Seit Die Ärzte musizieren, pflastern Ex-Bassisten ihren Weg. Einer von ihnen hörte die neue Platte mit bässerem Bassisten
Früher war es nicht schwer, eine brandneue Ärzte-Platte vorab zu hören. Jedenfalls nicht als Bassist der Band. Man ging ins Studio, ließ sich vorspielen, was die beiden Köpfe ausbaldowert hatten und wenn nicht schon alles getan war, gab man auch noch seinen Senf dazu. Heute ist es anders, zumindest, wenn man inzwischen nicht mehr der Bassist, sondern Autor beim ROLLING STONE ist Dann hört man die Platte im Büro des Managers. Das ist immer noch nicht objektiv, aber gut für ein paar Erinnerungen. Zu den Ärzten kam ich durch Dummheit. Nicht die eigene – der erste Bassist Sahnie hatte sich selbst aus dem Verkehr gezogen. Kurz vor der Produktion des dritten Albums wollte er die anderen unter Druck setzen: Musik contra Studium. Aber welche Band legt sich neben dem Tourplan schon freiwillig ein Vorlesungsverzeichnis ins Gepäck? Der BWL-Student überschlug kurz den Marktwert der Arzte und legte seine Forderungen für eine Trennung auf den Tisch. Für 10 000 Mark waren sie ihn los. Erstaunlich, daß er nach solch einer Fehlkalkulation später trotzdem das Wirtschafts-Diplom erhielt. Kurz darauf riefen sie mich an. Wir waren nicht nur befreundet, ich war auch Fan, denn Jan alias Fahrin und Dirk alias Beia gelang es schon damals, aus jeder Idee, aus jedem kurzen Eindruck mit Leichtigkeit einen Song zu machen. Daß die Ärzte dabei stets lustig waren, war nicht Masche, sondern unausweichlich, wenn man auch im richtigen Leben kein Trauerkloß ist. Andererseits begann der früh gewonnene Ruhm auch zu nerven: Dirk hatte seine Adresse als Kontaktmöglichkeit auf die erste Platte drucken lassen. Nun war der Hausflur regelmäßig von Teenies belagert. Er zog um. Zu dieser Zeit entdeckte Jan nach Jahren unverzerrten Gitarrenspiels den Marshall-Sound, und Jim Rakete gab den Posten als Manager auf, weil er schlicht überarbeitet war. Die beschwerlichen frühen Jahre blieben mir erspart: Tourneen im und Bauchmensch, Zyniker und Romantiker und das Ganze mit dem blinden Verständnis von Zwillingen. Da kann man als Bassist nur Baß spielen. Auch Bill Wyman hatte ja so Anlaß, seine Hauptaufgabe in der Dokumentation der Stones-Karriere zu sehen. Die Zukunft der Arzte stand damals auf wackeligen Beinen, denn auch ein eingespieltes Gespann kann das Gefühl bekommen, sich totzulaufen. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften überdeckte jedoch jegliche Selbstzweifel, indem sie das dritte Album indizierte. Scherze über Inzest und Sodomie – bitte nicht auf einer Pop-Platte. So erwuchs eine neue Aufgabe: Wir gegen den Rest der Welt Kein KalkühL wie viele damals unterstellten, sondern purer Trotz. Skandale sind in einer solchen Situation jederzeit möglich. Wie etwa in München – „Live aus dem Alabama“. Die Moderatoren Schmidbauer und Jauch baten noch: ,Jungs, macht bloß keinen Unsinn, spielt bitte nicht die indizierten Lieder.“ Ehrenwort Dafür reagierte Dirk spontan, live und bayernweit auf die Nachricht des Tages:“Ich war’s, ich habe Barschel erschossen.“ Resultat: verzweifelte Moderatoren, die Einführung der zeitlich versetzten Übertragung bei „Live aus dem Alabama“ und Boulevard-Schlagzeilen wie „Popband verhöhnt toten Barschel“. Selbst die CBS bekam kalte Füße. )r Ab 18″, unsere Kompilation der indizierten Stücke, wurde zwar beimMajor gepreßt, aber vorsichtshalber vom Indie EFA vertrieben. Skrupel, die der Rechtsnachfolger Sony später nicht mehr hatte, als das Ärzte-Comeback den Backkatalog vergoldete. Trotz wachsenden Erfolgs schwanden die Trennungsgedanken nie. Schließlich machten Dirk und Jan schon zehn Jahre zusammen Musik, nicht nur mit den Ärzten, sondern auch mit der Punkband Soilent Grün. Da wird man sich schon mal über. Vor allem aber begannen sie, viel zu sehr auf ihr Umfeld zu hören. „Das ist doch kein Rock, man kann doch keine Rockmusik machen, wenn in der ersten Reihe Teenies kreischen und man selbst von Teenagerliebe singt.“ So was zehrt am Selbstbewußtsein. Das Ende war 1988 beschlossene Sache und steht – auch nach dem Comeback – immerhin als souveräne Entscheidung gegen den Zwang, immer mehr Geld verdienen zu wollen, und das Abkochen alter Erfolgsrezepte bis zum bitteren Ende. Auch wenn Firma, Management und Freunde meinten, man wäre verrückt aufzuhören, „wo es gerade so gut lauft“. Manch einer traute der Entscheidung nicht Campino wetterte, daß es die Ärzte binnen fünf Jahren wieder geben würde, Jan konterte, daß bis dahin die Toten Hosen Englisch singen würden. Beide haben ihre Wette gewonnen. Doch dazwischen lagen für die Ärzte lehrreiche Niederlagen. Ich selber verabschiedete mich mit der Platte „tVir warten auf die Lindenstmße“ von der aktiven Musikerlaufbahn. Es hätte so schön sein können: Rockband, Fernsehkultur und die geballte Macht der Illustrierten treffen aufeinander. Die Platte wurde am 1L 11. ’89 in Berlin vorgestellt – verständlicherweise war damals der Fall der Mauer vielen wichtiger als die Lindenstraße. Dirk und Jan machten jeder für sich – mit King Kong und Depp Jones ernstgemeinte Hardrock-Platten und waren wahrscheinlich gerade deshalb erfolglos. Beinahe eifersüchtig gerieten sie in Konkurrenz zueinander. Schließlich siegte aber doch die Einsicht, daß jegliches eigene Profil glaubhafter und erfolgreicher sein muß als die Reproduktion von Rock-Mythen. Was dann wohl vor zwei Jahren zu dem erfolgreichen Comeback führte. Der Job am Baß ist dabei übrigens nur zum Schein eine Randexistenz geblieben. Zwar muß auch Rod als Blitzableiter für die funkensprühenden Boshaftigkeiten der beiden herhalten, das hat sich jedoch eher zu einem ritualisierten Rollenspiel entwickelt Dahinter verbirgt sich ein maßgeblicher musikalischer Einfluß. Das Comeback-Album ,J)ie Bestie m Menschengestalt“ verriet allerdings noch einige Unsicherheiten: „Wird man uns noch akzeptieren, gibt es überhaupt noch ein Publikum, das sich für die Arzte interessiert?“ Natürlich gab es das. Nicht nur, weil die Fans aus dem Osten etwas nachzuholen hatten, sondern weil der Rückzug der Ärzte auf dem Höhepunkt ihres Erfolges überwiegend Bands wie Normahl oder die Abstürzenden Brieftauben nach sich zog, die weder intellektuell noch musikalisch ebenbürtig waren. Verunsichert schienen sie dagegen vom Erfolg der Fantastischen Vier und Prinzen zu sein, was gerade gegenüber letzteren zu überzogenem Spott führte. So gesehen war das Comeback-Album noch sehr von der Aufarbeitung der selbst auferlegten Auszeit bestimmt. So etwas findet sich auf planet Punk“ nicht mehr. Es hat sich erwiesen, daß die Ärzte Konkurrenz nicht fürchten müssen. Nicht nur, weil man nun im Büro vom Manager Axel Schulz auf einer Platin-Trophäe in Klobrillenform sitzen kann: Die Prinzen sind verbindlicher, die Fantastischen Vier in ihrer eigenen Welt, die Toten Hosen stagnieren, Grönemeyer ist erwachsen, Westernhagen tut nur so, als wäre er es nicht, und Pur waren nie mehr als die Schwaben-Version der Puhdys. Folglich können sich die Arzte wieder auf sich selbst konzentrieren. Das neue Album hält dabei, was der Name verspricht. Eigentlich ist es sogar die einzige Punk-Platte, die die Arzte je gemacht haben. fom Sound her organisch, überwiegend Uptempo mit käftig verzerrten Gitarren und der Gesamteindruck äußerst abwechslungsreich nicht zuletzt, weil hinter jeder Ecke ein überfallartiger Banjo-Einsatz, museale Phasen-Sounds oder uncoole Steeldrunis lauern. Die Ärzte haben bei ihren Rock-Projekten dazugelernt. Viel wichtiger aber ist, daß sie dabei erfahren haben, was passieren kann, wenn man die eigene Identität verleugnet Jetzt gelingen ihnen auch mit Absurditäten und und hemmungsloser Verrücktheit ernstzunehmende musikalische Ergebnisse. Besonders mit „Opfer“ haben sie sich nicht nur Äonen vom leidigen Fun-Punk-Klischee entfernt, sondern sind auch weitaus bösere Zeitkritiker als es der Betroffenheitskonsens im deutschen Unterhaltungsgeschäft zuläßt „An jedem zweiten Krüppel verdien ich eine Mark, und wenn er am Krepieren ist, verkauf ich ihm den Sarg-ich bin nur ein Opfer des Kapitalismus“ singen sie über deutsche Rüstungsproduzenten, die Landminen, drapiert mit Kinderspielzeug, in die Dritte Welt verkaufen. Man könnte pikiert sein, daß diese grausam wahre Begebenheit neben Songs übers Popelfressen oder das erotische Abpellen einer Banane steht, man könnte aber auch einfach anerkennen, daß demnächst wohl eine halbe Million Käufer von „Planet Punk“ nicht umhin kommen, sich nebenbei auch mit der Realität des Planeten Erde auseinanderzusetzen.