Schübe seelischer Inkontinenz

Wolfgang Doebeling über Schuld, Sühne und den Drang zur öffentlichen Selbstkasteiung

Die Queen zeigte sich einmal mehr Trend-resistent und lehnte es vornehm ab, sich bei ihrem Staatsbesuch für die Bombardierung Dresdens zu entschuldigen. Schade, fanden nicht wenige Kommentatoren in Deutschlands Osten, das wäre eine schöne Geste gewesen. Und hätte gar nichts gekostet. Sogar britische Blätter urteilten ungnädig über die königliche Unnachgiebigkeit und empfahlen Liz, sich ein Beispiel an ihrem Enkel Harry zu nehmen. Der hatte sich nach einer Wirtshausrauferei bußfertig entschuldigt, gesenkten Hauptes, wie es sich geziemt, Man ist in England ungehalten, wenn gute Gelegenheiten für ein „sorry“ ungenutzt verstreichen. Und umso nachsichtiger, wenn das Zauberwort fällt.

Vor einigen Monaten schwappte eine regelrechte Entschuldigungsepidemie über die Insel, von den berüchtigten Tabloids genüsslich in schreiende Schlagzeilen umgemünzt. Blair bat um Pardon für die Toten im Irak, Beckham für den verhängnisvoll verschossenen Elfmeter. Naomi Campbell tat es unendlich leid, Pelze über den Laufsteg geschleppt zu haben, Noel Gallagher bereute die Schlammschlacht mit Blur.

„Sorry Seemed To Be The Hardest Word“, überschrieb die „Times“ einen Artikel über die grassierenden Geständnisse, Kniefälle und Reue-Attacken, in Anspielung auf eine Elton-John-Schnulze. Welchselber gleich für seine Verschwendungssucht um Verzeihung bat und dafür, dass er Dianas Gedächtnis-Brunnen so selten besucht: „It’s disgraceful“.

Selbstbezichtigung, Bedauern, Buße, alles in einem Abwasch, alles in einem Anfall seelischer Inkontinenz. Auch Bono hat’s drauf. Als man ihn um vier Uhr früh in einer Dubliner Hotel-Lounge mit einer brennenden Zigarette ertappte, irisches Recht verletzend, machte der Star keine Anstalten, sich herauszureden. Etwa damit, dass das Hotel ihm gehöre. Nicht nur, dass er anstandslos das Bußgeld berappte, er trat anderntags auch sichtlich mitgenommen vor TV-Kameras und bat „besonders die Jugendlichen, denen ich in dieser Situation kein Vorbild war“ um Verzeihung. Bono beherrscht sogar die schwierige Disziplin der prophylaktischen Entschuldigung mit Pomp & Circumstance. „Excuse me if I appeara little nervous“, adressierte er die Abgeordneten des Labour-Parteitags in Brighton, „l’m not used to appearing before crowds of less than 100000 people“.

Das hat Stil, das hat Klasse. Kein Vergleich zur biederen Entschuldigungskultur in Deutschland. Sicher, auch hier wird depreziert, auch hier kennt und schätzt man die purgatorische Kraft von Schuldbekenntnissen mit anschließendem Tutmirauchechtleid. Nur mit der Ausführung hapert es gewaltig. Als sich Joschka Fischer bei einem Polizisten dafür entschuldigte, dass er ihm vor 30 Jahren wehtat, geschah das fast im Geheimen, Und wer hat mitbekommen, dass sich die PDS in kollektiver Zerknirschung bereits im letzten Jahr bei der SPD entschuldigt hat, für die Zwangsvereinigung in grauer Vergangenheit? Ohne Inszenierung verpuffen derlei wohlfeile Reuebezeugungen.

Wirkungsvoller war da schon die PK des verurteilten Freiers Michel Friedmann, der mit Demutsgebärde vom hohen Ross stieg und sich mit einer Rundum-Abbitte bei Gott, dem Zentralrat der Juden und „der Frau, die ich liebe“ aus der Affäre zog, so erfolgreich, dass er längst wieder obenauf schwimmt wie alle Fettaugen. Während man Christoph Daum, ebenfalls überführter Kokser, in die Türkei verbannt hat, weil er den nötigen Ernst vermissen ließ auf seiner Wiedergutmachungs-PK. Man kichert nicht, wenn man den Geläuterten mimt.

Da lobt man sich doch Oberst Ghaddafi, der schnöden Worten gleich Taten folgen lässt und seine Entschuldigungs-Offensive mit Millionenbeträgen garniert. Ob die Bewohner von Lockerbie ihm bereits verziehen haben, ist nicht verbürgt, doch ist er fraglos auf einem guten Weg. Wie auch der Papst, der sich neulich für die Inquisition entschuldigte. Das war nicht in Ordnung, sagte er. Auf Lateinisch. Ist ja auch ein Profi in Sachen Sünde und Sühne. Und wer weiß, vielleicht bedauert er morgen schon die Kreuzzüge, übermorgen den Ablasshandel… wohl nicht, da käme er zu nichts anderem mehr.

Immerhin, der gute Wille zählt. In diesem Sinne gebührt unser aller Respekt den Betreibern der Website sorryeverybody.com, die von beschämten Amerikanern nach der Präsidentenwahl eingerichtet wurde. „Sorry World“, heißt es dort, „wir haben es versucht“, gezeichnet: „die Hälfte Amerikas“.

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