Skrillex – Liebe & Bass

Er bringt die Massen zum Ausrasten, nur mit einem Laptop - wie schafft Skrillex das bloß? Unterwegs mit dem neuen Shooting-Star der elektronischen Musik.

Habt ihr lust auf eine party im haus des muse-Drummers?“, fragt Skrillex. „Klar, warum nicht.“ 15 Minuten später fährt das voll besetzte Auto durch die Hollywood Hills. Skrillex befindet sich auf dem Rücksitz mit seiner Freundin, der britischen Singer-Songwriterin Ellie Goulding, und dem Barmann des Hotels, das wir gerade verlassen haben. Vorne sitzt sein Tourmanager

Road Hog, der noch nie zuvor in den Hills war. „Loud Pipes“ von der Elektronik-Rockband Ratatat dröhnt durchs Auto. Goulding und Road Hog feiern den Moment, indem sie immer wieder „Der Hog ist in den Hills!“ über den Instrumentaltrack singen. Skrillex – eigentlich Sonny Moore, von guten Freunden „Skrilly“, von betrunkenen Freunden „der Skrill“ genannt – nimmt das alles mit seinem iPhone auf. „Das veröffentlichen wir“, sagt er aufgeregt, während wir einparken. Hinter uns steigen weitere Freunde und Mitarbeiter von Skrillex aus einem zweiten Auto, um den Berg hoch zu laufen. Eine Art mobile Party. „Das geht jede Nacht so“, sagt Skrillex.

Eine Woche lang mit Skrillex unterwegs – in dieser Zeit lernt man, ohne Schlaf, ohne Ruhe und Pausen auszukommen. Selbst, wenn er sitzt, ist er immer in Bewegung, hampelt mit den Beinen, trommelt auf dem Tisch und schaut um sich, damit er immer mitbekommt, was gerade passiert. „Kaum zu glauben, dass ein Mensch so leben kann“, sagt Simon Clarkson, der seine Europatermine bucht. „Er hatte auf der Tour nur einen Tag ohne Auftritt – aber er rief mich an und sagte, er habe für den Abend extra eine Party organisiert, damit er Platten auflegen kann. Er steht nie still.“

Es ist genau diese nie versiegende, nervöse Energie, die es Skrillex ermöglicht hat, mit 24 Jahren schon mehrere Musikkarrieren absolviert zu haben: Er spielte mit zwölf in seinen ersten Indie- und Punkbands, tourte mit 16 schon um die Welt als Frontmann der Top-40-Screamo-Band From First To Last und unterschrieb seinen ersten Solodeal mit Atlantic Records in dem Jahr, in dem er offiziell alt genug wurde, um die Clubs, in denen er schon lange auftrat, nun auch ganz legal als Besucher zu betreten.

Heute tritt er 300-mal im Jahr auf und spielt die unkommerziellste Musik seiner Laufbahn – seine ganz eigene, schmutzige, aggressive, dynamische Version von Dubstep, dieser bassdominierten Tanz-, Chill- und Pogomusik. Und damit wurde er zur allgemeinen Überraschung – auch zu seiner eigenen – zum derzeit vielleicht spannendsten Act der Poplandschaft. Im Februar gewann er drei Grammys. Jede Woche gewinnt er 300.000 neue Facebook-Fans. Und jeder ruft ihn an – von Dr. Dre bis Kanye West, der Skrillex in seinem Privatjet mit nach Las Vegas nahm, ihm beim Auflegen zusah und ihn dann in sein Hotelzimmer einlud, um dort ein paar Tracks mit ihm aufzunehmen.

„Ich registriere, wie viel gerade um mich herum passiert, einiges davon kapiere ich nicht ganz, und das muss ich wohl auch gar nicht“, sagt Skrillex, als wir dann mit Muse-Drummer Dominic Howard in einem der Schlafzimmer stehen, umpirscht von vier aufgeregten Mädchen, die um die Aufmerksamkeit der zwei buhlen. „Manchmal, wenn ich einen Schritt zurücktrete und mir das Ganze aus der Distanz anschaue, fühlt es sich schon unwirklich an. Aber in der Hitze des Moments merke ich nichts davon.“

Und wenn alles nach Skrillex‘ Wünschen geht, wird das auch so bleiben. „Ich mag es nicht, überall gehypt zu werden. Ich mag es nicht, mich selbst auf Titelbildern zu sehen. Und ich mag es nicht, wenn Leute über mich reden.“

Um besser zu verstehen, wer Skrillex eigentlich ist, begleiten wir ihn sieben Tage lang – durch einige Szenen aus einem achttägigen Nonstopwirbel aus Wodka, Bass und langen, sehr langen Nächten.

Szene eins:

Im Auto, Arts District, Downtown Los Angeles, Nachmittag

„Ich werde das Management bitten, dieses Schild abzuhängen“, sagt Skrillex, als wir auf den Parkplatz fahren. Aufschrift der Tafel: „Lofts schon für unter 400.000 Dollar“.

Er hängt sich den schwarzen Rucksack um, der sein komplettes Tonstudio enthält (ein MacBook und Dre-Beats-Pro-Kopfhörer) und läuft über den Hof zum hintersten Apartment. „Ich mag das Halbdunkel lieber als die Sonne“, sagt er, als er die Tür öffnet. „Weiß nicht, warum.“

Er geht hinein und schaut sich im Loft um. Es ist seines – kürzlich hat er den Kaufvertrag unterschrieben, auch für die Wohnung nebenan. Er erklärt, wo er Studio, Bar und Lounge für sein Team und seine Freunde einrichten will. Wie er da am Rand der Metalltreppe steht, sieht Skrillex aus wie ein Skater mit Gothic-Hintergrund und Computerhacking-Hobby: Er ist nur 1,65 Meter groß, von den langen, ungewaschen wirkenden Haaren, die offenbar schon einige Zeit nicht mehr mit einer Friseurschere in Berührung gekommen sind, und der Brille mit dickem Rahmen bis zu den G-Star-Hosen und Converse-Turnschuhen.

Seit vier Tagen ist er 24. Die Lofts sind sein Geburtstagsgeschenk an sich selbst – und ein eher überraschender Kauf, weil er nur selten mal ein paar seiner bei Auftritten verdienten Hunderttausenden von Dollars in etwas anderes als die Entwicklung neuer Shows steckt. Er nimmt auch nur selten die Luxus-Hotelzimmer in Anspruch, die die Plattenfirma ihm für unterwegs mietet, sondern schläft meistens bei Freunden auf der Couch.

Vor nur 21 Monaten befand sich Skrillex am Tiefpunkt seines Lebens. Ein Solo-Rockalbum auf Atlantic Records wurde monatelang wegen eines Rechtsstreits zurückgehalten. Seinen Vorschuss hatte er komplett aufgebraucht, er lebte nur noch von seiner Kreditkarte, während er durch Tour- und Arztkosten über 60.000 Dollar Schulden hatte. Weil er aus der Lagerhalle, in der er damals lebte, herausgeworfen worden war, schlief er meistens auf der Couch des befreundeten DJs 12th Planet.

In dieser Phase entschloss er sich, „My Name Is Skrillex“ zu veröffentlichen, eine EP mit Electro-Industrial-Dubstep-Tracks, die er zwischendurch erarbeitet hatte. Aber sein Label, das von diesem Projekt nicht sonderlich begeistert war, zögerte den Release neun Monate lang heraus – Begründung: Man müsse erst die Rechte an allen verwendeten Samples klären. Irgendwann nahm Skrillex die Sache selbst in die Hand, stellte die Stücke zum kostenlosen Download auf die Website seines Managers und machte auf seiner eigenen MySpace-Seite Werbung dafür. Die Downloads kamen, Hunderttausende sogar, was zu ständigen Abstürzen der Website führten. Kurz darauf rief der Starproduzent Deadmau5 an, um Skrillex fürs Vorprogramm zu verpflichten und für sein Label unter Vertrag zu nehmen.

Skrillex erinnert sich an den Moment, in dem ihm klar wurde, dass sich alles geändert hatte: vor einem Jahr bei einem Konzert mit 3.600 Zuschauern in Austin, Texas. „Das war damals die größte Show, die ich je allein ausverkauft hatte“, erinnert er sich. „Und ich fühlte diese neue Verantwortung, so ungefähr:, Fuck, das wird jetzt ernst. Ich trete nicht mehr nur bei Raves und in Clubs auf. Die Leute sind hier, um mich zu sehen.'“

Kurz darauf konnte er seine Schulden auf einmal abbezahlen. Heute, nur ein Jahr später, schlägt Skrillex Geld sogar aus – zum Beispiel die 200.000 Dollar, die ihm angeboten wurden, um seinen Song „Kyoto“ im neuen „G.I. Joe“-Film zu verwenden, oder 300.000 Dollar für Mobilfunk-Werbung. „Sobald ich anfange, über eine Sache zu lange nachzudenken, weiß ich, dass ich sie besser sein lassen sollte.“

Szene zwei:

Hollywood Palladium, Los Angeles, später Abend

Das Palladium ist zum Bersten gefüllt. Ein Pulk aus schwitzenden Leibern, von denen jeder einzelne nur auf diesen Moment wartet. Skrillex steht auf der Bühne hinter seinem MacBook und dreht die Lautstärke seines Remixes von Benny Benassis „Cinema“ herunter, bis das Publikum a cappella singt, Feuerzeuge in der Luft. Skrillex streckt den Zeigefinger aus, als wolle er anzeigen: Gleich kommt’s! Die Stimmen verfangen sich in Echo-Schleifen, beschleunigen sich, dann befiehlt eine Stimme: „Drop the bass!“ Und dann passiert’s, ein brüllendes, die Subwoofer erschütterndes Wah-Wah, begleitet von einem Feuerwerk aus Laserblitzen. Reines, pulsierendes, hörbar und sichtbar gewordenes Adrenalin. Und die Menge rastet aus – die Raver, die Hardrocker, die HipHopper, die Popper, alle.

Vier Minuten später kommt Skrillex schweißgebadet von der Bühne. „Das war Wahnsinn“, sagt er. „Ein magischer Moment!“ Und das ist Skrillex‘ Geheimnis. Er ist kein Entertainer – er ist Gastgeber einer Party, die nie endet. Nicht die Art von Party, bei der Unmengen von Drogen geschluckt werden – er sagt, er habe noch nie Acid oder Ecstasy genommen, weil er Angst habe, dass sie sein Gehirn nachhaltig verändern würden. Sondern die Art von Party mit anhaltend guter Stimmung, Freunden und zu viel von allem.

Die meisten Tournächte enden damit, dass Skrillex noch als DJ auflegt – bei einer After-Show-Party, bei irgendjemandem zu Hause, in einem Studio oder Hotelzimmer. Es ist fast so, als wäre er süchtig danach, Musik zu machen, um sich vor schlimmen Schmerzen zu bewahren. Es geht dabei nicht in erster Linie ums Performen und Gesehenwerden. „Mann, ich bin durchsichtig“, sagt er und zündet sich eine Zigarette an. „What you see is what you get: Ich liebe Musik, bin gern mit Leuten zusammen. Ich fühle mich gut, wenn ich andere glücklich machen kann. Niemand ist gern allein. Deshalb bin ich DJ.“

Auch wenn viele Skrillex in die Rolle des zornigen, jungen, weißen Mannes stecken wollen, als eine Art Kurt Cobain oder Eminem der Dance Music – er selbst sieht das anders: „Ich bin nicht zornig. Ich bin glücklich, Mann!“ Nach kurzem Nachdenken fügt er hinzu: „Aber nicht zu glücklich. Ich habe eine Mission.“

Szene drei:

Parkhaus des Atlantic-Records-Studios, Hollywood, Abend

Als Skrillex aus seinem Auto aussteigt, begegnet er Craig Kallman, dem Chef von Atlantic. Er nimmt Skrillex beiseite und sagt, er habe einige Anfragen erhalten, ob Skrillex an einer Reality-Show interessiert wäre.

„Auf keinen Fall“, sagt Skrillex.

„Wie wär’s mit einer Late-Night-Talkshow? Die wollen dich auch alle haben.“

„Ich will nicht überall sein“, grummelt Skrillex. „Es gibt ganz wenige Orte, an denen ich sein will.“

Als Teenager, als er schon mit seiner Rockband auf Tour war, hatte Skrillex ein Akneproblem. „Ich habe mein Gesicht lange hinter meinen Haaren versteckt. Deshalb sind sie so lang“, gibt er zu. Vor anderthalb Jahren rasierte er sich dann eine Seite des Kopfes, „weil ich etwas ändern musste“, sagt er trotzig. „Ich dachte mir:, Fuck it, ich kann mich nicht mehr verstecken.‘ Ich bin nicht dafür da, hübsch auszusehen. Ich bin hier, um Musik zu machen!“

Szene vier:

Atlantic-Records-Studio, Hollywood, Abend

Sobald er das Studio betritt, mixt sich Skrillex einen Drink und holt das MacBook aus dem Rucksack. Er lässt zwei Tracks laufen, einen, an dem er gerade mit Damian Marley arbeitet, und ein Nebenprojekt seiner Freundin Ellie Goulding, das wie Portishead klingt.

„Das hat noch keine echte Richtung“, sagt er kopfschüttelnd, „und es ist zu poppig.“ Er startet das Programm Ableton Live, innerhalb weniger Minuten entsteht ein ziemlich guter Dubstep-Track. Dann beginnt er, Schichten von Gesangsschnipseln, gefilterten Drum-Samples und Publikumsgeschrei zu einer Klimax zu montieren, um den Drop vorzubereiten, den Moment, in dem der Bass kommt. „Oft ist der Drop so gut wie die Hinleitung“, sagt er. „Du musst die höchstmögliche Intensität zum richtigen Zeitpunkt hinbekommen. In letzter Zeit versuche ich, mich stärker darauf zu konzentrieren. Je länger das Vorspiel, umso besser!“

Szene fünf:

Velvet Margarita Bar, Hollywood, mitten in der Nacht

Der Abend ist schon vier Cocktails und zwei Schnäpse alt, als sich Skrillex auf seinem Barstuhl dreht und fragt: „Glaubst du an, Licht an‘ oder, Licht aus‘?“

Wie bitte? „Was soll das alles hier, wenn danach nichts mehr kommt?“, sagt er. Anscheinend geht es darum, ob es ein Leben nach dem Tod gibt. „Wenn ich morgen aufwachen würde und wüsste, am Ende geht’s nicht weiter, würde ich mich fragen, warum ich mehr wert sein soll, als die Kacke, die ich mir heute früh vom Hintern gewischt habe. Oder welcher Unterschied zwischen mir und einem ausgestopften Tier besteht.“

Dies sind tiefgehende Fragen, die man nur unter dem Einfluss der bes-ten Margaritas und des besten Marihuana diskutieren sollte. Skrillex ist nicht religiös, aber er glaubt an eine höhere Macht und dass wir „Teil eines größeren Ganzen“ sind. Außerdem, sagt er, mag er Aliens.

Skrillex geht nach draußen, wo er – mit zwei Zigaretten in den Händen – über das Leben nach der Musik nachdenkt. „Eines Tages, wenn der Kick nicht mehr da ist, wünsche ich mir jemanden, mit dem ich eine Vision entwickeln kann. Ich hätte gern zwei Kinder und würde noch ein drittes adoptieren. Ich selbst wurde adoptiert, und ich liebe meinen Dad. Es hat funktioniert.“

Er schüttelt den Kopf. „Im Moment bin ich mit einer Machete im Dschungel unterwegs. Aber wenn ich ankomme, wo ich hin will, dann werde ich eine Familie haben.“ Er zieht an der Zigarette. „Und ich werde mit dem Rauchen aufhören. Und ins Fitness-Studio gehen. Dann bringe ich mich in Form fürs Leben.“

Beat-Ballermann

Bei Insidern ist Skrillex unbeliebt – weil sie ihm den Erfolg nicht gönnen? Oder weil er Dubstep-Ideale verrät?

Sonny Moore alias Skrillex ist nicht nur in den USA ein Star: Er ist der erfolgreichste und meistgehypte Pop-Produzent der Saison. Mit seiner heiter-brutalen Hochgeschwindigkeitselektronik hat er zuletzt auch in Deutschland große Hallen gefüllt – und das, obwohl seine Musik mitnichten hörerfreundlich ist: Hektisches Geboller wechselt mit schwindelerregend schnell hin- und herflitzenden Stimmschnipseln, gelegentlich können die Ohren sich bei langsamer schwingenden Bass-Passagen oder bei hymnisch hochstrebenden Disco-Bögen erholen, die zum Armwedeln einladen. Dann aber siegt sofort wieder der Wille zum Klangalarm.

Man kann das als Weiterentwicklung des Genres Dubstep betrachten: jener seit Mitte der Nuller-Jahre erblühenden britischen Clubmusik, in der sich hektisch verzwirbelte Beats mit langsameren, weich wackelnden Bässen verbinden. Allerlei avantgardistische Pop-Entwürfe sind aus dem Dubstep entstanden: so etwa die düstere Science-Fiction-Musik von Kode9 und Burial oder der introspektive Neo-Soul von Jamie Woon oder James Blake. Derart breite Publikumsmassen wie Skrillex hat aber bisher noch niemand erreicht: Ausgerechnet ein US-Amerikaner bringt den britischen Underground-Sound in die globalen Pop-Hitparaden!

Natürlich sind die distinktionsbewussten Dubstep-Freunde in Großbritannien davon not amused. Hunderte von „Why I Hate Skrillex“-Seiten gibt es im Netz. Erschwerend kommt hinzu, dass Sonny Moore sich wie ein Dorfgruftie frisiert und als Produzent nicht nur mit Lady Gaga, sondern auch mit den kalifornischen Nu-Metal-Spacken Korn zusammengearbeitet hat. So groß war der Hass der Dubstep-Gemeinde zwischenzeitig, dass sich einige anerkannte Protagonisten – zum Beispiel die Produzenten Benga und Skream – zu öffentlichen Solidaritätsbekundungen mit Skrillex entschlossen und Auftritte mit ihm bestritten. Seither scheint sich die Stimmung zu entspannen. Und wer weiß, vielleicht taugt Skrillex ja sogar zum Vorbild? James Blake, der ihn vor kurzem noch als „machistisch“ und „reaktionär“ kritisierte, hat für sein eigenes nächstes Album nun auch deutlich aggressivere Musik angekündigt. Jens Balzer

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