Slash im Interview: „Rock’n’Roll existiert nicht mehr“
Das Musikgeschäft ist im Arsch, aber der Zylinder sitzt: Slash gastierte mit seiner Band am 19. November in der Wiener Stadthalle und traf ROLLING STONE zum Gespräch. Von Markus Brandstetter.
Auf dem Bühnen-Backdrop prangt ein Zylinder-tragender Avatar, teils Smiley, teils Totenkopf. Rummelplatz-Musik ertönt als Intro, und kurz darauf bejubelt das Publikum in der – nicht ausverkauften – Wiener Stadthalle das Erscheinen des vielleicht vorvorletzten wirklichen Rockstars und seiner Begleitmusiker. Im Vorfeld des Gesprächs mit Slash wird noch einmal von seiner Entourage darauf Wert gelegt, dass auch wirklich keine einzige Frage über seine ehemalige Band (deren Logo auf zahlreichen T-Shirts der Konzertbesucher prangt) gestellt wird. Jene Band, die er vor circa zwanzig Jahren in, sagen wir, nur bedingtem gegenseitigen Einverständnis verlassen hat. Egal, wir machen einfach die Augen zu und stellen uns vor, dass das auf der Bühne nicht The Conspirators, sondern die Gunners sind: Myles Kennedy hat den W.-Axl-Rose-Gesangsstil mittlerweile ohnehin besser drauf als Axl selbst, und zur Belohnung sowie zur Auflockerung gibt es auch an diesem Abend immer wieder das eine oder andere G’n’R-Stück. Das grandiose „Nightrain“ beispielsweise, und natürlich „Sweet Child O’Mine“. Begleitband hin oder her, gekommen sind alle sowieso nur wegen des sankrosankten Zylinderträgers und seinen Soli, die aufgrund eines anfangs wirklich unterirdisch undifferenzierten Sounds leider untergehen.
Das Slash-Sein hat Slash in seinen beinahe fünfzig Lebensjahren natürlich in jeglicher Hinsicht perfektioniert; aufgrund – mittlerweile vergangener – massiver gesundheitlicher Probleme ist die Zuneigung zu Heroin und Hochprozentigem bekanntlich einem moderaten Lebensstil gewichen. Dem Business hat das nicht geschadet, im Gegenteil. „World On Fire“ heißt das neue Werk, sein drittes Solo-Album – 17 Songs, fast 80 Minuten umfasst es. Slash-Sound in Reinkultur, Willkommen-im-Dschungel-Rock und Slide-Stampfer, Balladen, Metalbretter und cremige Soli, alles vorhanden und naturgemäß brillant gespielt. Erinnert alles an alte Zeiten, bietet über weite Strecken aber auch austauschbares Songwriting.
Warum die Platte diesmal so ausschweifend geworden ist? „Wir kriegen eigentlich immer soviel Zeug zusammen“, erzählt Slash. „Auch auf meinen ersten beiden Solo-Alben hatte ich eine Menge Material, aber wir haben nicht alles draufgepackt, weil ich einfach nicht so viele Songs auf der Platte haben wollte. Man überlegt sich dann, welche Stücke man auf eine Deluxe-Edition draufpacken kann und dergleichen. Aber das untergräbt eigentlich den Wert der Songs. Man macht Bonustracks, B-Seiten, und die gehen dann irgendwie im Ganzen unter. Diesmal haben wir gesagt: Fuck it, wir hauen alle Songs auf die Platte, was kümmert es uns“.
Sagen lässt sich der Gitarrist ohnehin längst nichts mehr. Um im dahinkränkelnden Musikgeschäft auch wirklich keine Kompromisse mehr eingehen zu müssen, hat er sein eigenes Label gegründet. Aber jetzt mal ehrlich, Slash: Steht es um die Rockmusik eigentlich wirklich so schlecht? „Der Mainstream ist schrecklich, ich hasse ihn. Die ganze Attitüde, was Rock’n’Roll war, ist verschmutzt, existiert nicht mehr“, so der Gitarrist.
„Es gibt schon eine Menge cooler Bands, aber sie werden nie eine breite Öffentlichkeit erfahren, weil sie in der kommerziellen Welt gar nicht existieren können. Jeder, der in dieser jetzigen Rock-Szene überlebt, spielt in Bands, die sich in erster Linie um kommerzielle Akzeptanz bemühen, und das geht einfach am Punkt vorbei. Das ist das Naturell des Geschäfts, wie es jetzt ist. Es wird schon wieder einmal in alle Richtungen aufbrechen (lacht), aber derzeit dreht sich das Geschäft nur ums Geld, um Firmenpolitik, um die Top 40. Jeder beugt sich dem. Einfach, weil das Business im Arsch ist. Jeder versucht zu überleben. Deshalb habe ich mein eigenes Label, ich möchte mit all dem gar nicht dealen müssen“.
Die einzige Spielart der Rockmusik, der Slash immer noch aktuelle Relevanz zuschreibt, ist Metal: „Metal ist einfach eine Sache des Undergrounds, ein Community-Ding. Es nimmt nicht den Druck des restlichen Musikgeschäfts auf sich, es bemüht sich nicht, irgendwelchen Industrie-Standards zu genügen, in den Top 40 zu sein. Die Integrität von Metal scheint immer intakt zu sein, während alle anderen immer davon infiziert sind, was ringsum so passiert. Metal ist sehr insular“. Auf die Frage, inwiefern Metal ihn beeinflusst, mag er dann aber doch nicht mehr genau eingehen: „Oh Mann, da wüsste ich gar nicht, wo ich anfangen soll“.
Keine Frage, Slash scheint so etwas wie einer der letzten Überlebenden einer aussterbenden Spezies zu sein. Mit einem bemerkenswerten Stoizismus (siehe auch: Lemmy, Slayer, Ramones, AC/DC) hat er sich er sich nicht nur einen unverkennbaren Sound, sondern auch eine überlebensgroße, beinahe comichaft-überzeichnete Persona geschaffen. Dass das Seemannsgarn von Dekadenz, Rausch und Wahn vergangener Stadionrock-Zeiten da immer noch reinspielt, steht außer Zweifel – jene Mythen helfen aber auch, die Lücke zwischen der ästhetischen Grundhaltung, dass Rock’n’Roll immer gefährlich sein müsse, und der professionellen Überroutine des heutigen Slash-Kosmos‘ zumindest ein wenig zu kaschieren.
„Ich mache das, was ich mache schon sehr lange, und ich habe es nie wirklich verändert“, summiert Slash. „Wenn ich andere Sachen mache mit anderen Leuten, dann habe ich Spaß daran, aus alten Mustern auszubrechen. Aber mein eigenes Ding, das ist immer sehr geradeaus. Es ist natürlich schön, wenn man einen musikalisch sofort erkennt – das ist bei all meinen Lieblingsspielern so, man erkennt sie nach zwei, drei Noten. Es gibt derzeit einfach keine wirkliche Rock-Szene derzeit, keine etablierte Bewegung. Die meisten Gitarristen in der jetzigen Szene … es gibt eine Menge Shredder, eine Menge Techniker, aber irgendwie keinen Gitarristen, der sich wirklich um Ausdruck bemüht. Zum größten Teil wurde die Gitarre einfach rausgedrängt. Das Gesicht davon, was wir Rockbands nennen, hat sich so verändert. Es ist sehr gesichtslos geworden. Man kann wenig wirklich wiedererkennen. Es geht nicht mehr um Originalität, um das, was in meiner Erziehung wichtig war. Jeder wollte sein eigenes Ding machen – heute versucht jeder einfach, erfolgreich und berühmt zu sein“.
Als Zugabe gibt es an diesem Abend wie gewohnt „Paradise City“, schon wieder ein Stück von diesem völlig maßlosen, grandiosen Überdebüt jener Band, über die er so ungern spricht. Appetit auf Zerstörung hat Slash längst keine mehr, eher auf Professionalismus. Die Les Paul, am besten die mit dem wunderbaren „Tobacco Finish“, wird auch am nächsten Tag wieder wie zu besten „November Rain“-Solozeiten heulen, hoffentlich bei besserem Sound als in Wien. Vorhersehbar und routiniert, aber eben auch so herrlich stoisch. It’s so easy.