade ein Buch über ihre Kindheits- und Jugenderinnerungen geschrieben hat, das im Herbst erscheint, schließlich nach längerer, etwas umständlicher Stille eiskalt. „Deshalb wollten wir es vermeiden, die Reunion selbst zum Hauptthema zu machen, und haben stattdessen eben ein neues Album gemacht, das uns im Dialog mit der Gegenwart zeigt. Jede Platte, die man macht, ist ja irgendwie die erste Platte, die man überhaupt macht. Und mit der Zeit, die zwischen dem neuen Album und ,The Woods‘ lag, fiel es uns sogar leichter, genau das zu fühlen und nicht in das alte Muster zu fallen, nach dem jedes Album immer eine Reaktion auf den Vorgänger ist.“
„No Cities To Love“ erscheint trotzdem wie eine Art Antithese zum epischen „The Woods“ – hat die konzise Dringlichkeit von „Dig Me Out“ und die Eingängigkeit von „All Hands On The Bad One“, ohne dabei wie ein Retro-Album zu klingen. Songs wie den an Patti Smith erinnernden Titeltrack oder das Punk-R&B-Hybrid „No Anthems“ beispielsweise hat man so noch nicht gehört von Sleater-Kinney. Es brodelt und es kocht auf diesem Album, und immer wieder sprudeln Zeilen an die Oberfläche, die das Selbstverständnis der Band zu reflektieren scheinen: „We win, we lose, only together do we break the rules“, heißt es etwa in „Surface Envy“, oder: „No one here is taking notice, no outline will ever hold us/ It’s not a new wave, it’s just you and me“ in „A New Wave“.