Sind Bonfire unsichtbar? Die Metal-Weitermacher werden von denen ignoriert, die ihnen früher auf die Schultern klopften
Wenn die Männer von Bonfirc Gerechtigkeit bekämen, würden sie sich etwas besser fühlen. Sie fühlen sich nicht direkt schlecht, wenn sie zwischen den Terminen ihrer fast immerwährenden Tournee (Sie erinnern sich an die mächtige Anzeige, die überall drin war: 14.11. Cardiff, 22.11. Barcelona, 5.12. Geiselwind) in „Sigis Bistro“ in Ingolstadt sitzen, nur ein paar Schritte weg von ihrem ersten Proberaum. Sie wollen Tickets verkaufen und CDs und T-Shirts wie alle anderen. Aber wenn man dem 43-jährigen Sänger Claus Lessmann und dem 45-jährigen Gitarristen Hans Ziller eine Zeit lang in die Gesichter geschaut hat, die es bedingungslos ernst meinen mit was auch immer, dann glaubt man: Ein paar Tickets und CDs und T-Shirts würden sie opfern, wenn sie stattdessen Gerechtigkeit bekämen. Sie würden sich wohl auch als alte Rock-Schweine beschimpfen lassen, weil das zwar unschön formuliert ist, aber irgendwie den Kern des Anliegens von Bonfire trifft.
„Radio kannst du vergessen. Wir würden höchstens in Bayern 5 stattfinden, aber dazu müssten wir mit dem Flugzeug abstürzen“, sagt Lessmann. Als sie sich vor kurzem fürs Taubertal-Festival bewarben, habe der Veranstalter „schallend gelacht“: Was sie denn da zu suchen hätten, sie seien doch eine Achtziger-Band. Die „Rock im Park“-Absage kam mit der Begründung, man brauche keine Retro-Acts. „Dann haben sie Ozzy Osbourne engagiert…“ Die Ungerechtigkeit ist also doppelt verkreuzt, ein seltener Fall: Erstens machen Bonfire seit einigen Jahren wieder neue Musik und sind daher per Definition keine Oldie-Band. Zweitens hilft ihnen diese böse Nachrede nicht einmal dann etwas, wenn explizit Oldie-Bands gesucht werden, zum Beispiel für die Achtziger-Shows. „Komischerweise wurde Heavy Metal da komplett totgeschwiegen, obwohl der zwischen ’85 und ’90 den Plattenfirmen und Veranstaltern die Taschen richtig voll gemacht hat“, sagt Lessmann. „Die Leute, denen das damals gefallen hat, die sind weder ausgewandert noch gestorben, und die hören das noch heute.“
In Wirklichkeit erzählen heute viele von denen spaßeshalber von ihrer Metal-Phase, interpretieren das als Ritus beim Erwachsenwerden, schämen sich schelmisch für alte Fotos und tun so, als hätten sie Bonfire nie gekannt, wenn die plötzlich mit einer neuen Platte an der Türe klingeln. Bonfire hatten halt keinen Eddie, keine Schuluniform, keine Kiss-Masken oder Nahtod-Erfahrungen wie Mödey Crüe. Sowas würde jetzt helfen, wenn man (weiter vorne in diesem Heft) das kleine Metal-Revival sieht. Aber die Gerechtigkeit, die sie wollen, wäre auch das nicht.
Es wird noch schlimmer. Weil Bonfire auf dem neuen Album „Free“ nämlich etwas allgemeinverträglicher klingen, steigen ihnen jetzt sogar die Getreuen aufs Dach. „Kein Bombast mehr, kein mitreißender Groove für die gute Laune“, warnt ein Fan in seinem Amazon-Kommentar, und im Kommentar zum Kommentar merken die Bandmitglieder nur fatalistisch an, dass ihnen nun mal ein harter Wind ins Gesicht wehe. Und in dem Moment beneidet man sie ein bisschen um die himmlische, von keinem Selbstzweifel gestörte Ruhe, die von außen als Verbohrtheit erscheint. „Man kommt nur über die Live-Schiene an die Leute ran. Wir spielen jetzt mehr“, sagt Gitarrist Ziller. Wenn die Medien dich nicht wollen, musst du halt dein eigenes Medium sein.