Scott Walker – „Sings Jacques Brel“
Es ist vielleicht ein wenig seltsam, dass diese Platte das Lieblingsalbum von Damon Albarn ist. Dabei ist es nicht mal ein Album. Es brauchte 10 Jahre, bis die Sammlung aus Walkers berühmter Tetralogie zusammengestellt wurde - zu einer Zeit, als der Sänger nach "Climate Of Hunter" als der große Verschwundene der Popmusik galt.
Walker hatte alle Verkaufsrekorde nach unten gebrochen, es kursierten bei seinen treuesten Jüngern, den Walkerpeople, die sonderbarsten Spekulationen über seinen Verbleib. Walker wurde hin und wieder auf einem Fahrrad gesichtet, durch London radelnd, auf dem Weg zu seinem Malkurs. Erst 1995 erschien wieder ein Album, das hermetische und nicht mehr interpretierbare „Tilt“ – andererseits galt auch „Climate Of Hunter“ als hermetisch und uninterpretierbar. Jetzt hatte auch David Bowie ein Lieblingsalbum.
Walkers Brel-Deutungen erschienen auf den Alben „Scott“ bis „Scott 4“ in den Jahren 1968 und 1969 – so schnell, wie damals die Zeit verrann, war diese Spanne eine ganze Ära. Und während „Scott“ im Nachklang der Jahre mit den Walker Brothers ein triumphaler Verkaufserfolg war (die beiden nächsten LPs ebenfalls), verfehlte „Scott 4“ die Charts – jene Platte, für die Walker ausschließlich seine eigenen Songs geschrieben hatte. Von dieser Schmach wollte er sich nicht mehr erholen – sonst wäre „the second side of ,Til The Band Comes In'“, wie Jarvis Cocker klagt, nicht möglich gewesen. Schließlich vereinte Scott sich sogar mit wieder mit seinen falschen Brüdern und sang Country-Muzak. Er war tiefer gefallen, als er sich in seinen romantischsten Phantasien ausgemalt hatte.
Und in Romantik war Scott Engel der Weltmeister. Kaum war er in England ein Star, infizierte ihn der Existentialismus, wie die Beatles vom Guru befallen wurden. Scott wollte aber gar nicht mehr lesen, er wollte gleich sterben, betörte vorher jedoch noch die einschlägigen Blondinen. Er hätte eine schöne Leiche abgegeben, entdeckte allerdings Jacques Brel und nahm „Scott“ auf: mit „Mathilde“, „My Death“ und „Amsterdam“. Keith Altham bemühte in den Sleeve Notes immerhin James Dean und Montgomery Clift, Sinatra, Dylan und die Piaf, Ray Charles, Tony Bennett und Tim Hardin, um Walkers Feuer zu beschreiben. Tatsächlich rührte sein Bariton sogar bei Schmus wie „When Joanna Loved Me“ zu tränen.
Doch es waren die ingeniösen Arrangements von Wally Stott und Jack Nitzsche, bei den Brel-Liedern die wunderbaren Übersetzungen von Mort Shuman, die jede einzelne Adaption makellos machten. Das Wort „Cover-Version“ ist hier verboten. Dass ein Amerikaner die Chansons des Belgiers sang, war schon merkwürdig genug. Aber Walker hatte auch sofort die Theatralik für ein fast unerträgliches Stück wie „My Death“, zu schweigen von „If You Go Away“, und während Bowie bei „Amsterdam“ immer wie ein Engländer klingt, der noch nie einen besoffenen Fischer gesehen hat, ist Walker der Fischer selbst, wenn nicht der Fisch. Dabei ist er ganz und gar versammelt, niemals außer sich wie Brel bei seinen wetterleuchtenden Auftritten, wenn er geradezu zerfloss.
Es ist unmöglich, die drei Minuten eines solchen Liedes zu fassen. Während der Troubadour allgemein getragen und melancholisch zu singen hatte, die Orchester-Begleitung dabei träge und bombastisch, treiben hier Bläser-Fanfaren und Trommeln in halsbrecherischem Tempo voran. Das Karussellhafte der Brel-Lieder wurde verdichtet zu Versionen, in denen jeder musikalischen Bewegung eine lyrische Entsprechung zukam. Und deshalb ist „If You Go Away“ für, sagen wir: Patricia Kaas verdorben.
Um mit einer populären Note abzuschließen: Andererseits kann Scott Walker auch das Telefonbuch singen. Und wissen Sie was: Ich glaube, er macht das noch.
Philips, 1981