Sleater-Kinney: Der Rock’n’Roll ist eine Frau
Sleater-Kinney haben nach zehn Jahren Pause mit "No Cities To Love" gerade ihr erstes neues Album veröffentlicht. Willkommen zum Comeback der Girl-Punk-Pioniere!
„Ja! Endlich! Super!“ ist das erste, was man denkt, wenn eine in der Jugend geliebte Band nach Jahren der Stille ein Comeback ankündigt. Der zweite Gedanke ist dann in der Regel: „NEIN! Um Gottes willen! Bitte nicht!“ Weil man natürlich längst alt genug ist, um zu wissen, dass die Gegenwart nie mithalten kann mit der eigenen Erinnerung. In diesem Fall beginnt die Erinnerung im Jahr 1996. Wer sich an dieses Jahr erinnert, war definitiv dabei. Sonst gibt es dafür nämlich wirklich keinen Grund.
Es war ein Jahr wie ein schwerer Kater nach einer nicht mal besonders guten Party. Grunge war vorbei, dem Britpop ging auch schon die Luft aus, Nick Cave sang Mörderballaden, die Eels wünschten sich eine örtliche Betäubung der Seele und Beck schraubte das beste Album des Jahres aus Old-School-HipHop- und uralten R&B-Platten zu sogenannten Slacker-Hymnen zusammen – das war damals der neueste Schrei.
Es schien so, als hätte sich die gesamte Energie des Popuniversums in diesem ansonsten so kraftlosen Jahr in einem einzigen Refrain zusammengezogen, und der ging so: „Yeah, yeah, yeah, yeah!/ I wanna be your Joey Ramone!/ Yeah, yeah, yeah, yeah!/ Pictures of me on your bedroom door!/ Yeah, yeah, yeah, yeah!/
Invite you back after the show!/ Yeah, yeah, yeah, yeah!/ I’m the queen of rock’n’roll!“
[artist]Rock’n’Roll – ach, stimmt, da war doch was, hat sich der eine oder andere Studentenbudenbewohner beim ersten Hören damals vielleicht gedacht, an enge Hosen und laute Jungs im Testosteronrausch gedacht und achselzuckend seine Lektüre von Judith Butlers „Das Unbehagen der Geschlechter“ fortgesetzt. Aber Moment – „queen of rock’n’roll“? Da sang ja eine Frau! Mit einer Stimme so mächtig, dass Robert Plant dagegen klang wie eine verschreckte Maus mit Kastrationsängsten (zumindest in der Erinnerung scheint es mir so).
Ein Jungsspiel namens Rock’n’Roll
Die Band, die dieses erschütternde Lied sang, hieß Sleater-Kinney und kam aus Olympia, einer Stadt im Bundesstaat Washington im Nordwesten der USA, in der ein paar Jahre zuvor um Bands wie Bikini Kill, Bratmobile und Huggy Bear eine feministische Spielart des Hardcore-Punk entstanden war, die man „Riot Grrrl“ nannte. Sleater-Kinney – den Bandnamen borgten sie sich von der Straße im Olympia-Vorort Lacey, in der sich ihr Proberaum befand – waren anfangs nur eine Art Nebenprojekt der Sängerinnen/Songwriterinnen/Gitarristinnen Corin Tucker von den Riot-Grrrls Heavens To Betsy und Carrie Brownstein von der Queercore-Band Excuse 17. Doch „I Wanna Be Your Joey Ramone“ klang nicht nach einem Nebenprojekt, auch nicht nach Underground oder akademischer Genderdebatte, sondern wie ein verdammter Hit!
Diese Frauen wollten keine Ikonen des Feminismus sein, sie wollten Spaß – und zugleich meinten sie es ernst: Sie wollten tatsächlich Joey Ramone sein oder Thurston Moore oder David Bowie oder Kurt Cobain – sie wollten das Jungsspiel namens Rock’n’Roll nicht einfach nur mitspielen, sie wollten es gewinnen.
„I Wanna Be Your Joey Ramone“ vom zweiten Sleater-Kinney-Album, „Call The Doctor“, war ein Manifest und zugleich ein Versprechen – das die Band mit ihrem nächsten Album (erstmals unterstützt von Janet Weiss am Schlagzeug) dann ein Jahr später locker einlöste. „Dig Me Out“ ist ohne Frage eines der wuchtigsten, direktesten und berauschendsten Gitarrenalben der Neunziger. Einer der aufregendsten Songs auf dieser Platte, „One More Hour“, erzählt vom Ende der Liebesbeziehung, die Tucker und Brownstein kurzzeitig unterhielten. Das Outing fand unfreiwillig in der US-Zeitschrift „Spin“ statt, aber man hätte es der Platte auch anhören können: Wenn man solche Musik macht, muss man einander wohl gleichzeitig bedingungslos lieben und hassen.
2006 verabschiedete sich die Band nach einer Reihe grandioser Alben mit dem im Anschluss an eine Stadiontour mit Pearl Jam entstandenen und daher konsequenterweise mächtigen, ledzeppelinesken „The Woods“ und der nachfolgenden Tour in eine Auszeit. Tucker widmete sich ihrer Familie und nahm zwei recht zahme Alben auf, Brownstein schrieb mit Ex-„Saturday Night Live“-Comedian Fred Armisen die überaus erfolgreiche Indie-Comedyserie „Portlandia“, die sie mit einer durchschnittlichen Zuschauerzahl von fünf Millionen pro Folge weitaus bekannter machte, als sie es mit Sleater-Kinney (knapp 600.000 verkaufte Alben weltweit) je hätte werden können. Außerdem gründete sie mit der viel beschäftigten Weiss (Quasi, Stephen Malkmus, Bright Eyes) die Band Wild Flag, die allerdings bereits nach einem furiosen Album am Ende war.
„No Cities To Love“ ist kein Museumsstück
Im vergangenen Herbst erschien die Sleater-Kinney-Werkschau „Start Together // 1994–2006“ mit allen sieben LPs und einer Single aus weißem Vinyl, auf deren Label kein Titel stand, sondern lediglich eine kryptisch anmutende Zahl (1/20/15), die sich bald als US-Veröffentlichungstermin eines neuen Albums herausstellte. „Exhume our idols and bury our friends“, singen Tucker und Brownstein auf der Single zu rauen Riffs und wuchtigem Schlagzeug, „We’re wild and weary, but we won’t give in/ We’re sick with worry/ These nervous days/ We live on dread in our own Gilded Age.“ Mit so viel Witz und Chuzpe hat noch keine Band ihr Comeback angekündigt – und fordern Brownsteins Zeilen „Make me a headline/ I wanna be that bold/ Make me a spotlight/ So I can see the gold“ nicht, dass wir die Titelseiten freiräumen und diese Band endlich zu unseren Joey Ramones machen? Nichts lieber als das, würde ich sagen – but you may say I’m a dreamer …
Ob die fast 20 Jahre alte Single auch der Grund ist, warum Carrie Brownstein und Corin Tucker die Presse für Interviews zu ihrem Comeback-Album, „No Cities To Love“, nun im Ramones-Museum in Berlin-Mitte empfangen? Andererseits ist ein solcher Ort natürlich auch eine Steilvorlage, um sich mal so richtig schön über die Historisierung und Musealisierung der Neunziger lustig zu machen – all die Comebacks, die Box-Sets und das Geschäft mit der Nostalgie. Exhume your idols, bury our friends eben.
Wie ein Museumsstück klingt „No Cities To Love“ aber glücklicherweise nicht, und die beiden Anfangvierzigerinnen sehen auch nicht aus wie frisch exhumiert, als sie da mit ihren iPads und ihren Gläsern Latte macchiato auf Sofa bzw. Sessel sitzen.
Die Wahl des Ortes war – so erklären sie auf Nachfrage – nicht ihre Idee. Sie dachten, „Ramones Museum“ sei halt „irgend so ein deutscher Name“ (so wie „Simones Museum“ vielleicht), und überhaupt, an „I Want To Be Your Joey Ramone“ hätten sie schon ewig nicht mehr gedacht. „Das ist so ein alter Song“, sagt Brownstein. „Aber ich kann schon verstehen, dass die Leute immer wieder darauf zurückkommen. Das ist ja eine Art Leitspruch. Unsere Bestrebungen und unsere Fähigkeiten, mit Sprache zu spielen, und die Idee, in die Fußstapfen von jemand anderem zu treten, eine Rolle zu spielen – das hat uns damals auf die Spur gesetzt.“ – „Ich glaube, dieses Rollenspiel haben wir auf dem neuen Album sogar auf die Spitze getrieben“, fügt Tucker hinzu. „Das haben wir doch schon immer“, sagt Brownstein leise, aber bestimmt. „Ja, ich mein ja auch nur“, murmelt Tucker.