Shouting For Girls: Zu Gast bei Freunden
In ihrer englischen Heimat sind Scouting For Girls bereits dick im Geschäft, nun ist der Rest der Welt an der Reihe. SOUNDS begleitete das Trio aus einem Londoner Vorort bei seinem ersten Besuch in Deutschland. Eine Currywurst in Kreuzberg stand natürlich auch auf dem Programm.
Ob London oder Berlin, ob Fish’n’Chips oder Currywurst mit Pommes: Für Roy Stride ist der Unterschied kein gewaltiger. Denn der Mann ist nicht nur Sänger, Pianist und Songschreiber von Scouting For Girls, sondern auch Vegetarier und begnügt sich hier wie dort mit den frittierten Kartoffelschnipseln. Der Rest von Scouting For Girls aber stürzt sich tapfer in das kulinarische Abenteuer. Mit britischer Duldsamkeit verdrücken Bassist Greg Churchouse und Schlagzeuger Peter Ellard die überwürzte Spezialität des legendären Kreuzberger Imbisses „„Curry 36“. Der Hunger treibt’s rein: Britanniens aktuelle Pop-Überflieger haben bereits einige Stunden harte Arbeit hinter sich, denn nun soll auch der Kontinent erobert werden. „„Schließlich ist Popmusik der einzige ernstzunehmende Exportartikel, den wir noch haben“, grinst Churchouse.
In England füllt das Trio Arenen mit bis zu 10.000 Menschen. Im Berliner Frannz-Club waren am Abend zuvor immerhin einige Hundert erschienen. Nicht schlecht für eine Band, deren Debütalbum erst wenige Tage zuvor offiziell in Deutschland erschienen ist. Und die, die gekommen waren, sangen die Refrains von „She’s So Lonely“, „Elvis Ain’t Dead“ oder „I Wish I Was James Bond“ fehlerfrei mit. Ähnliches passierte der Band bereits in Australien, den USA und vor allem in Japan. „In Tokio konnte das Publikum jeden Text auswendig“, erzählt Bassist Churchouse, während seine Kollegen den Kickertisch in der Berliner Radio-Energy-Redaktion stürmen: „„Erstaunlich, wozu das Internet fähig ist.“
Zwei Faktoren erklären den erstaunlichen Erfolg von Scouting For Girls: Einerseits schreibt Roy Stride Songs, die sagenhaft schnell ins Ohr gehen. Andererseits hat die Band systematisch die Möglichkeiten des Internets genutzt, um diese Songs zu verbreiten. Ihre Geschichte beginnt in einer Institution, wie sie kaum britischer sein könnte: bei den Pfadfindern. Die wurden 1907 von einem gewissen Robert Baden-Powell, Leutnant der Armee, gegründet. Ein Jahr später veröffentlichte der Offizier die Prinzipien seiner Bewegung unter dem Titel „„Scouting For Boys“ und wiederum acht Jahrzehnte später lernen sich Roy Stride und Pete Ellard, kaum fünf Jahre alt, bei den Pfadfindern kennen.
Ihre Fortsetzung findet diese Geschichte an einem sogar noch britischeren Ort: in einem Pub. Stride und Ellard gründen im Jahr 2005 zusammen mit dem ehemaligen Schulfreund Greg Churchouse eine Band. Man benennt sich nach dem Standardwerk der Pfadfinder und sieht die Band eher als Hobby. Nach mehreren gescheiterten Versuchen in anderen Bands hat man die hochfliegenden Träume von einer Popstar-Karriere eigentlich zu den Akten gelegt, lebt vom schmalen Gehalt eines Verkäufers, als Aushilfe auf dem Bau oder bisweilen gar von Arbeitslosengeld. Stride schreibt seine Songs „hauptsächlich „für meine Kumpels im Pub“. Sie handeln vom Erwachsenwerden, von der ersten Liebe, vom ersten Verlassenwerden, natürlich von durchsoffenen Wochenenden im JJ. Moon’s, der Stammkneipe im nordwestlich von London gelegenen Vorort Harrow, wo die drei bis heute leben.
Die Songs von Stride greifen britische Traditionen auf, das atmosphärische Flirren der Smiths, die melodische Großspurigkeit von Oasis, aber auch die genaue Beobachtungsgabe eines Ray Davies. Diese Qualitäten versöhnt Stride mit dem Popverständnis von R.E.M. oder Brian Wilson, seinen amerikanischen Helden. Die Folgen dieser transkontinentalen Ehe sind so eingängig, dass sie jeder, sei er noch so betrunken, problemlos beim allerersten Hören mitsingen kann. Es ist der Soundtrack zu, wie Churchouse es ausdrückt, „„dieser sehr speziellen Trinkkultur in Großbritannien“. Stride formuliert es schlichter: „„Das sind eben Songs fürs Pub.“
Genau dort kamen diese Songs auch erstmals zum Einsatz: Im The Trinity, einer ebenfalls in Harrow gelegenen Mischung aus Club und Kneipe, traten Scouting For Girls zunächst regelmäßig alle sechs Wochen auf. Zu nahezu jedem Konzert nahm das Trio zwei neue Songs auf, brannte sie, kopierte selbstgestaltete Cover und verkaufte die CDs. Die Auftritte bewarb die Band nahezu ausschließlich über MySpace und andere Social-Networking-Portale. Ein Fanclub entstand, der Wolf Cub Club, und wuchs schnell auf mehr als 2.000 Mitglieder. An die verschickte die Band so lange eigenhändig gestaltete CDs, Club-Abzeichen, Postkarten und medizinische Hinweise zur Heilung eines gebrochenen Herzens, bis der organisatorische Aufwand überhand nahm. Stride entwarf sogar einen Geheimcode, mit dem Clubmitglieder ihre untereinander verschickten Nachrichten verschlüsseln konnten.
Ein paar Jahre jünger, hätten Roy, Greg und Pete wahrscheinlich eine Geheimorganisation gegründet, im Hinterhof des elterlichen Hauses gezeltet und begeistert „Die drei ???“ gelesen. Stride, Churchouse und Ellard aber spielten Instrumente und studierten den New Musical Express „„wie andere die Bibel“, so Churchouse. Statt einem Baumhaus baute die Band den Wolf Cub Club. „„Ich will nicht erwachsen werden“, sagt Stride, der mit Ellard sofort jeden Kickertisch in Reichweite besetzt, „„ich glaube, dass eigentlich niemand erwachsen werden will.“ Dieser leicht infantile Ansatz setzt sich fort im Cover-Artwork des Debütalbums: Abgebildet sind Kinderfotos der Bandmitglieder, Spielzeuge und Puppen, Anstecker und Malstifte, ein Jojo und ein Papierflugzeug.
Ein ehrlicher Spaß
Eine Ästhetik der Privatisierung, die ihre Entsprechung findet in den sehr persönlichen Texten von Stride: Britpop als Poesiealbum. „Ich bin sehr stolz darauf“, sagt Stride, der einen Universätsabschluss in englischer Literatur vorweisen kann, „dass unsere Songs gute Unterhaltung sind und dabei kein bisschen zynisch.“ Nein, allzu hintergründig sind Scouting For Girls nicht, Ironie ist ihren Songs fremd. Sie sind vor allem „„ein ehrlicher Spaß“, sagt Churchouse. Diese authentische, völlig hintergedankenfreie Freude an der eigenen Musik ist das erste Alleinstellungsmerkmal von Scouting For Girls. Während sich andere Britpop-Bands verzweifelt um eine coole Erscheinung und ein rebellisches Image bemühen, wollen Scouting For Girls Hits schreiben: „Denn seien wir doch mal ehrlich: Die besten Songs waren auch immer die größten Hits.“
Auf dem Weg zum Hit war aber sicherlich auch das zweite Alleinstellungsmerkmal hilfreich: Der Sound der Band wird nicht wie im Britpop sonst üblich – von elektrischen Gitarren dominiert, sondern von Strides Piano. Unbeschädigt von verordnetem Klavierunterricht hat der Autodidakt einen ganz eigenen Umgang mit dem Instrument entwickelt: „Eigentlich spiele ich das Piano wie eine Gitarre, nämlich fast ausschließlich Harmonien.“ So klingen die Songs von Scouting For Girls ein wenig melancholisch, aber stets optimistisch. Eine Kombination, die schnell immer mehr Anhänger fand. „Anfangs kamen nur unsere Freunde, später die Kontakte von den Webseiten“, erzählt Schlagzeuger Ellard. Irgendwann kam dann ein weiterer Pfadfinder, der Scout der Plattenfirma. Am 14. Februar 2007 unterschrieben Scouting For Girls ihren Vertrag mit einem Unterhaltungskonzern. Am nächsten Tag schmissen sie ihre Brotjobs. „„Jeder, der zu unseren Konzerten kam, konnte das Gefühl haben, einen Teil der Band zu besitzen“, sagt Stride über diese Zeit, „„deswegen habe ich uns nie als Band gesehen, die ein Produkt herausbringt. Wir waren eher so etwas wie ein soziokulturelles Phänomen.“
Mittlerweile sind Scouting For Girls zwar immer noch ein Phänomen, aber eben auch ein Produkt. Eines zudem, das sich gut verkauft. Stride (29), Churchouse (30) und Ellard (27) befinden sich in einem für Popstars bereits fortgeschrittenen Alter. Aber ihr Erfolg ist noch jung, und so strahlen die drei an diesem sonnigen Berliner Wintertag eine bisweilen seltsame Aura aus, in der sich Enthusiasmus und Abgeklärtheit mischen. Einerseits beantworten sie bei den Radiointerviews die immer gleichen Fragen nach ihrem erstaunlichen Aufstieg und sprechen geduldig noch die belanglosesten Aufsager ein. Andererseits wissen sie ziemlich genau die eigene Musik zu dekonstruieren: „Wir sind nicht Radiohead. Wir schreiben Songs, die die Leute gut drauf bringen sollen.“ Mehr dazu ist Stride nicht zu entlocken.
Solche Bescheidenheit unterscheidet Scouting For Girls wohltuend von manchen Kollegen in ihrer Heimat. Keiner der drei sieht aus wie ein Popstar, und auch zuhause werden sie so gut wie nie auf der Straße erkannt – obwohl man im vergangenen Jahr auf der Liste der umsatzstärksten Bands in Großbritannien nur Coldplay den Vortritt lassen musste. Trotzdem ignoriert der New Musical Express die Band so gut es geht: Stattdessen kürte das Musikmagazin Scouting For Girls zur „„Worst Band of 2008“. Womöglich war man ja beleidigt, dass man am Aufstieg der Band keinerlei Anteil hatte. Doch auch beim Rest der britischen Presse hält sich die Begeisterung für Scouting For Girls in Grenzen. Der ehrwürdige Guardian analysierte gewohnt trocken: „„It’s not clever, but it could be big.“
Fucking awesome
Auch dank dieser medialen Ablehnung haben sich Scouting For Girls ihren Status als Geheimtipp bewahren können. Trotz millionenschwerer Umsätze des Trios können sich ihre Fans immer noch einbilden, zu einem exklusiven Club zu gehören. „„Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Fans und Band müssen wir uns bewahren“, sagt Stride und demonstriert bei der Fahrt von einem Radiosender zum nächsten seine Begeisterungsfähigkeit. Jede architektonische Besonderheit wird aufmerksam registriert. Vor allem vom Fernsehturm ist der Sänger begeistert: „Fucking awesome“ sei der, und für den kommenden Tag ist ein Besuch im Drehrestaurant auf 207 Meter Höhe fest eingeplant.
Jetzt aber, auf dem Weg durch die Stadt, stellt Stride fest, wie wenig er eigentlich von Berlin weiß: „Mauerfall und Luftbrücke“, stellt er angesichts des Flughafens Tempelhof fest, „„mehr ist vom Geschichtsunterricht nicht hängen geblieben.“ Überhaupt seien die Engländer, habe er zumindest den Eindruck, sehr viel weniger interessiert an Geschichte als die Deutschen. „„Hier scheint es eine intensivere Beschäftigung mit der eigenen Historie zu geben“, sagt er, „das finde ich sehr sympathisch.“ Ansonsten aber sei er eher überrascht, wie ähnlich sich Großbritannien und Deutschland seien: „Bei uns gibt es nicht so viele Graffitis wie in Berlin, aber in einem britisch geprägten Land wie Australien hab ich mich weniger zuhause gefühlt als hier.“
Die Songs von Scouting For Girls mögen aus einer britischen Perspektive heraus entstanden sein, doch sie funktionieren universell. Stride, der bis zum Plattenvertrag sein Geld als Verkäufer in einem Handyladen verdiente, beschreibt in „„I Need A Holiday“ den frustrierenden Alltag eines stupiden Broterwerbs („“Working nine to five/ How I hate this Job“), bietet aber mit der ansteckenden Refrainzeile astreinen Eskapismus an.
Dieser Eskapismus funktioniert vor allem live ganz vorzüglich. Stride gibt hinter seinem Piano den Vorsänger und den Vorklatscher, den Animateur und den Einheizer, und notfalls auch den Eintänzer. Seine Songs, die in ihren Studioversionen bisweilen etwas brav wirken, werden live von einer Horde mitsingender Fans nahezu allesamt zu Hymnen befördert, die selbst gegenüber dem immer wieder gern gecoverten Elvis-Klassiker „Can’t Help Falling In Love“ nicht großartig abfallen. „„Zu uns kommen die Leute nicht, um die Band zu sehen“, sagt er, „„sie kommen, um mit uns zu feiern.“ Man mag das naiv nennen und hat damit wahrscheinlich auch Recht. Aber diese Naivität verbindet Scouting For Girls nicht nur bis heute ungewöhnlich innig mit ihren Fans, sondern hat auch für ein blütenweißes Image gesorgt. Selten wohl gab es eine erfolgreiche britische Band, die so allüren- und skandalfrei an die Spitze der Charts manövriert wurde. Die drei netten Jungs aus Harrow sind auch deshalb ein solcher Erfolg, weil sie als alternatives Modell zu einem Popstarentwurf funktionieren, wie ihn Pete Doherty oder Amy Winehouse repräsentieren.
Tatsächlich schmeckt ihnen sogar die Currywurst. Sagen sie jedenfalls, höfliche Engländer, die sie nun einmal sind. Leicht schlotternd stehen Roy, Pete und Greg mitten in Berlin an einem Imbissstand, spießen labbrige Wurst mit Plastikgabeln auf und befördern die Pappteller schließlich ordentlich in den Mülleimer. Die Kreuzberger stehen Schlange, niemand kümmert sich um die drei unscheinbaren Gäste aus England. Kein Problem. „„Wir haben zehn Jahre lang Musik gemacht, bevor uns jemand zuhören wollte“, sagt Roy Stride, „„da bleibt man auf dem Boden.“