Selah Sue – Bei Anruf los
Die belgische Sängerin Selah Sue erlebt so viel, dass die Zeit kaum noch zum Duschen reicht.
Alle paar Monate kommt ein Künstler aus Belgien, um es außerhalb der Landesgrenzen zu Ruhm zu bringen. Groß wird fast niemand (außer Plastic Bertrand), vergessen fast jeder (außer dEUS). Das Land ist klein, die international gültigen popkulturellen Standards sind zu mächtig für erkennbar belgischen Pop.
Auch Selah Sue hat keine dezidiert belgische Stimme, doch sie singt so international, dass die Herkunft unwichtig ist. Die 22-Jährige machte zunächst mit einem Lied namens „Raggamuffin“ auf sich aufmerksam – erst auf MySpace, dann im Beneluxradio. Auf ihrem Debütalbum präsentiert Selah Sue eine gut inszenierte Mixtur aus Pop, Ragga, Dubstep und R&B bzw. Soul – die Art von Musik, die im Moment von jungen selbstbewussten Frauen gesungen wird, die von Gitarren nicht viel halten.
Auch Selah Sue, die Lauryn Hill und Erykah Badu als Vorbilder nennt, ist selbstbewusst. Das turmhohe Haar und der direkte Blick aus superklaren blauen Augen sagen: Ich weiß, was ich will, und so will ich es haben. Sie sei zur Kämpferin geworden, sagt sie, weil das Business ein Haifischbecken sei. Nicht vereinnahmen lassen, unbedingt die Erdung behalten: Selah Sue will pro Woche zwei Tage bei ihrer Familie sein, die Mama und den Boyfriend treffen. Bleiben fünf Tage für die Karriere, die zu Hause und in Frankreich schon gut läuft. Dort haben die Menschen bekanntlich einen eigenen Musikgeschmack und eine Schwäche für alles Karibische, weshalb sie den Ragga und Dubstep von Selah Sue gern mögen. „Wenn sie dich einmal ins Herz geschlossen haben, bleiben sie dir treu“, sagt Selah Sue.
Früher stand die Sängerin mit ihrer Akustikgitarre (eben doch!) auf der Bühne und wirkte wie eine Singer-Songwriterin. Ein, zwei Lieder auf „Selah Sue“ tragen diesem Ursprung Rechnung – wenn die Sampler und Groove-Maschinen schweigen, bekommt man einen anderen Eindruck von der Musikerin, die dann nackt und verletzlich wirkt. Doch die Gitarre war damals nur eine Notlösung; Selah Sue konnte kein anderes Instrument.
In den fantasievollen Liedern ihres Debüts geht es nun aber um Beats, Grooves und Urbanität. Sue produzierte mit Farhot (Nneka), Patrice und der großartigen Meshell Ndegeocello. Cee-Lo Green sang ein Duett und veröffentlichte den Song auf seinem eigenen Album. Und als wäre all das nicht genug der frühen Adelung, hat sogar Prince angerufen und die Künstlerin ins Vorprogramm eines Konzerts gebeten – zwei Stunden vor Showbeginn. „Ich hatte meinen freien Tag und lag zu Hause rum“, erinnert sich die Auserwählte, „ich konnte nicht mal mehr duschen!“ Prince sah sich die Show an; sie hat ihm bestimmt gut gefallen. Jörn schlüter