Shakespeares hysterischer Mohr läuft Amok
Alle lieben Shakespeare. Diese unglaublich verwickelten Geschichten, die wunderbaren Dialoge, und dann die irren Charaktere: Zum Beispiel Robin Williams als komischer Kauz in Kenneth Branaghs „Hamlet“. Oder Orson Welles, groß und geschlagen, in seinem „Othello“. Wahnsinn! Denn so ist es: Alle lieben Shakespeare – als Film. Gelesen hat die Schwarten aber kaum jemand. Muß man auch nicht.
„Ich habe es versucht“, erzählt der Zeichner David Hughes grinsend. „Ich wollte ,Othello‘ lesen. Ich kannte nicht viel von Shakespeare, ich habe gerade mal ,Der Widerspenstigen Zähmung 1 mit Richard Burton und Elizabeth Taylor gesehen. Und in der Schule hatten wir JVIacbeth‘ ohne Sex. Also setzte ich mich hin, sah mir die erste Seite von ,Othello‘ an und dachte: Mein Gott, was ist das? Danach habe ich mir ein Video besorgt: ,Othello‘ von 1964, mit Laurence Olivier. Ich bin nach zehn Minuten eingeschlafen. Dann habe ich die Fassung mit Kenneth Branagh gesehen: Die war simpel, amerikanisiert, doch sie hat mir geholfen, zumindest die Olivier-Fassung zu verstehen.“ Prima! Ignoranz ist ja oft das Reittier des Künstlers, das ihn zum eigenen Werk tragt. Und so verarbeitete der Engländer Shakespeares „Othello“ zu einem Bilderbuch.
Nicht gesehen hat Hughes die beste Film-Version des Dramas, Welles‘ verstümmeltes und unter abenteuerlichen Umständen entstandenes Grusical: Welles als irrer Neger, den es innerlich zerfrißt, während er äußerlich immer klobiger wird. Die Schatten- und Nebelspiele dieses Films hätten Hughes gefallen. Doch der unbekümmerte Zeichner fand eine sophistische Lesart, der es vollkommen an Erhabenheit und hölzerner Bühnentheatralik fehlt.
Frevel! Kulturschändung! Untergang des Abendlandes! Endlich! Äh, nein, pardon, natürlich: Wie schrecklich, die arme Hochkultur…
Aber mal im Ernst „Othello“ ist pure Unterhaltung, eine gute Geschichte: Ein cooler Feldherr heiratet ein liebes Mädel und wird fortan wegen Karriere und Girl beneidet – besonders, weil er Neger ist Rassismus und Bosheit eben, wie heute. Jago, ein vermeintlicher Freund, ist die Obersau. Er betrügt, intrigiert und lügt, doch das Opfer vertraut ihm, ganz ein echter Mann, mehr als seiner Frau. Ein Taschentuch mit Monogramm und etwas geschicktes Taktieren bringen das blutige Ende: Othello tötet sein Weib und danach sich selbst. Doch Jago, der Verräter, ist auch verloren. Das Stück ist ein düsteres Spiel vor exotischer Kulisse (Venedig, Malta) mit grellen Verwicklungen und komischen Einlagen. Darf man so etwas den Englischlehrern überlassen? Oder Kulturquarktaschen?
Das bezweifelte wohl auch der Verleger des Frankfurter Alibaba-Verlags, von dem Hughes seinen Job bekam. „Ursprünglich war ein Bilderbuch für Kinder geplant Zwölf große Tafeln, ein einfacher Text. Ich habe mich an meinen Zeichentisch gesetzt, das Buch aufgeschlagen und wieder die erste Seite gelesen. Shakespeare! Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Also habe ich angefangen zu malen. Erst eine Bühne, weil es ein Theaterstück ist Dann die Figuren. Danach habe ich etwas gelesen. Ein wenig gezeichnet Und so langsam passierte etwas.“
Es ist bekanntlich müßig, den kreativen Prozeß nachzuvollziehen. Doch das in dem Illustratoren etwas stattgefunden hat, sieht man dem Buch an. Hughes‘ „Othello“ ist eine 62seitige Explosion, ein graphischer Exzessjazz in Bildern, wie der Mittvierziger selbst meint Tatsächlich spiegeln sich die inneren Konflikte im Äußeren der Figuren, den Irrungen der Gefühle folgen äußere Metamorphosen wie bei einem langen Solo von Charlie Parker. So zerscherbt Othello, der furchterregende Kriegsmann, zusehends unter Zweifeln, während sich sein Weib, eine sonnige, sommersproßige Kindfrau, immerzu in ihren jeweils anderen Frisuren darstellt Begleitet wird das wild gezeichnete Spiel von einem Text, der Bild für Bild die Handlung verfolgt und ironisiert David „Ich kann eigentlich nicht schreiben“ Hughes umreißt in dem knappen, präzisen Kommentar die Geschichte, doch mit etwas Vorkenntnis (aus Film & Fernsehen) steigt der Unterhaltungswert des Bandes erheblich. Von der Shakespearschen Poesie bleibt beim entschieden prosaischen Hughes nichts übrig außer dem Plot: J hat vor, C über eine Beziehung zu B auszufragen, eine Hausfrau und Dirne dazu. Wir wissen, daß J & C sich über die Größe von Bs Titten unterhalten werden, aber der Blödmann im Schrank wird denken, daß sich das Gerede auf D bezieht“ So kann man es auch sagen. Nichts für den Mittwochs-Abonnenten im Stadttheater. Nach den gezeichneten „Curtains“ am Ende des Bandes eine Widmung des Zeichners: „RIP Ronnie Lane, Don Henderson, Robert Mitchum“. Shakespearsche Gestalten fürwahr.
Kein Zweifel: Dies ist Kultur an der Grenze, modern und innovativ, für alle, die gern selber denken. In Shakespeares Heimat wollte trotzdem niemand den neuen „Othello“ veröffentlichen. Zu krude, zu ungebärdig und krakelig wirkt das Gesamtwerk womöglich, sophisticated ist es auch nur in einem verqueren Sinne. Shakespeare ab Experiment ist in Britannien nicht beliebt.
Dennoch ist die Zurückhaltung ungewöhnlich für einen so bekannten Zeitungs- und Buchillustrator wie Hughes, der auch als Kinderbuchautor schon Aufsehen erregte: Sein Bilderbuch „Bully“ (deutsch „Macker“ bei Alibaba), ein bizarrer Band über Gewalt unter Kids, wurde hochgelobt (und bei uns bereits mit dem deutschen Jugendbuchpreis geehrt).
Der Schöpfer hat einige halbe Erklärungen für das Desinteresse: „Das ist ein großformatiges Buch, eine teure Produktion“, meint er. Und: „Es gibt schon viel Shakespeare-Zeug.“ Aber auch das Genre an sich ist wohl ein Problem: In der westlichen Kultur gibt es keine Tradition der Bildgeschichte für Erwachsene. Nur Prosa darf ernsthaft erzählen, während Bildbände lose Sammlungen sind. „Othello“ steht zwischen den Stühlen. Es ist wie mit Musik jenseits der Stile: schwierig.
David Hughes kümmert das alles nicht. Er hat gerade in Italien für eine Oper das Bühnenbild gemalt und die Kostüme, als nächstes will er sich als Bildhauer versuchen. Von Shakespeare hat er dagegen genug: „Für mich ist das Buch auch ein ,Fuck off!‘ gegenüber dem verdammten Kultur-Establishment, diesen ganzen arroganten, hochnäsigen Spießern. Die werden das Buch natürlich hassen. Aber sollen sie. ,Othello‘! Es ist nicht mal ein besonders gutes Stück. Es ist etwas langsam, vor allem am Anfang.“ Was man über David Hughes‘ furiose und schon zu Beginn atemlose Fassung ganz bestimmt nicht sagen kann.
Doch manchmal ist die Cover-Version eben (fast) besser als das Original.