Sexperimental-Film „Touch Me Not“ verstört Berlinale-Publikum
Bis zum Schluss der Vorführung soll die Hälfte der Zuschauer geflüchtet sein. Doch die Hartgesottenen, die blieben, spendeten viel Beifall für die Darstellung von Sex-Praktiken in allen Varianten. Am Samstagabend wurde der „Goldene Bär“ der Berlinale an „Touch Me Not“ verliehen.
Update (24. Februar 2018): Das „Sexperimental“ hat sich ausgezahlt: „Goldener Bär“ für „Touch me Not“.
Der rumänische Experimentalfilm von Adina Pintilie hat bei der 68. Berlinale den Goldenen Bären gewonnen. Das gab die Jury am Samstagabend bei der Verleihung in Berlin bekannt.
Den Preis für die beste Regie gewann übrigens US-Filmemacher Wes Anderson. Mit seiner Hunde-Story „Isle of Dogs“ eröffnete erstmals ein Animationsfilm die Internationalen Filmfestspiele Berlin. Für Anderson kam Billy Murray, um die Trophäe entgegen zu nehmen.
„Touch Me Not“
Eigentlich ist es dem Filmfestival Cannes vorbehalten, mit schockierenden „Sex And Crime“-Produktionen das Kritiker-Heer zu vergrätzen – oder zu begeistern. Die Berlinale nimmt sich in dieser Hinsicht immer etwas zurück zugunsten ambivalenter Stoffe, die gerne politische Tiefenwirkung entfalten sollen. Manche Kritiker würden sagen, dass politische Korrektheit auf dem größten deutschen Filmfestival eben alles ist.
Vielleicht auch deshalb wünschte sich Jury-Präsident Tom Tykwer für die 68. Ausgabe der Berlinale in diesem Jahr „wilde und sperrige Filme“. Einen davon gab es nun im Wettbewerb zu sehen: „Touch Me Not“.Im Programmtext steht: „Eine Filmemacherin und ihre Protagonist*innen lassen sich gemeinsam auf ein persönliches Forschungsprojekt zum Thema Intimität ein. ‚Touch Me Not‘ nimmt uns mit auf eine Entdeckungsreise durch die Gefühlswelten von Laura, Tómas und Christian, bei der die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen, und bietet zutiefst einfühlsame Einblicke in deren Leben. Weil sie sich nach Intimität sehnen, aber gleichzeitig große Angst davor haben, arbeiten sie daran, gewohnte Handlungsmuster, Abwehrmechanismen und Tabus zu überwinden, sich von ihnen zu lösen und endlich frei zu sein.“
Kritiker wollten lieber wegsehen
Die zurückhaltende Beschreibung schien aber nicht ansatzweise vorzubereiten auf die Bilder, mit denen die rumänische Regisseurin Adina Pintilie (auch Kuratorin eines rumänischen Experimentalfilm-Festivals) ihren Debütfilm anreicherte. Die rumänisch-deutsch-tschechisch-bulgarisch-französische Koproduktion sorgte auf der Berlinale laut „Bild“ für einen regelrechten Ausstand der Zuschauer, in dem Fall alles Kritiker, im Saal. Nach 125 Minuten hatte sich der Vorführraum gut geleert. Doch die übrig gebliebenen Zuschauer spendeten viel Applaus, zwischenzeitlich soll es sogar Szenenapplaus gegeben haben.
Aber was schockierte die Kritiker an dem dokumentarischen Experimentalfilm? Zu sehen sind ganz gewöhnliche Menschen im besten Alter, die in einem klinisch anmutenden Raum verschiedene Sexpraktiken ausprobieren. Keine Story, (auf den ersten Blick) keine tiefere Botschaft. Es gehe ihr um das Abbauen von Schamgrenzen, ließ die Regisseurin mitteilen. Deshalb zeigt sie ein Seminar, in dem ihre Protagonisten sich selbst erkunden. Ein, wie manche Kritiker später schrieben, distanzloser Film, der Sex als spröden Akt ohne Erotik nachvollziehe. Kino als Therapiestunde. Das war für viele Kritiker anscheinend nicht das, was sie auf der Berlinale, zumal im Wettbewerb, erwarteten.