Sinn und Sinnlichkeit: Der Filmregisseur Ang Lee wird 60
Mit Filmen wie "Brokeback Mountain", "Life Of Pi" oder "Tiger And Dragon" feierte Ang Lee Publikumserfolge, überzeugte aber auch mit gefühlvollen Literaturadaptionen wie "Sinn und Sinnlichkeit" und "Der Eissturm". Heute wird der in Taiwan geborene Filmregisseur 60 Jahre alt.
Wie kaum ein anderer Regisseur aus dem fernen Osten hat der in Pingtung in Taiwan geborene Ang Lee das Hollywood-Kino erobert – und ist doch stets ein Grenzwanderer zwischen den beiden Kontinenten geblieben. Dabei gelangen ihm eindrucksvolle Publikumserfolge wie „Sinn und Sinnlichkeit“ oder zuletzt „Life Of Pi“. Mit jedem seiner in den Staaten gedrehten Filme versuchte er sich – mehr noch als viele seiner US-Kollegen – an einer sensiblen Kartographie des American Way Of Life. Heute wird Lee sechzig Jahre alt. Grund genug, sich noch einmal seinem außergewöhnlichen Werk zu widmen:
„Brokeback Mountain“ blieb vielen Kinozuschauern als ungewöhnlich zärtliche und im Grunde von allen Klischeevorstellungen über homosexuelle Darstellungen im Kino befreite Liebesgeschichte in Erinnerung, die zugleich das weite Feld gesellschaftlicher Tabu-Zonen erforschte und trotzdem einen intimen Blick in kaum berechenbare seelische Untiefen wagte. Darüberhinaus fand Lee mit großartigen Landschaftsaufnahmen einen Metapherraum, um die Sehnsüchte seiner Figuren zu spiegeln. Bis heute ist es keinem weiteren Filmemacher des Publikumskinos gelungen, derart komplex und trotzdem allgemeinverständlich mit diesem Thema umzugehen.
Mit jedem neuen Film erkundet Ang Lee ein neues Genre
Doch auch wenn Lee mit der Comic-Verfilmung „Hulk“ ästhetisch und finanziell baden ging, seine große Stärke ist es, vor Genregrenzen keine Scheu zu haben. Mit „Taking Woodstock“ feierte er das Lebensgefühl der Hippie-Kultur – ohne je der Versuchung zu erliegen, einfach nur die Festival-Dramaturgie in das Zentrum seines Films zu stellen. Nur kurz wird der kulturelle Höhepunkt der Flower-Power-Bewegung in Augenschein genommen, als fernes Rauschen am Horizont, das schneller wieder verstummte, als es heute sein legendärer Ruf annehmen lässt.
Mit „Tiger And Dragon“ widmete sich der eigensinnige Taiwanese auch der Tradition asiatischen Kampfkunstkinos und verwandelte seinen packenden Action-Film in ein stilsicheres Ballett der aufeinander prallenden und miteinander ringenden Körper. Dabei interessiert Lee eigentlich in allen seinen Filmen die Fragilität von Körper und Seele im Angesicht der Bedrohung. „Der Eissturm“, einer seiner eindringlichsten Werke, zeigte anhand eines bedrohlichen Naturschauspiels, das zuletzt auch ein Opfer forderte, mit welcher zunächst kaum sichtbaren, sich dann aber gefährlich entladenen Folgerichtigkeit menschliche Gefühle aufeinandertreffen können. Dabei schien es Lee stets leicht zu fallen, seine Schauspieler zu Höchstleistungen anzutreiben. Sigourney Weaver und Kevin Kline waren nie besser als in „Der Eisturm“ – und die Jungstars Christina Ricci, Tobey Maguire und Elijah Wood durften zeigen, welch nachhaltiges darstellerisches Potenzial sie besaßen.
Der Schauspieler-Regisseur interessiert sich vor allem für die Fragilität von Körper und Seele
Wie in „Gefahr und Begierde“, vom Publikum eher ignoriert, geht es Lee vor allem auch darum, zu zeigen, wie ohnmächtig Kommunikation im Angesicht der seelischen und sexuellen Herausforderungen des Menschen ist. Dass es dem Regisseur gelingt, diese Botschaft auch mit großer Leichtigkeit und viel Humor zu vermitteln, bewies er schon mit seinem dritten Film, der zauberhaften Koch-Komödie „Eat Drink Man Woman“.
„Life Of Pi“, wie viele von Lees Filmen nach einer Romanvorlage verfilmt, konnte nicht nur mit atemberaubenden Leinwandeffekten punkten, sondern befreite die Erzählung Yann Martels geschickt von ihrem manchmal etwas esoterisch anmutenden existenzialistischen Überbau. Wie auch schon „Avatar“, „Oben“, „Pina“ und „Die Höhle der vergessenen Träume“ setzte der Film seine dreidimensionale Präsentation nicht plump dazu ein, die Zuschauer zu erregen. Vielmehr ging es Lee es darum, sein Publikum in den dramatischen Existenzkampf hinein zu saugen, es wie seine Hauptfigur auf schwankendem Grund zurückzulassen. Der Untergang des Frachters, der einen ganzen Zoo von einem Kontinent zu einem anderen befördern sollte, gehört in seiner eindrucksvollen Inszenierungen zu den besten Filmszenen der letzten Jahre.
Seine oftmals nachdenklich stimmenden Filme bleiben stets unberechenbar – und sind deswegen beim Publikum erfolgreich
Wie auch immer man das Œuvre von Ang Lee betrachten mag, es bleibt durch seine vielschichtige Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Genres und Stoffen stets unberechenbar. Das hat den Regisseur nicht davor gefeit, mit bestimmten Themen an seinem Publikum (und manchmal auch an der zurückhaltenden Kritik) vorbei zu inszenieren. Doch eigentlich findet sich in jedem seiner Werke mindestens eine nachdenklich stimmende Szene.