Schräge Vergangenheit
Nach 14 Jahren meldet Tom Verlaine sich gleich mit zwei neuen Alben zurück. Ruhm interessiert ihn nicht, seine Inspirationen holt er sich vom Flohmarkt
In einem Lokal eines großen amerikanischen Kaffeerösters, um die Ecke vom Chelsea Hotel, habe ich mich mit Tom Verlaine verabredet. Ob ich ihn gleich erkennen werde? Das Bild in meinem Kopf ist immerhin schon ziemlich alt. Hager, lange Arme, feingliedrige Hände, schwarz gekleidet – das Cover seines ersten Soloalbums von 1979. Da war er 30, so alt wie ich jetzt. Dazwischen liegen 27 Jahre und sechs Platten. Jetzt kommen nach I4jähriger Pause zwei neue: das vorzügliche Instrumentalalbum „Around “ und das schöne „Songs And Other Things“.
Hager, lange Arme, schwarze Jacke mit hochstehendem Kragen, schwarze Mütze, unrasiert so kommt er aus den regennassen Straßen New Yorks durch die Tür. Ich erkenne ihn sofort und er kommt aus irgendeinem Grund direkt auf mich zu, gibt mir die Hand und geht sich dann erst einmal einen Kaffee holen. Ich warte. Die leichte Jazzmusik, die durch den Raum zieht wie der Geruch frisch gerösteter Bohnen, tut das gleiche wie der Becher Latte vor mir: Geschmack vortäuschen. Tom Verlaine hat gerade vom Mann hinter der Theke seinen großen Kaffee bekommen, probiert kurz und wankt unentschlossen hin und her, als könne er sich nicht entscheiden, was er nun als nächstes tun soll. Noch einmal wendet er sich an den Kaffeebrauer. Das dauert ewig – jedenfalls fast. Fünf Minuten später sitzt er endlich an meinem Tisch und klärt die Situation auf: „Ich habe da meine eigene Theorie: In einigen Läden wird das Pulver noch direkt vom Personal positioniert, und in anderen macht das ein Computer. Dann ist der Kaffee oft nicht stark genug“, er lacht verlegen über seine kleine Pedanterie und faltet die feingliedrigen Hände.
Tom Verlaine versteckt sich gerne hinter solch putzigen Theorien und Details, um nicht über sich selbst sprechen zu müssen. „Gestern habe ich in Interviews mit Leuten wie La Monte Young und Meredith Young gelesen. Und im Vorwort dieses Buches hat der Journalist ganz interessant darüber geschrieben, warum die meisten Musiker Interviews hassen. Der Kontext eines Interviews erfordert eine Ichbezogenheit. Ein Künstler wird gezwungen, sich mit sich selbst als Entität zu beschäftigen. Ansonsten würde er vielleicht über Musik oder Texte oder sonst was nachdenken. Aber im Interview wirst du gezwungen, du selbst zu sein und darüber zu sprechen – das mache zumindest ich ansonsten eher selten.“
So besteht auch die Antwort, was er denn seit 1992 – dem Jahr, in dem sein letztes Soloalbum, die Instrumentalplatte „Warm And Cool“, und das letzte Werk seiner Band Television erschienen – so gemacht habe, erstmal aus einer launigen Finte. „Ich befand mich in einem Zustand der suspended animation, einer schlafartigen Trance, in der ich Musik aus einer anderen Welt gehört und eine hieroglyphische Schrift entdeckt habe, deren Übersetzung mich Jahre gekostet hat.“ Was für Musik das gewesen sei? „Kann man schwer beschreiben, es ist fast unmöglich, sie auf eine westliche Technik oder Theorie zurückzuführen.“ Kann man sie vielleicht irgendwo auf den neuen Alben hören? „Auf dem Instrumentalalbum ist es mir gelungen, einige Sekundenbruchteile davon festzuhalten. Da musst du aber schon genau hinhören, und nach zehn Jahren intensiver Beschäftigung denkst du vielleicht: Ach, davon hat er also damals geredet.“ Während wir beide über diese Absurditäten lachen müssen, ist an dieser Stelle vielleicht Zeit für ein paar Fakten. In den letzten 14 Jahren hat Tom Verlaine unter anderem Musik für kleine Indie-Filme gemacht, die erste Version von Jeff Buckleys zweitem, schließlich posthum erschienenen Album produziert, Gedichte geschrieben („Ich habe auch schon mehrere Angebote bekommen, sie zu veröffentlichen, aber dazu müßte ich sie alle noch mal überarbeiten.“) und zwei Tourneen mit Patti Smith gemacht, die er – im Gegensatz zu vielen anderen Weggefährten aus New Yorker Punktagen – immer noch regelmäßig zum Dinner trifft. Ex-Band- und Dichterkollege Richard Hell dagegen „ruft nur an, wenn er wieder irgendeine alte Aufnahme von uns gefunden hat, die er verkaufen will. Der versucht immer noch, mit der Vergangenheit möglichst viel Geld zu machen“.
Verlaines – wie er betont „wenig lukrative“ – Verbindung zur eigenen Vergangenheit besteht darin, dass er immer noch jeden Sommer ein paar Konzerte mit seiner alten Band Television in Europa und Japan spielt. Ein neues Album sei auch schon mehr als halb fertig. „Ich sehe da keine große Dringlichkeit. Das folgt alles seinen eigenen Gesetzen. Und Soloplatten zu machen geht natür1ich viel schneller. Da wird nicht so viel rumexperimentiert. Du findest Schlagzeuger, die deine Sachen mögen und mit einem gewissen Enthusiasmus da rangehen, denen sagst du, wie du’s haben willst, und dann sind am Abend zwei oder drei Songs fertig. Für das Songalbum bin ich im Laufe des letzten Jahres ein paar Mal für einige Tage ins Studio gegangen, und in der Zeit haben wir auch innerhalb von vier Tagen das Instrumentalalbum gemacht.“
Gerade „Around“ klingt angenehm frisch und variabel, und da kommen wir im Laufe des Gesprächs doch noch auf die geheimnisvolle Musik, die Verlaine in in seiner suspended animation so sehr beschäftigt hat: „Meine Hörerlebnisse ziehe ich in den letzten 20 Jahren fast ausschließlich aus obskuren Sachen, die ich auf Flohmärkten finde. Neulich etwa diese Platte mit mimmalerelektronischer Musik, die die BBC in den Sechzigern häufig bei der Vertonung von Filmen und Dokumentationen verwendet hat. Letzte Woche habe ich eine Platte von Jerry Byrd, einem brillanten Pedal-Steel-Player aus Nashville, gefunden, der ein ganzes Album mit hawaiianischer Musik gemacht hat. Sehr gut, wenn man so was mag. In einer Hotelbar in Köln hat mal ein Typ gespielt, der einen ganz interessanten Gitarristen hatte. Da habe ich auch eine CD mitgenommen. Cocktail instrumental Schlager music. But everybody else I know could barely listen to these fuckers (lacht).“
„Songs And Other Things“ scheint von diesen Einflüssen fast frei zu sein und klingt wie eine typische Verlaine-Platte. Nur seine Stimme scheint noch ein bisschen dunkler geworden zu sein als schon auf seinem letzten Album mit Gesang, dem Television-Comeback von 1992. „Das fing schon Ende der Achtziger an. Ich habe damals über die hohen Töne nachgedacht, die ich ja schon früher eigentlich immer knapp verfehlt habe. Daraufhin habe ich meine Gitarre runtergestimmt und konnte so auch tiefer singen. Alles wurde einfacher.“ Ob das auch am Alter liege mit der tieferen Stimme, will ich noch wissen. „Nah, it’s all about coffee and cigarettes.“