Sean Combs: Die Akte Bad Boy – die Geschichte seiner Gewalttätigkeit
In einer monatelangen Recherche trug der US-amerikanische ROLLING STONE die Akte Sean Combs zusammen.
Curry, der von 1997 bis 2006 bei Bad Boy unter Vertrag stand, war einer der unverblümtesten Kritiker und schrieb 2009 in seinem Buch „Dancing With The Devil: How Puff Burned The Bad Boys of HipHop“ über seine Beziehung zu Combs. Er sagt, Combs habe ihm wiederholt versprochen, sein Soloalbum zu produzieren, ihm aber nie ein Budget genannt. „Es gibt verschiedene Arten, wie man einen Menschen umbringen kann“, sagt Curry im Gespräch mit ROLLING STONE. „Ich habe mitbekommen, wie er den Spirit vieler Menschen getötet hat.“
„Dieser Typ hat keine Seele, keine Verpflichtung gegenüber irgendjemandem, nicht einmal gegenüber seinen Kindern“ (Produzent Rodney „Lil Rod“ Jones)
Nicht jeder empfand das so. Die Singer-Songwriterin Kalenna Harper sagt, einer der Höhepunkte ihres Lebens sei ihre Beteiligung an Combs‘ R&B-Trio Diddy Dirty Money im Jahr 2009 gewesen. (Später arbeitete sie mit Combs an dessen „The Love Album“.) „Er war verdammt cool“, sagt sie und fügt hinzu, dass Künstler, die Combs für den Verlauf ihrer Karriere verantwortlich machen, möglicherweise unter dem „Syndrom verärgerter Mitarbeiter“ leiden.
Vor Jahren wurde geflüstert, dass einige A&R-Manager von Bad Boy sexuelle Gefälligkeiten von Künstlerinnen als Gegenleistung für professionelle Aufmerksamkeit erwarten würden. „Ich hörte davon, dass [Künstlerinnen] gebeten wurden, mit einigen der männlichen Führungskräfte etwas zu unternehmen“, erinnert sich ein ehemaliger Bad-Boy-Mitarbeiter. „So nach dem Motto: ‚Wir können deine Karriere entscheiden, was willst du dagegen tun?‘“ Zur Personalabteilung zu gehen war sinnlos. „Wenn du deinen Job willst, gehst du nicht hin, um dich zu beschweren“.
Im Podcast „Call Her Daddy“ sagte Aubrey O’Day, Ex-Mitglied der Girlgroup Danity Kane, dass sie aus der Gruppe geworfen wurde, weil sie nicht bereit war, bestimmte Dinge zu tun, „nichts, was mit meinem musikalischen Talent zu tun hatte, aber in anderen Bereichen“. Genauer wollte sie nicht werden. „Es gab kein #MeToo“, fügte sie hinzu. „Du hast eine Million NDAs und eine Million Verträge unterschrieben, die dir deine Rechte genommen haben.“ Auf Nachfrage des ROLLING STONE sagte O’Day: „Die Antwort auf die Frage, was passiert, wenn man nicht tut, was die Manager wollen? Es ist meine ganze verdammte Geschichte.“
Einige, die Combs verließen, befürchteten, er könnte versuchen, sie ganz aus der Branche zu vertreiben. Die Brooklyner Rapperin Lynese „Babs Bunny“ Wiley aus Combs‘ MTV-Reality-Show „Making the Band“ sagt, sie sei nach ihrem Ausstieg beim Label „angeschwärzt“ worden. Bunn, die Fotografin, behauptet, dass sie prompt keine Aufträge mehr bekam, nachdem sie im Jahr 2000 einen Prozess gegen Combs gewonnen hatte, weil dieser eine Reihe ihrer Biggie-Fotos einbehalten hatte. Sie behauptet, ein Freund bei der Zeitschrift „The Fader“ habe ihr erzählt, Combs habe persönlich im Büro angerufen und gesagt, wenn sie mit Bunn arbeiten würden, würde Bad Boy seine Werbung aus der Zeitschrift zurückziehen.
Die Talkshow-Moderatorin Wendy Williams schrieb 2004 in ihrem Buch, dass Combs „viel Geld ausgegeben und seinen Einfluss genutzt hat, um zu versuchen, mich zu zerstören“, nachdem sie ein angebliches Sex-Foto von Combs und einem anderen Mann auf ihrer Website veröffentlicht hatte. (Combs bestritt, dass er auf dem Foto zu sehen war.) Und der Musikproduzent Easy Mo Bee behauptete im Februar, dass er Combs wegen Tantiemen, die Combs sich selbst für einen Song des Produzenten gutgeschrieben hatte, zur Rede gestellt habe, worauf dieser eantwortet habe, dass „bestimmte Leute nicht mehr mit mir verhandeln wollten“.
„Er ist jemand, den man sich nicht zum Feind machen will“, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter von Combs. „Leute, die gegen ihn vorgehen, werden geächtet.“
Für einige waren die Auswirkungen, von Combs gedisst oder geschnitten zu werden, tiefgreifend. Wie Ex-Bad-Boy-Präsident Burrowes sagt, vergisst Combs nie einen Groll: „Wenn er einen Haken im Pullover sieht, zieht er daran.“
VI: Das Leben ist nicht immer so, wie es zu sein scheint
Zu Combs‘ 50. Geburtstag 2019 versammelten sich die Feiernden in seinem 17.000 Quadratmeter großen Haus in Holmby Hills in feinen Westen von Los Angeles. Überall schwarzer Abendgarderobe und perlenbesetzten Kleider. Bei Champagner und eiskaltem Cîroc, die Wodka-Marke, für die Combs Werbung macht, bewunderten sie das atemberaubende Gemälde des afroamerikanischen Kunststars Kerry James Marshall, das Combs kürzlich für 21 Millionen Dollar erworben hatte. Beyoncé und Jay-Z gaben sich die Klinke in die Hand, ebenso wie Dr. Dre, Leonardo DiCaprio, Kobe Bryant, Cardi B, Snoop Dogg, Kim Kardashian, Usher und Post Malone.
Es war ein krönender Moment für Combs, ein Beweis für den vielseitigen Erfolg, den er sich hart erarbeitet hatte. Combs hatte die Mode erobert und war 2004 als Menswear Designer of the Year ausgezeichnet worden, er trat am Broadway auf, wurde Miteigentümer von DeLeón Tequila, gründete den Kabelsender Revolt TV, kaufte mit Mark Wahlberg das Sportgetränkeunternehmen AQUAHydrate und hatte 2014 einen Cameo-Auftritt im Disney-Film „Muppets Most Wanted“. Und er änderte seinen zweiten Vornamen legal und offiziell in Love. Mit seinen harten Kanten, die durch sein vergoldetes Leben scheinbar weggeschliffen wurden, schien Combs unantastbar zu sein. Das alles war die perfekte Tarnung für den mutmaßlichen körperlichen und sexuellen Missbrauch seiner Frau Ventura.