SKY NONHOFF ist weit mehr als ein Pop-Literat. Nun liegt des Cineasten erster, lange erwarteter Roman „„Die dunklen Säle“ vor. Eine Hommage an das Kino seiner Jugend
Sky Nonhoff ist der King der Nachwörter. Als Lektor und Übersetzer hat er in ein paar Jahren mehr Perlen zutage gefördert, als andere je wahrnehmen werden. Darunter so übersehene oder vergessene Nummern wie Iain Banks‘ „“Verschworen“, Russell Hills „Lucy Boomer“ und Skurrilitäten wie Lewis Shiners „“Schattenklänge“ – bei dem das Nachwort eh mehr Spannung und Witz hatte. Auf dem Radar von Pop-Literatur-Liebhabern erschien er mit der Storysammlung „“Boy meets Girl“ (Rogner & Bernhard) und dem Bändchen „“Schallplatten“ (dtv). Mit Neugier erwarten daher einige sein Romandebüt „“Die dunklen Säle“ (Europa Verlag).
Ehrlich gesagt – und das werde ich hier immer bleiben -, fand ich den Titel „“Boy meets Girl“ etwas grauslig, ein paar der pointierten, selbstironisch elitären Anspielereien in „“Schallplatten“ doof; vor allem sein Prahlen, er habe „Led Zeps „II“ gegen Ramones‚ „“Leave Home“ umgetauscht. Unverzeihlich. Das kann ich sagen, und auch ihm, weil wir uns seit Jahren kennen. Ein Pop-Literat ist er ganz und gar nicht, zu verquer sind seine Hörgewohnheiten, außerdem trägt er keine Kontaktlinsen, und bevor er sich an die Tastatur setzt, recherchiert er sehr lange und ausfuhrlich – weshalb alle, die sich mit Rock &. Roll, Kino und coolen Büchern beschäftigen, seine Nachworte so schätzen. Vorjahren schwärmte er denn auch schon beim Frühstück mit Cola („“Coca-Cola! Nichts anderes!“) von The Left („“Die kennst du nicht?! Du als Musikjournalist?!“) sowie Theodore Roszaks „“Flicker“. Der Film-Roman über Hollywoods ganz eigenes Herz der Finsternis hatte es ihm angetan. Zwei Sommer später erzählte mir Sky mit nicht minder leuchtenden Augen von einer Romanidee, die nach mehr klang als der Titel „“Boy meets Girl“ (dessen Stories im Übrigen Kino/Musik-Lover genauso begeistern wie Freunde der kleinen wie großen Gefühle oder des unvergesslichen Iso Grifo, Bertone 1963). „Drehen sich letzten Endes nicht alle Geschichten darum, um Boy meets Girl?“, seine eigene, zugegebenermaßen einleuchtende Verteidigung.
Im Herzen der heißen Gefühle pocht mehr als die Liebe von Boy zu Girl, zum Beispiel auch die für Filme, die unter Freunden und die zu Standpunkten, welche man auch unter Freunden vehement vertritt. Tusch: „Die dunklen Säle“ einer Kleinstadt, in der Gleichgültigkeit gedeiht, in der für große Träume kein Platz ist, für große Gefühle am ehesten im Kino. „Und die hießen früher? „Bei uns Unionspalast, Corso… – Sky, schwärmend in Schwabing: „Atrium, Odeon, Atlantis, Gloria —überleg doch mal, was diese Namen wirklich bedeuten!“
Die Lichtspielhäuser, in denen „“Eis am Stiel“ lief, gingen unter, machten vielleicht noch Klimmzüge mit Streifen voller Schwedinnen, doch am Ende blieb nur das „Adanuy-Multiplex mit seinen Blockbustern. Außerdem blieben die Klassenkameraden, die nicht an La grande illusion glaubten oder daran teilhaben wollten. Einer, der nicht zurückblieb, sondern zurückkommt, ist Albert Unversucht, der sich erinnert: „“Ich hätte nicht mal gewusst, wo ich das Leben finden sollte, abgesehen davon, dass es wahrscheinlich sowieso im falschen Viertel wohnte.“ Das Coming-of-age des Cineasten Albert beginnt mit Szenen, die in eine Verfilmung von Hesses“ „Demian“ passen würden – behutsam, alles mit weichen Linsen, Parks und Seen als Location, die Theater-AG der Schule als Herzkammer der Gefühlswallungen. Überraschende Töne für einen, der mal Frontmann bei den Failures war.
Doch wie in manchem Film kommen, was sich anfangs andeutet, Dreher und Wendungen in der zweiten Hälfte. Und bevor man aufschaut, ist man nach einigen wirklich unvorhersehbaren Doppeldrehern bis an den Sesselrand gerutscht, hat man fast nach einem Taschentuch gegriffen, und schon ist die Geschichte vorbei. Zunächst in die Jugend in einer Kleinstadt entführt, wird man entlassen wie aus dem Kino: mit dem Gefühl, viel mitgemacht zu haben – und dem Bedürfnis, niemandem den Plot zu erzählen. „“Die dunklen Säle“, akribisch und gewissenhaft konstruiert, ist mehr als eine Hommage ans Kino. Es ist eine Doppelnacht über das richtige Leben im falschen. Für Cineasten und Phantasten.