Selbst ist die Band
Medienaffin, Fashion-gebildet, meta: The Drums stehen prototypisch für eine Generation junger Selfmade-Musiker. Doch lässt sich in der schönen neuen Popwelt auch Geld verdienen? Von Torsten Groß und Joachim Hentschel
Wenn Sie die New Yorker Band The Drums fotografieren wollen, kriegen Sie erst mal ein üppiges Dossier zugestellt, in dem Sie detailliert über die favorisierte Bildsprache der Musiker aufgeklärt werden. Unter anderem, so erfährt man da, seien zeitgemäß aussehende Bilder unbedingt zu vermeiden. Die Drums mögen es gern klassisch. Nach einigen weiteren Ausführungen wird abschließend noch eine Liste all jener Requisiten aufgeführt – von Stirnbändern bis zu Kleidung mit Pünktchenmustern -, die bei einer Foto-Session mit dieser Band absolut ausgeschlossen sind.
Derartig gängelndes Regelwerk kennt man bislang nur von etablierten Mega-Bands. Für einen Newcomer ist eine solche Vorgabe einigermaßen ungewöhnlich: Schließlich könnte man durchaus annehmen, dass es für eine eher unerfahrene Gruppe mit ein bisschen Blogosphäre- und YouTube-Fame von Vorteil sein könnte, wenn sie überhaupt jemand fotografieren will. Egal in welcher Pose. Sind die Drums etwa schon größenwahnsinnig geworden, seit Hedi Slimane sie geknipst hat, sie in jeder zweiten Hot-List für 2010 Erwähnung fanden und vom „NME“ auf dem Titelblatt zu Vorreitern einer „New decade in music“ bezeichnet wurden?
„In den Drums steckt eine Menge Arbeit. Blut, Schweiß und Tränen“, erklärt der gar nicht arrogant, nur ziemlich entschieden wirkende Jonathan Pierce, Sänger und strategischer Kopf der Band. Jede Chance, sich zu präsentieren, so fährt er fort, sei gleichzeitig eine Chance, dies gleich auch auf die richtige Weise zu tun. „Wir überlegen ganz genau, was wir tun und was nicht. Wir sagen lieber dreimal Nein als einmal Ja.“
Mit ihren Harrington-Jacken, korrekt frisierten Scheiteln und den Gitarren ganz dicht unterm Kinn, ihren Jungssport-Videos und ihrer Rundum-Glücklich-Musik sind The Drums der erste große Hype des Jahres. Pierce, Jacob Graham, Adam Kessler und Connor Hanwick wirken wie die wandelnde Corporate-Design-Fantasie eines in den musikalischen Achtzigern sozialisierten A&R-Managers mit erhöhtem Puls und noch gewaltigerem Modetick. Sie sind das Produkt, das es mit Auflagen und Image-Vorbehalten zu wahren gilt – und das sie tatsächlich selbst geschaffen haben. Verglichen mit all den musikalischen Me-too-Phänomenen und Designer-Indies sind die Drums noch eine Stufe cleverer. Was der Sänger über die Disziplin der Band sagt, erscheint eher noch untertrieben – angesichts der generalstabsmäßigen, keinen Aspekt ausklammernden Selbstpositionierung dieser Band.
Und so sind die New Yorker im Jahr 2010 der vorläufige Höhepunkt einer Liberalisierungsbewegung, die in den letzten Jahren die Poplandschaft grundlegend verändert hat. Begünstigt durch die sogenannte Krise der alten Musikindustrie, durch gewachsene technische Möglichkeiten, Globalisierung und neue Arbeitsmodelle, ist ein neuer Künstlertypus entstanden: selbstbestimmt, überaus Pop- und Fashion-gebildet, immer schon ein bisschen meta. Souverän und fokussiert im Umgang mit den Medien, bei denen – das kommt verschärfend hinzu – der Bedarf an neuen Sensationen immer schneller wächst, die fürs Publikum möglichst überraschend und vertraut zugleich sein müssen.
Zugegeben: Hypes, Selfmade-Künstler und Mode-Heinis gab es früher auch schon. Aber nie zuvor in der Geschichte haben sich all diese Systeme gegenseitig so beschleunigt wie in den letzten Jahren. Mit den Strokes und Libertines fing es in Prä-MySpace-Zeiten an, dann kamen Franz Ferdinand, die Arctic Monkeys oder Vampire Weekend. Natürlich kommt es immer auf den Bildausschnitt an, den man betrachtet – aber offenbar klappt diese Art von Kettenreaktion am besten mit weißen Boy-Gitarrenbands und auffälligen musikalischen Retro-Elementen. Und weißer, bubenhafter, gitarriger und retrotechnisch abgesicherter als die Drums ist derzeit keiner.
Sänger Pierce hatte von 2003 bis 2005 schon mit der Band Elkland einen Plattenvertrag bei Columbia, gab aber nach einigen kleinen Erfolgen desillusioniert auf. „Damals waren wir naive, grüne Jungs. Innerhalb weniger Monate waren wir bei einem Major-Label unter Vertrag und arbeiteten mit lauter Leuten, die alles unter Kontrolle hatten. Das hat unsere Sinne geschärft. Wir riechen seitdem die Scheiße ein bisschen schneller.“ Nach dem Ende von Elkland nahm er Kontakt zum Jugendfreund Jacob Graham auf, den es nach Florida verschlagen hatte. Und was sich in den Folgemonaten zwischen den beiden im Netz abspielte, liefert schließlich die entscheidende Erklärung dafür, warum die Drums so sind, wie sie sind. „Wir schickten Bilder, Konzepte und mögliche Bandnamen hin und her, und so nahm das Ganze vor unserem geistigen Auge immer mehr konkrete Züge an.“
Über Wochen und Monate entwarfen Pierce und Graham quasi das komplette Image ihrer noch gar nicht existierenden Band. Als sie sich in New York formierten, waren die Drums auf dem Papier bereits komplett durchkonzeptionalisiert. Im Sommer 2009, also gerade mal vor zehn Monaten, spielten sie dann ihr erstes Konzert im New Yorker Club The Cakeland an der Lower East Side.
Bald klopften die ersten großen Plattenfirmen an. Die erste Single „Let’s Go Surfing“ veröffentlichten die Drums schließlich beim coolen Label Moshi Moshi. Knapp 800.000 My Space-Klicks später spielten sie auf der Shockwave Tour des „NME“, wo unter anderem Franz Ferdinand und Coldplay ihre Karrieren begannen. Die englische Zielgruppe lag ihnen zu Füßen, der BBC-Moderator Zane Lowe erklärte ihren Song „Best Friend“ zur „heißesten Single der Welt“. Ihr in diesen Tagen erscheinendes Debütalbum „The Drums“ – eine Mischung aus britischer Melancholie und der Endless-Summer-Stimmung des 50er-Amerikas – produzierten sie selbst, mit einem Laptop, einem 35-Dollar-Mikrofon und einem von einem Freund geliehenen Hallgerät. „Jeder kleine Fehler auf der Platte zeigt, dass wir es waren, die sie aufgenommen haben“, erklärt Graham. Dass er das überhaupt so sagt, ist selbst schon wieder ein Symptom der Mega-Indie-Strategie, die die Drums bald an die Spitze der Charts bringen könnte – an einen Ort, wo eine tüchtige MySpace-Facebook-Band eigentlich nur etwas verloren hat, wenn Spaßterroristen mal wieder einen Download-Aufruf starten, um einen Casting-Show-Gewinner von der Eins fernzuhalten.
Solche kühlen Überlegungen verfliegen wie böse Geister, sobald einem Jeannette Lee die Tür zu ihrem West-Londoner Büro öffnet. Ein riesiges gerahmtes The-Clash-Artwork füllt die halbe Wand, drum herum Bilder von Joe Meek, Jarvis Cocker, Patti Smith, Dylan, Antony Hegarty – das Posterzimmer eines thinking Indie-Girls mit unbestechlichem Geschmack, zugleich die Schaltzentrale des Labels Rough Trade Records, dem die Welt neben den Smiths und den Libertines einen immensen Katalog an Post-Punk-Großartigkeiten verdankt.
„Früher haben wir die Demos körbeweise bekommen“, erinnert sich Lee, eine herzliche 50-jährige Dame, die Ende der 70er-Jahre in der Boutique neben Vivienne Westwood jobbte, als Managerin und Musikerin mit Johnny Rottens Pistols-Folgeband Public Image Ltd. unterwegs war und seit 1987 gemeinsam mit Geoff Travis Rough Trade leitet. „Mein Job war es eine Zeit lang, die Tapes und CDs durchzuhören. Ein paar Stücke Musik ohne jede Hintergrundstory oder Optik. In 99,9 Prozent der Fällen war der tiefere Eindruck, den die Demos hinterließen, gleich null.“
Zuerst war auch die junge New Yorker Rockband keine Ausnahme, deren selbstgebrannte CD Ende 2000 bei Rough Trade eintraf. Ein befreundeter Booker hatte die Gruppe empfohlen, die Songs klangen fantastisch – und dann gingen Travis und Lee ins Internet. „Ich weiß noch, wie dilettantisch die Website auf den ersten Blick wirkte“, lacht Lee, „aber die Fotos sahen unglaublich toll aus. Die Gesichter, der Style. Und dann diese Namen: Fabrizio Moretti, Julian Casablancas … Es war alles viel zu gut, um wahr zu sein.“ Sie reisten nach New Jersey, schauten sich die Band an. Ein A&R-Mann aus New York kommentierte, solche Durchschnittsgruppen gäbe es in jedem zweiten Probenkeller. Aber die Strokes wurden die erste große Band, die sich selbst schon als fix und fertigen Hype ins Netz stellte – und von dort schneller als geglaubt in die Wirklichkeit hineinkrachte.
„Mit Musikern ist es wie mit Insekten: Wenn man eine Generation mit Vernichtungsmittel besprüht, kommt die nächste gestärkt daher, immunisiert, auf dem nächsthöheren Level“, glaubt Jeannette Lee. „Den Strokes steckte es doch schon in der DNS, wie man aussehen und klingen muss, um eine Ikone zu sein. Trotzdem haben sie wie die Verrückten geprobt und sich perfektioniert.“ Auch ihren Webauftritt. Obwohl ihnen hier die nächste Insektengeneration schon wieder einen Heuschreckensprung voraus ist.
Ihre letzte Nummer eins hat Lee auf traditionellem Weg gelandet. Mit Duffy, die 2008 in der Rolle der giftfreien Amy Winehouse zum Weltstar wurde – und noch vier Jahre vorher harmlose walisische Weisen sang. „Bei Duffy lief es anders“, erklärt sie. „Sie hatte eine gute Stimme, aber überhaupt keine Ahnung, wo sie hinwollte. Diese Karriere zu formen war für mich als Managerin ein Kraftakt.“
Mittlerweile hat man sich getrennt – aber Lee hat schon die Zukunft des Mädchensoul in Arbeit: Roxanne Tataei, genannt Rox, 21, halb Jamaikanerin, halb Iranerin, aus dem Süd-Londoner Stadtteil Norbury. Wollmütze auf dem struppigen Schwarzkopf, Wunderstimme, große Schnauze. Als die Rough-Trade-Leute sie auf einen Tipp hin bei MySpace entdeckten, konnten sie mal wieder kaum glauben, dass ihnen kein anderes Label zuvorgekommen war: Bei Rox war alles fertig entwickelt, sie hatte Songs, Haltung, Stil. Nur keine Karriere. Am Ende gab es nur ein paar Details zu diskutieren. Das Rox-Debütalbum „Memoirs“ kommt in diesen Tagen. Winehouse-Stil, Mischung aus frech und retro. Wie bei vielen der besagten Raketenstartkünstler: vom Grundansatz her ein wenig zu berechenbar. Was ja auch helfen kann.Könnte eine Sängerin wie Rox es nicht auch ganz allein schaffen? Das beantwortet Jeannette Lee nur diplomatisch. „Wenn eine richtig coole Band aus eigener Kraft heraus 100.000 CDs verkauft, ist das beeindruckend. Aber richtig durchzustarten und in die Charts zu kommen, das ist immer noch etwas völlig anderes. Jeder muss selbst wissen, in welchen Dimensionen er sich sieht.“
Denn am Ende des Traums von der schönen neuen Popwelt steht immer die Frage, ob sich mit der ganzen Aufregung auch wirklich Platten, Tickets und T-Shirts verkaufen lassen. Bei Franz Ferdinand oder den Arctic Monkeys hat das noch geklappt – nun könnte es allerdings soweit sein, dass sich das weiter beschleunigte Hype-System gegen sich selbst wendet. Bei den Drums war schon zu beobachten, dass sich „Opinion-Leader“ und Netzschwärme teilweise schon wieder abwandten, bevor auch nur ein Ton der Band regulär erschienen war. Gewissermaßen ein Ausverkaufsvorwurf, bevor überhaupt irgendwas verkauft wurde.
„Eigentlich sind wir ja furchtbar selbstsüchtig“, kokettiert Drums-Sänger Jonathan Pierce zum Abschluss. „Wir haben diese Songs nur geschrieben, weil es uns ein inneres Bedürfnis war. Dass das irgendwann auch andere Leute interessieren könnte, hätten wir nie gedacht.“
Im Interesse der Band kann man eigentlich nur hoffen, dass das gelogen ist.