Scissor Sisters – Hamburg, Docks
Die Scissor Sisters laden zu einer wilden bonbonfarbenen Camp-Party
Nicht jeder, der an diesem Abend so aussah, war tatsächlich schwul. Die lustige Clique aus England zum Beispiel hatte zwar alles, was glitzert, bunt und greifbar war, am eigenen Körper drapiert – und wäre dennoch auf dem Rosenmontagszug besser aufgehoben gewesen als auf dem Christopher Street Day. Zwei sehr ernst aussehende Japaner fotografierten die aufgekratzt posende Truppe noch schnell, bevor sie unter erwartungsfrohem Gekicher nach drinnen tobte. Dort erwartete sie ein stoischer DJ, der von der luftigen Bühne aus den bis in die hinterste Nische vollgestopften Saal mit alten Depeche Mode-Hits beschallte.
Ursprünglich sollte das Konzert in der wesentlich größeren Alsterdorfer Sporthalle stattfinden, doch der Charterfolg und die massiven Radioeinsätze von „I Don’t Feel Like Dancin'“ liegen nun doch schon ein paar Monate zurück, da wartet mancher offenbar lieber auf die nächste Pop-Sensation. Der Rest steht jetzt eng aneinander gepresst zwischen einem gigantischen Mischpult, diversen Säulen und Bars und blickt auf einen altmodisch glamourösen Hintergrund, der an den tollen Pomp alter britischer Seebäder erinnert. Da kommt auch schon Jake Shears angerannt, gefolgt von Co-Sängerm Ana Matronic und dem musikalischen Tausendsassa Babydaddy.
Los geht’s mit „She’s My Man“, und augenblicklich umtost uns ein wohltemperierter Ozean aus Disco-Pop und gut geölten Siebziger-Rock-Gitarren. Jake Shears, mit schwarzen Glitterhandschuhen, die ihm fast bis zur Schulter reichen, ist von Anfang an das Zentrum des bonbonfarbenen Spektakels, da kann die reizende Ana noch so viel um ihn herum tanzen. Ihre Stimme ist allerdings mindestens genauso toll. Bei dem ineinander verschlungenen Gesang weiß man jedoch nie so genau, wer gerade lauter singt.
Spätestens ab dem göttlichen „Tits On The Radio“ tobt der Saal. Überhaupt kommen die Klassiker vom ersten Album besser an als die Songs von „Ta-Dah“. Auch „Laura“ ist ein Fest, und wie erwartet feuert Shears schon bald dramatisch ein Kleidungsstück nach dem anderen in die Ecke. Seine Tanzschritte, Posen und Bewegungen sind die perfekte Selbstinszenierung als Pin-up-Boy. „Are there homosexuals in the audience?“, fragt er scheinheilig, und das folgende Geschrei feuert er an, indem er nachsetzt: „Then scream like little girls!“ „Sing If You’re Glad To Be Gay“ hat Tom Robinson vor langer Zeit mal gesungen.
Und natürlich folgt auch hier die Comingout-Hymne „Take Your Mama“. Musikalisch gesehen schwebt während des gesamten Konzerts der gute Geist von David Bowie im Saal, mal ist es der Funk von „Let’s Dance“ und dann wieder die schweinischen Gitarren von Tin Machine. Auf den Über-Hit müssen die Hanseaten bis zur Zugabe warten. Doch bevor die ultimative Party-Hölle losbricht und Jake Shears nur noch mit einem mit Feenstaub garnierten Minislip über die Bühne hüpft, hat Ana Matronic bereits erklärt: „Hamburger! Hätte ich etwas Senf, Ketchup und ein paar Gurken dabei, ich würde euch auffressen.“ Die Hanseaten lassen jetzt jede Zurückhaltung fallen, liegen sich in den Armen und weinen fast vor Glück.