Sex im Atomzeitalter
Um auf Ebay eine völlig unauthentische CD-Wiederveröflentlichung der Düsseldorfer Band Mittagspause zu ersteigern, muss man lange wachbleiben und hoch pokern. Die legendäre Doppel-Single gibt es da auch nicht, denn die will keiner der 500 Knirpse loswerden, die sie im Schrank haben. S.Y.P.H. auf der Plattenbörse führt sicher zum Streit mit dem Händler, aber eine ultrarare Andreas-Dorau-LP (1982 auf CBS) kann man sich seit kurzem immerhin als Japan-Import bestellen. Krautrock ist längst wieder aufgelegt, auch dank Herbert Grönemeyer. Den deutschen Punk und New Wave der frühen achtziger Jahre durften bisher nicht mal die hören, denen Originalausgaben und Mint-Zustand komplett wurscht sind. Ein Grund, sich gerade jetzt mit dem Problem zu beschäftigen, ist der Suhrkamp-Band „Verschwende Deine Jugend“, erschienen im Herbst 2001. Im Stil der US-Punkrock-Dokumentation „Please Kill Me“ von Legs McNeil und Gillian McCain montiert der Regensburger Journalist Jürgen Teipel die musikalische und ideologische Geschichte der deutschen Post-Hippie-Subkultur, historisch gewinnbringend, lustig zu lesen und mit über 12 000 verkauften Exemplaren und drei Auflagen sogar das, was der Verlag einen Erfolg nennt. Teipel dachte sich von Anfang an, dass das Buch auch eine Begleit-CD brauche, machte eine Wunschliste und hat mit Frank Fenstermacher, Ex-Mitglied von Der Plan und in leitender Funktion beim weiter lebendigen Atatak-Label, das Kompendium fertig gestellt. „Verschwende Deine Jugend“ (Atatak/Universal) kommt bald als Doppel-CD mit 49 Stücken, die meisten sonst nicht zu beschaffen. Die Kompilisten hatten genug Mühe damit. Stücke von Mittagspauseund den Neonbabies mussten von V 1nyl-Kopien gemastert werden, weil sich niemand erinnern konnte, wer damals die Masterbänder eingesteckt hatte. Archivpflege hatten nicht mal die Leute betrieben, die auf den Platten gespielt hatten: „Das Interesse an der Musik der Frühachtziger war meiner Ansicht nach nie so gering wie Anfang der Neunziger“, sagt Fenstermacher, dem selbst eine frühe Plan-Single fehlt, „die ganzen Neunziger lang wurde die Subkultur mit Techno oder HipHop versorgt. Ich für meinen Teil hatte musikalisch mit den Achtzigern ebenfalls lange nichts mehr im Sinn. Erst vor drei, vier Jahren fing ich an, die Sachen von damals wieder hören zu können.“ Es wurde viel telefoniert, geforscht und sich umgehört, ob man nicht Wichtiges vergessen hatte. Malaria gaben statt dem Hit „Kaltes klares Wasser“ nur ein unbekannteres Stück heraus, Tommi Stumpf (Ex-KFC) übernahm freiwillig das Risiko für eine Freigabe, weil die Label-Zuständigen nicht kontaktierbar waren – späte Resultate der „Build your own model“-Philosophie. Kein zwischengeschalteter Konzern konnte assistieren. Das ist keine Power-Pop-Compilation. Anti-Hippie hieß bei S.Y.P.H., D.A.F. und Mittagspause besonders Flirt mit Marsch-Rhythmus, Industrialisierung, Fascho-Masken: „Neben dem Kernkraftwerk, da haben wir uns geliebt.“ Kinderzimmer-Konstruktivismus von Dorau, 1echno-forstudien von Pyrolator, Die Tödliche Doris wie Throbbing Gristle. Ein Höhepunkt ist Xao Seffdieques Werbespot für die imaginäre „Happy New Wave“-LP – die es nun gewissermaßen gibt. „Xao persifliert die Fiktion vom Erfolg und Ausverkauf“, korrigiert Fenstermacher. „Diese Angst war damals sicher berechtigt, weil Erfolg und Punk, man sieht es an den Toten Hosen, ja irgendwie ein Widerspruch zu sein scheint.“ Die Neue Deutsche Welle kam, den Beweis anzutreten. Deshalb ist dies der beste einheimische Eighties-Sampler, den Sie finden werden. Joachim Hentschel