„Sein Kopf kannte keine Grenzen“
Bassist Billy Cox war als einziger Musiker sowohl in der Jimi Hendrix Experience als auch bei der Band Of Gypsys und in Woodstock dabei. Interview von Jonathan Wingate
Bassist Billy Cox glaubte schon an die Fähigkeiten von Jimi Hendrix, als noch keiner den Namen des Gitarristen kannte. Hendrix revanchierte sich, indem er seinen Freund immer wieder anheuerte. Noch heute erinnert sich Cox voller Begeisterung an die anstrengende, aber fruchtbare Zusammenarbeit.
Was waren Ihre ersten Eindrücke, als Sie ihn kennenlernten?
Er schien ein cooler Bursche zu sein. Und in seiner unnachahmlichen Art, Gitarre zu spielen, hörte ich etwas, das ich zuvor nie gehört hatte. Also ging ich in den Club unserer Kaserne und stellte mich vor. Wir wurden sofort Freunde und blieben es ein Leben lang. Wir gründeten eine Band namens The King Kasuals und spielten in Armee-Clubs und auf privaten Partys. Als wir dann 1962 aus der Army entlassen wurden, fuhren wir nicht zurück nach Hause, sondern wollten weiter Musik machen, um reich und berühmt zu werden. Wir wussten intuitiv, dass unsere Musik etwas Besonderes war.
Wie lange blieben The King Kasuals zusammen?
Von 1960 bis etwa 1965. Zu dem Zeitpunkt rief Jimi mich an und sagte: „Da gibt’s diesen Typen namens Chas Chandler, der mich nach Europa holen will, um einen Star aus mir zu machen. Ich hab ihm von dir erzählt, also pack deine Sachen.“ Ich hatte damals einen geliehenen Verstärker und nicht mal einen kompletten Satz Saiten. Anders gesagt: Ich hatte nicht die Kohle, um nach England zu fliegen. Er sagte: „Okay, dann fahre ich allein, aber sobald die Sache am Laufen ist, lasse ich dich holen.“ Und so lief es dann auch: Er machte Karriere, und als er eineinhalb Jahre später in New York spielte, rief er mich an.
Sie haben dann mit ihm in Woodstock gespielt. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Man kann die Musik schlecht vom Festival trennen, weil Zuschauer und Musiker eine untrennbare Einheit bildeten. Wir spielten fast zwei Stunden lang, aber die Zeit verging wie im Fluge. Wir mussten schon morgens auf die Bühne, aber die vibes waren fantastisch. Wir spielten ein exzellentes Set, weil wir vorher intensiv geprobt hatten und die Band optimal eingespielt war. Natürlich trafen wir manchmal nicht den richtigen Ton, aber – mein Gott – das passierte uns eigentlich ständig. Unsere Band, Gypsy Sun And Rainbows, war gerade einen Monat zusammen, als wir in Woodstock auftraten. Und nach den einmonatigen Proben hatten wir das Gefühl, dass wir uns das bescheidene Honorar, das sie uns zahlten, redlich verdient hatten. Wir hatten sicher unsere Höhen und Tiefen, wobei die Lichtblicke aber eindeutig überwogen.
Waren Sie nervös, als Sie in Woodstock auf die Bühne gingen?
Wir waren alle nervös, aber Jimi hatte eine Art, die fast schon an Altersweisheit grenzte. Er sagte: „Die Leute hier sind auf einem ganz eigenen Trip. Also lasst uns ihre Energie absorbieren, um sie ihnen umgehend zurückzugeben.“ Wir lebten von der Reaktion der Zuschauer. Wenn ich mich recht erinnere, hatte Mitch Mitchell eine Flasche Blue Nun dabei, und wir nahmen alle einen Schluck, bevor wir auf die Bühne gingen.
Wie kam dann die Band Of Gypsys zusammen?
Nach Woodstock wollte Jimi aus seinem bestehenden Vertrag aussteigen, aber dafür hätte er seinen damaligen Vertragspartnern 15 Millionen Dollar zahlen müssen, die er natürlich nicht hatte. Also sagte ich: „Dann lass uns ihnen etwas geben, das dir aus der Patsche hilft – und uns gleichzeitig noch Spaß macht.“ Statt der 15 Millionen boten wir ihnen an, ein neues Album einzuspielen. Die Band Of Gypsys kam letztlich zustande, weil Jimi keine Musiker finden konnte, die ihm in dieser Situation geholfen hätten. Also erklärten Buddy Miles und ich uns bereit, ihm unter die Arme zu greifen. Alle wollten etwas von Jimi, aber mir ging es nicht ums Geld. Ich war sein Freund, und ich bin stolz, dass ich das einzige Bandmitglied bin, das mit ihm in der Jimi Hendrix Experience, in der Band Of Gypsys und in Woodstock mit Gypsy Sun And Rainbows gespielt hat.
Musstet ihr schwer schuften, als die Band mit der Arbeit anfing?
Es machte Spaß, aber es war auch harte Arbeit. Während andere Leute zum Bowlen oder Fischen gingen, waren wir pausenlos am Werkeln. Unser Leben spielte sich nur noch im Studio ab: Meist fingen wir abends um acht Uhr an und hörten erst am nächsten Nachmittag wieder auf – und standen selbst dann noch immer unter Strom. Was Jimi spielte, haute mich oft genug einfach um. Ich versuchte mich mit eigenen Geniestreichen zu revanchieren, aber das funktionierte leider nur selten. Aber die musikalische Kommunikation zwischen uns war einfach traumwandlerisch.
Überrascht es Sie, dass die Leute heute noch immer über die Musik reden, die Sie vor 40 Jahren gemeinsam kreiert haben?
Nein, wir wussten, dass es außergewöhnliche Musik war. Schon damals war sich Jimi seiner Stellung in der Musikgeschichte wohl bewusst. Er sagte manchmal: „Wir können das unmöglich veröffentlichen, weil die Leute uns für verrückt erklären und wegsperren.“ Ich bin davon überzeugt, dass Jimi in der Zukunft lebte, denn sonst würden wir heute nicht immer noch über diese Musik reden, die damals aufgenommen wurde. Mir selbst ist es völlig egal, ob ich der Musikgeschichte meinen Stempel aufgedrückt habe oder nicht. Wenn man mit Jimi arbeitete, ging es nur um die Musik. Geld habe ich damit jedenfalls nicht verdient.
Was machte Jimi Hendrix so einmalig – als Mensch und als Musiker?
Er war überdurchschnittlich intelligent. Manchmal hatte man den Eindruck, als hätte er schon einmal gelebt, als wäre er 80 oder 90 Jahre alt. Sein Kopf kannte keine Grenzen, wenn’s um Musik ging. Und genau das machte ihn so kreativ: In seiner Musik war er absolut frei.