Segensreiches Erbe
Zurück bis in die Vierziger: Die Secret Sisters singen bewährtes amerikanisches Liedgut und üben sich früh in Perfektion.
Vielleicht lässt sich der Zauber dieses singenden Geschwisterpaares bildhaft nur am Beispiel einer Familienfeier in Muscle Shoals, Alabama vorstellen: eine üppige Tafel unter freiem Himmel, eine Scheune als Tanzschuppen, darin ein provisorisches Podest, auf dem Laura und Lydia Rogers ein „House Of Gold“ besingen. Dazu wird Squaredance getanzt, Kinder springen umher und die Großeltern wippen selig mit Schaukelstühlen auf der Veranda. Mit anderen Worten: The Secret Sisters entstammen einem Sehnsuchtsort, der direkt in der Herzkammer eines alten Amerika liegt. Sie sind jung, traditionsbewusst, wertkonservativ. Ihr Debüt heißt schlicht „The Secret Sisters“ und wird Country- und Bluegrass-Puristen wie Fans der Retro-Welle zu Tränen rühren.
Elvis Costello und T Bone Burnett haben dem Album bereits ihren Segen gegeben. Burnett agierte neben David Cobb als Produzent. „T Bone schaute im Studio vorbei, als wir bereits die meisten Songs für das Album aufgenommen hatten. Er wollte sofort mitmachen“, erinnert sich Laura. Burnett hatte unlängst sein Label Beladroit gegründet und eröffnete den Schwestern einen reichen Fundus an Stücken aus den 40er- und 50er-Jahren – ohne ihn wären morbide Klassiker wie eben jenes „House Of Gold“ von Hank Williams und Bill Monroes „The One I Love Is Gone“ wohl nicht auf dem Album neben dem beschwingten Sinatra-Klassiker „Something Stupid“ gelandet. Muße, um selbst Songs zu schreiben, hatten die Schwestern kaum. Nach dem Abschluss des Plattenvertrags ging es direkt ins geschichtsträchtige Blackbird Studio in Nashville. Laura: „David sagte zu uns: ‚Spielt mir alles vor, was ihr je selbst geschrieben habt.‘ ‚Tennessee Me‘ und ‚Waste The Day‘ gefielen ihm auf Anhieb.“ Beide Songs beweisen, dass die Geschwister die Klassizismen des Genres bereits sicher beherrschen. In Zukunft wollen sie sich – wie jüngst Kitty, Daisy & Lewis mit ihrem zweiten Album – von den beliebten Standards des Great American Songbook ein Stück weit emanzipieren.
Dass die Secret Sisters nichtsdestotrotz für eine Rückbesinnung auf musikalische Traditionslinien einstehen, zeigt sich nicht nur in ihrer Zurückweisung digitaler Studiotechnik („Auto-Tune ist doch lächerlich!“), sondern auch im Sendungsbewusstsein, mit dem sie den Wertekanon der Country-Szene preisen. „Amerika büßt immer mehr von seinem kulturellen Erbe ein“, klagt Lydia. „Deshalb wollen wir einer vergangenen Ära Tribut zollen.“ Tatsächlich schaffen Laura und Lydia Rogers es, ihrer Musik eine Heimat zu geben: Beim Singen im Kirchenchor, dem Besuch von Bluegrass-Festivals, bei denen ihr Vater noch auftritt, und der Ausrichtung an den bodenständigen Lebensentwürfen ihrer Vorfahren. Daraus formen die Secret Sisters ihre ganz persönliche Form der Oral History. „Wir lieben unsere Verwandten. Eine Karriere wird niemals wichtiger sein als unsere Familie“, sagt Lydia. Die Hörer dieses Debüts werden ihr beipflichten, wenn sie sagt: „Ich denke, viele Leute sind auf der Suche nach etwas Echtem und Ehrlichem, nach Nostalgie und Originalen.“