Sharon Van Etten – Tramps wie sie
Sonore Folk-Hymnen: die Ausnahme-Songschreiberin Sharon Van Etten
Wenn Sharon Van Etten von ihrer Kindheit im ländlichen New Jersey erzählt, muss man unweigerlich an das schüchterne Mädchen denken, das sich vor der Großstadt fürchtet. Auch nach einem Studium in Tennessee, einem Umzug nach New York und zwei Platten hat sie von ihrer Unscheinbarkeit nichts eingebüßt. Mit „Tramp“ tritt sie nun aus dem Dunstkreis des New Yorker Untergrunds hervor. Wie der Albumtitel schon andeutet, schätzt Van Etten das Doppeldeutige in Wortspielen, das Spiel mit den Geschlechterrollen: „Bezeichnet man einen Mann als ‚Tramp‘, hat das immer etwas Liebenswertes, bei Frauen assoziiert man mit dem Wort meist Negatives: eine Frau, die sich nicht entscheiden kann, was sie ist.“
Auch Van Etten war während der letzten drei Jahre ein Tramp, eine Rastlose wider Willen, die nur selten einen Rückzugsort fand. Doch von Wehleidigkeit keine Spur: „Ich war oft zerstreut oder krank, was das Album vermutlich zu dem gemacht hat, was es ist. Außerdem hatte ich dadurch viel Zeit, um Abstand von den Songs zu gewinnen und sie zu reflektieren.“
In der Garage von The-National-Multiinstrumentalist Aaron Dessner entstanden die kühlen Lo-Fi-Folk-Hymnen. „Aaron half mir dabei, die Songs zu arrangieren und das zu kommunizieren, was ich wollte, weil ich mich mit der Technik nicht so gut auskenne. Wir haben viel mit Streichern und Soundscapes experimentiert“, so Van Etten. Stimmlich brilliert Van Etten in diesen sonoren Stücken wie sonst Folk-Sängerinnen alter Schule. Aber so naheliegend sind die Einflüsse nicht: Vielmehr haben Vashti Bunyan, Nick Drake, Neil Young und John Cale ihre Spuren hinterlassen. „Ich werde schnell faul“, gesteht sie. „Man muss hart arbeiten, um sich ein Leben in New York leisten zu können.“