Schwarze Weihnacht – Stevie Wonder gibt zweieinhalb Stunden lang den Zeremonienmeister
Stevie Wonder – München Olympiahalle
Die Gründe, heute ein Stevie-Wonder-Konzert zu besuchen, können ja nur nostalgische sein. Über 20 Jahre alt dürfte die aktuellste Erinnerung sein an dieses ehemalige Wunderkind, aus dem dann ein Wunderjugendlicher, ein Wunder-Junger-Mann, ein Superstar und ein wundersam Frühverwelkter wurde. Die meisten der Konzertbesucher scheinen zumindest die letzte Inkarnation mit dem Künstler zu teilen. Die Damen haben sich noch einmal in Miniröcke und Leopardenfell-Legings gezwängt, die Herren strahlen Halbwelt-Charme aus. Dazwischen ein paar bildhübsche Mein-Freund-studiert-BWL-und-ich-will-später-mal-was-mit-Medien-machen-Mädchen, deren Motivation, sich in die halbgefüllte Olympiahalle zu begeben, nicht recht klar wird.
Relativ pünktlich betritt Stevie Wonder, von seiner Tochter Aisha Morris geleitet, im schwarzen Wallegewand wie ein Seat-singender Buddha die Bühne. Nach Minuten des Sich-feiern-Lassens setzt die exzellente/spielfreudige/muckerhafte Band ein, die optisch so ziemlich jedes Klischee erfüllt, das man mit der schwarzen Musik in Verbindung bringt: Billerhosen, Goldkettchen, Sonnenbrillen, kurze Röcke, Mützen… Miles Davis‚ „All Blues“ macht den Anfang. Später werden noch Chick Corea und John Coltrane zitiert, und man weiß in etwa, in welcher Gesellschaft Wonder sich sieht irgendwann im Musikhimmel. Nicht, dass einem das sonst entgangen wäre. Gegen die Rituale, die an diesem Abend zelebriert werden, ist eine Papstwahl ein ungezwungener Kegelausflug. Jeder Jam – und es gibt viele davon an diesem Abend – wird gefeiert, jedes Lied muss von allen Zuschauer mitgesungen werden.
Die tun ihr Möglichstes und springen, als die Wonder-Disco mit „As If You Read My Mind“ beginnt, von ihren Sitzen. „Master Blaster“ dröhnt durch die Halle,“All I Do“ zeigt, wo der ganze Contemporary-R&B-Manierismus seinen Ursprung hat. Wonders Stimme scheint in all den Jahren nicht gealtert, der Sound ist durchweg auf Seventies getrimmt. Als der Funke allmählich überspringt, schaltet Wonder den Vocoder ein, stimmt „O Tannenbaum“ an, holt Fans auf die Bühne, die ihm huldigen dürfen, vocodert sich durch ,People Make The World Go Round“, und stellt die 14-köpfige Band vor, wobei jeder ein Solo spielen darf: der Keyboarder, der Bassist, der Trompeter, der Saxofonist, der Perkussionist, die Schlagzeugerin, der akustische Gitarrist, der erste elektrische Gitarrist, der zweite elektrische Gitarrist…
Eine gefühlte Stunde später federt „Don’t You Worry Bout A Thing“ mit geschmeidigem Latin-Feel ins Ohr, „Visions“ zerbricht am harten Groove, „Living For The City“ trifft in Mark und Bein, „Sir Duke“ gerät orgiastisch. Dann ein Greatest-Hits-Medley für die Massen und ein furioses „Superstition“ das leider am Ende von einer erneuten Bandvorstellung ausgebremst wird. Schließlich überreicht ein Vertreter eines Instrumentenherstellers dem Künstler eine brandneue Mundharmonika. Und der freut sich fast wie ein kleines Wunderkind.