Singen wie Marvin
Nathaniel rateliff braucht Routine, um Inspiration für seinen seelenvollen Folk zu finden. Am besten funktioniert das bei der Gartenarbeit. „Es hält mich zwar nicht wirklich in Form, aber ich kann nur schreiben, wenn ich einen geregelten Tagesablauf habe. Wenn ich nicht muss, tu ich meist gar nichts“, sagt Rateliff und grinst in seinen Oberlippenbart. Wenn man sich seine Laufbahn ansieht, versteht man das besser. Denn der Songwriter war immer schon ein Arbeiter. Nachdem er als Teenager die Schule geschmissen hatte, verdiente er erst als Zimmermann, dann als Trucker sein Geld. Seine Stimme trainierte er, indem er in den Mittagspausen Soulsänger wie Al Green und Marvin Gaye für seine Kollegen imitierte. Nebenbei spielte er mit Joseph Pope III, seinem besten Freund, in einer Band – alles, um endlich aus dem öden, ländlichen Missouri ausbrechen zu können. Die beiden schafften es nach ein paar Jahren Schichtarbeit nach Denver, wo Rateliff als Gärtner jobbte und 2010 mit seinem Solodebüt „Memory Of Loss“ erstmals auf sich aufmerksam machte.
In den vergangenen Jahren kam er dann wohl nicht so viel zum Gärtnern, denn seit der Veröffentlichung der fulminanten ersten Songs tourte er mit Mumford &Sons, Michael Kiwanuka und Dr. Dog, war zu Gast bei Jools Holland, gründete die Soulband Nathaniel Rateliff And The Night Sweats, heiratete und schrieb ein neues Album. „Die meisten Songs entstanden deshalb auf Tour, aus Überdruss -denn obwohl ich ständig von Leuten umgeben war, fühlte ich mich verlassen.“ Die Songs auf „Falling Faster Than You Can Run“ handeln von Depression, Streit und dem Immergrün jedes Liedermachers: der Liebe. Seine Lyrik ist voller Metaphern und nicht leicht zu entschlüsseln. Eine Akustikgitarre, die auch von Bon Ivers Justin Vernon gespielt sein könnte, und der dynamisch-verspielte Gesang Rateliffs schaffen die Basis; die spärlich eingesetzte E-Gitarre und das Schlagzeug verfeinern seine leidenschaftlich interpretierten Songs in den richtigen Momenten.
Fragt man nach seiner Inspirationsquelle, nennt Rateliff Leonard Cohen, dessen Zeitlosigkeit er bewundert -mit dem er sich aber keinesfalls messen will: „Ich singe, was mir gerade einfällt. Es wäre überheblich, zu denken, man könnte so einfach etwas für die Ewigkeit schaffen.“ Dennoch -es sind große Namen, an denen sich der Mann mit der am Soul geschulten Stimme orientiert: Künstler wie Stan Getz, Vince Guaraldi und Harry Nilsson. Nathaniel Rateliff aber bleibt Gärtner, der einfach Lieder schreiben muss.