Sing Out!
Die Folkies der frühen fünfziger Jahre definierten sich primär als Teil der Bürgerrechtsbewegung und erst in zweiter Linie als Musiker. Erst als gesellschaftlicher Dissenz sich musikalisch anders zu artikulieren lernte als mit rechtschaffenen Appellen zu akustischer Gitarre, mit dem Advent von Elvis also, begannen Folk-Musiker auf künstlerische Aspekte größeren Wert zu legen. Nicht alle freilich.
Amerikas aufklärerische Kräfte hatten Mitte der 50er Jahre einige Missstände weniger zu beklagen, nachdem der Koreakrieg im Sommer 1953 zu Ende gegangen war, ohne Friedensvertrag zwar, aber immerhin, und nachdem die antikommunistische Paranoia und die Pogrome der McCarthy-Ära abgeflaut waren. „Man konnte wieder freier atmen“, konzedierte Pete Seeger, personifiziertes Gewissen der Gegenkultur, „aber davon durften wir uns nicht einlullen lassen, es lag ja noch viel im Argen“. Mit „wir“ meinte Seeger die Bürgerrechtsbewegung. Und er hatte gewiss nicht unrecht, denn der Kalte Krieg tobte weiter, Rassismus war mancherorts noch virulent, sogar der Ku Klux Klan zeigte hier und da noch grässliche Präsenz, und die manichäische Politisierung breiter Bevölkerungsschichten zementierte eine gefährliche Lagermentalität. Auf der einen Seite erlaubte wachsender materieller Wohlstand die Massenflucht in Eigenheime, wo Konformismus und Konservatismus gepflegt wurden. Auf der anderen hatte jene traditionelle Linke, deren Ideen schon in den Songs Woody Guthries Ausdruck gefunden hatten, Konkurrenz bekommen. Rebellion buchstabierte man plötzlich Rock’n’Roll, Beatniks und ihre Poeten scherten sich einen Dreck um ideologische Dogmen, und die US-Jugend schwärmte für einen Schlaks namens James Dean, für den der Kamm in der Gesäßtasche nicht nur im Kino das wichtigste Utensil war in einem sehr privaten Überlebenskampf. Rebel without a cause.
Pete Seeger, seinem Selbstverständnis nach rebel with a cause, konnte mit diesen Zeichen der Zeit so wenig anfangen wie viele seiner Mitstreiter. Elvis wurde unter Kornmerzialismus abgelegt, Kerouac unter Eskapismus, fertig. „Which Side Are You On?“, 1931 anlässlich eines Bergarbeiterstreiks in Kentucky von Florence Reece geschrieben, der Frau eines Streikenden, stellte noch immer die entscheidende Frage und wurde mit ebensolcher Emphase gesungen wie die Hymne „We Shall Overcome“. Hoffnung schien in der Tat angebracht, denn trotz Beats und Be-Bop-A-Lula boomte Folk. Die Bewegung bekam enormen Zulauf, vor allem von der studentischen Jugend. An den Universitäten fand auch „Sing Out!“ reißenden Absatz, seit Beginn der Fünfziger das Organ nicht nur für Folk-Songs, die das Magazin in großer Zahl abdruckte, sondern auch für „the common struggle for a better life“. Politisch radikaler und in kleinerer Auflage wurde in „Broadside“ agititiert, im Fokus von „Sing Out!“ standen für gewöhnlich die Bürgerrechte, unveräußerlich gemäß Verfassung, unter dem massiven Druck gesellschaftlicher Interessen dennoch gefährdet. Wie die Meinungsfreiheit in den finstersten Tagen des McCarthy-Terrors, als Spitzelei und Denunziantentum mit Orden belohnt wurden. Seegers Adaption einer deutschen Weise war es, die seinerzeit dagegenhielt: „Foundations may crumble/ And structures may tumble/ But free men shall cry/ Die Gedanken sind frei.“
Woody Guthrie, der seine Song-Chroniken nicht selten vor Ort an sozialen Brennpunkten verfasst hatte und nie einen Zweifel darüber aufkommen ließ, wessen Seite er vertrat, fand etliche Nachahmer, aber keinen würdigen Nachfolger. Auch an der Kunst des Huddie Ledbetter aka Leadbelly, die existenzielle Erfahrung des Blues in Folk-Songs zu gießen, haben sich viele vergeblich versucht. Und weil das nicht gelang, sang man eben die Originale von „Cotton Fields“ bis „Rock Island Line“. Leadbellys Haus in New York sei, so sein Biograf Charles Wolfe, bis zuletzt „a centre for leftist folk-blues activity“ gewesen. Guthrie selbst hatte ihm 1949 noch seine Aufwartung gemacht, kurz bevor Leadbelly starb. Was der Popularität seiner Songs keinen Abbruch tat.
Im Jahr darauf machten die Weavers sein „Goodnight Irene“ zum Evergreen, und „Take This Hammer“, in dem der Protagonist seinen Job hinschmeißt, weil sein Stolz es ihm verbietet, sich weiter ausbeuten zu lassen, lief fast so oft im Radio wie Pete Seegers „If I Had A Hammer“, ein grundgütiger, ja frommer Wunsch, denn: „It’s the hammer of justice!“
Ende der 50er Jahre war aus der zunächst recht homogenen, durch soziales Engagement zusammengeschweißten Folk-Bewegung eine liberale Szene geworden, in die eingemeindet wurde, wer zur Klampfe Lieder sang, die nicht Pop waren. Oder nicht nur Pop wie im Falle von Odetta. Bob Gibson oder Harry Belafonte. Die Grenzen wurden durchlässig. „Tom Dooley“, eine Mordballade aus den Appalachen. die 1958 in der Version des Kingston Trio vielmillionenfach verkauft wurde, war fraglos beides, Folk und Pop. Gute Musik ohnehin. Pete Seeger, wen wundert’s, widerspricht. „The question is not ,Is it good music?“‚, so der Zweckrationalist, „but ,What is the music for?'“. Das Primat der Politik: In ihm lebte es fort.