Sir Doppelherz
Zwei Freunde mußt du sein: Andreas Dorau versöhnt endlich den Romantiker und den Hedonisten in sich.
Dorau umarmt die Wildsau, freundschaftlich. Dorau bietet dem Kind der Sau, das ein Kleidchen wie Königin Tusnelda trägt, einen Granatapfel an. Solche Bilder von sich hat er vor kurzem in Umlauf gebracht, in der Pressemappe zur neuen Platte. Könnte doch sein, daß ihm das in fünf Jahren sehr peinlich ist, aber solche Sachen sind ja sein Spezialgebiet. Nicht unbedingt Lach-doch-mal-Gags, sondern die Ausgeburten einer unerschöpflichen Extrovertiertheit, die für Popstars eigentlich normal sein müßte, die aber zumindest in Deutschland keiner so rausläßt wie Andreas Dorau, 40, aus Hamburg, der sonst ein schüchterner Mann ist Man erinnert sich möglicherweise: 1981, in der Verfilmung von „Fred vom Jupiter , Dorau als Tänzer mit goldgeschminktem Gesicht 1988, Dorau als Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt mit Pfeife und Schifferkappe auf dem Cover der Platte „Demokratie“(Das ist Demokratie, langweilig wird sie nie“). 1994, der als Techno-Artist wiedergeborene Dorau als Rave-Girl mit Zöpfen auf dem Cover von ,JVeu.'“ (ein Symbol für Unschuld, sagt er). 1997, mit neonblonden Ciristian-Kracht-Haaren, auf Skiern.
Bitte, was davon ist ihm peinlich? Nun ja, nur die Platte „Die Daraus und die Marinas geben offenherzige Antworten auf brennende Fragen“ von 1983, weil er da so unglückliche Texte und Stilrichtungen ausprobiert habe, sagt Andreas Dorau, wieder dunkelhaarig.
Und den aktuellen Bildern mit der Wildsau hinterliegt sogar ein Konzept Eigentlich nur eine Ausrede, sagt er, falls die Leute ihn fragen, warum er für die neue Platte denn acht Jahre gebraucht habe. Das Konzept: Der Keiler ist sein zweites Ich. Andreas, die Hälfte von ihm, die das komplexe, romantische Lied mag. Oder Dorau, die andere Hälfte, der Hedonist, der einen knappen, schädelspaltenden Refrain und eine bumsende Bassdrum viel mehr mag. „Was jetzt als Andreas und Dorau auftaucht, dieses Problem war eigentich immer schon da. Einerseits das wollen, andererseits das wollen, ein innerer Zweikampf.“
Entsprechend heißt die Platte „Ich bin der eine von uns beiden“, und er besteht darauf, daß in den meisten Stücken ein bißchen vom einen und vom anderen steckt „Ein Zwitterwesen, das sich immer so auffächert“ Nicht wie bei seinem Freund Justus Köhncke aus Köln, der auf seiner letzten Platte „Doppelleben“ selbstgemachte Schlager und instrumentale Tanz-Tracks nebeneinanderstellt. Köhncke hat auf ,Jch bin der eine…“ vier Stücke produziert, besser: Er hat Lieder von Andreas so instrumentiert, wie Dorau gern dazu tanzen würde.
An der Differenz zwischen Song und Track, die ja gar nicht so klar ist, haben sich Dance-Rocker und jugendwahnsinnige Alte schon zehn Jahre lang abgearbeitet Für Andreas Dorau war die Grenze ein willkommener Fluchtweg: „Fred“, ein Ulk, der sich 350 000-mal verkaufte, brachte Schwierigkeiten, weil er ständig erklären mußte, warum er etwas anderes als Nena sei. Die Techno-Wende machte ihn dann 1994 ein zweites Mal zum Teen-Star, als sein „Stoned Faces Don’t Lie“ beim „Mayday“-Festival viermal am Tag aufgelegt wurde. „Da übernahm Dorau die Macht über Andreas, da fühlte er sich extrem bestätigt“ Mittlerweile regieren sie als Doppelspitze.
Die neue Elektropop-Platte wird wieder alle auf die Palme bringen, die seine Koketterie mit dem Naiven doof finden, und wird gleichzeitig allen ein wissendes Grinsen schenken, die dahinter gewitzte Subversion sehen. „Schwarze Furchen“ beispielsweise beschreibt wie Wildschweine in Berlin einfallen, „Kein Liebeslied“, komponiert mit Sven Regener, zählt Alternativen zum Love-Song auf: Alte, Kinder, Tiere, Pflanzen. Doraus Stimme klingt immer so freundlich. Mit Absicht: „Das Eindimensionale geht für mich schon da los, wo ein Stück einen traurigen Text hat eine traurige Melodie, und mit einem traurigen Ausdruck in der Stimme gesungen wird. Dann ist es ein Klischeestück. Ich hasse Klischees.“
Das hat wohl Andreas gesagt. Dorau wird doch gegen ein paar elegante Plattheiten nichts einzuwenden haben.