Schon gezahlt, Kinder?
Es gab wieder Wut und Schlagzeilen, als die GEMA bei deutschen Kitas Gebühren für Notenblätter nachforderte. Aber hat die Musik-Verwertungsgesellschaft ihren miesen Ruf wirklich verdient? Eine umfassende Spurensuche unter Feinden, Freunden, Popstars und Paragrafenreitern.
Erste Beschwerden gab es wie immer pünktlich zu Halloween und den Laternenumzügen. Kurz nach Weihnachten 2010 kam dann der eigentliche Hammer: Jetzt kassiere die GEMA auch noch bei Kindertagesstätten ab, meldete die Deutsche Presse-Agentur. Mehrere 10.000 Kitas hatten Ende Dezember Post von der Musikrechte-Verwertungsgesellschaft bekommen. In dem Brief wurde daran erinnert, dass das Kopieren von Notenblättern und Liedtexten – so selbstverständlich es auch im Alltag der Kinderbetreuung wirke – leider Gebühren koste. 56 Euro plus Mehrwertsteuer für 500 Singzettel wurden veranschlagt.
Und obwohl die GEMA nach den ersten öffentlichen Klagen noch klarstellen ließ, dass sie das Kopiergeld nur im Auftrag der Verwertungsgesellschaft Musikedition eintreibe, war die Entrüstung größer denn je: „Bürokratie-Irrsinn in deutschen Kitas: Die Verwertungsgesellschaft GEMA fordert eine Kinderlieder-Gebühr!“, ereiferte sich „Bild“, treu guckende Vorschüler wurden gezeigt, das Wort „Abzocke“ etablierte sich als beinahe feste Sprachregelung für den Fall. Bei YouTube kann man ergänzend einen TV-Beitrag zum Thema anschauen, in dem erläutert wird, wie die Heuschrecken von der GEMA über trällernde Kinderscharen herfallen. Aufgebrachte Kommentatoren des Clips verteufeln den Verein als „parasitäre Lebensform“ und „großen deutschen Wegelagerer“.
Die Hitparade der Verfehlungen, die der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) nachgesagt werden, ist lang und abwechslungsreich. Sie bietet Anklagen über absurde Gebühren, penetrante Außendienstmitarbeiter, übervorteilte Mitglieder, verschwendete Gelder, undurchsichtige Vereinsstrukturen und Gebührenrazzien in Altersheimen. Rapper, die zu viel für ihre Samples berappen müssen, beklagen sich ebenso wie Techno-Produzenten, die zu wenig für ihre Clubhits kassieren. Dazu gibt es öfter mal Neuigkeiten zum andauernden Zank der GEMA mit der virtuellen Gratis-Videojukebox YouTube: Nachdem die zwei Parteien sich nach monatelangen Verhandlungen nicht darauf einigen konnten, wie viel Lizenzgebühren in Zukunft pro angeklicktem Musikstück fällig werden sollen, verschwinden immer mehr Clips von der Plattform. „Dieses Video ist in deinem Land nicht verfügbar“ bekommen enttäuschte Nutzer oft zu lesen. Und wechseln auf ein anderes Portal, denn MyVideo oder Dailymotion haben kein GEMA-Problem.
Die große Frage ist, worin genau das besagte Problem eigentlich besteht – denn über die Idee, die dem ganzen Laden zugrunde liegt, lässt sich seriös kaum streiten. Die GEMA ist ein Verein, dessen Aufgabe darin besteht, für Textdichter und Komponisten das Geld einzusammeln, das andere mit ihrer Arbeit – direkt oder indirekt – verdienen. Anders formuliert: Die GEMA sichert, im Idealfall, Künstlern die Lebensgrundlage.
Darüber sollte sich keiner beschweren. Geschieht hier also Rufmord an einer ehrenwerten Organisation? Wird da ein großer Generationenkonflikt ausgefochten, zwischen rückständiger Tradition und befreiter Sicht aufs überholte Copyright? Handelt es sich vielleicht nur um ein Kommunikationsproblem – oder greifen die Künstler in wirtschaftlich unsicheren Zeiten selbst zu immer rabiateren Mitteln, um ihren Lebensunterhalt zu sichern, und schicken einfach die GEMA vor? Fest steht jedenfalls, dass das Image des Vereins in weiten Teilen der interessierten Bevölkerung bedenklich schlecht ist. Die GEMA erreicht in der Regel ähnliche Popularitätswerte wie die Stasi.
Wie beliebt die GEMA ist, illustriert eindrucksvoll der Wirbel, den Monika Bestle seit gut zwei Jahren verursacht. Die 61-Jährige leitet in Sont-hofen im Allgäu eine beschauliche Kleinkunstbühne, wo sie Kabarett- und Kinderveranstaltungen sowie allerlei Konzerte organisiert. Das Unglück brachte die GEMA: Weil Bestle die für sie gültigen Tarife als unverschämt empfand, initiierte sie eine Online-Petition. Die Forderung: Der Verein solle seine Berechnungsgrundlagen ändern. 50.000 Unterschriften hätten gereicht, um die Geschichte im Bundestag auf die Tagesordnung zu bringen – aber in kürzester Zeit kamen mehr als 110.000 Unterzeichner zusammen.
So stieg die streitlustige Seniorin zu einer Art Gallionsfigur der GEMA-Kritiker auf. Die „David gegen Goliath“-Situation sicherte der süddeutschen Konzertveranstalterin viele Sympathien. Das Telefon in ihrem Haus stehe seitdem nicht mehr still, klagt sie. Besucht werden möchte sie nicht für Interviews, aber telefonisch gibt sie Auskunft. Tatsächlich klingelt es im Hintergrund auch während des Gesprächs immer wieder am anderen Apparat: Die meisten Anrufer wollen nur Karten für eine ihrer Veranstaltungen, aber es mehren sich die Menschen, die bei Monika Bestle ihren GEMA-Frust abladen. Sie komme sich längst vor wie bei einem Sorgentelefon, sagt sie amüsiert.
100 Zuschauerplätze bietet das Veranstaltungszentrum in Sonthofen, rund 120 Euro pro Abend müsste Monika Bestle laut Satzung an die GEMA abführen. Das kommt hin, wenn der Saal ausver-kauft ist. Wenn nicht, zahlt sie als Veranstalterin mitunter drauf. Solche schmerzenden Fixkosten belasten natürlich beim Erstellen eines Programms. Was Bestle so frustrierte, dass sie vor zwei Jahren ihre Petition auf den Weg brachte.
Darüber, wie und wann Abgesandte der GEMA die Kommunikation mit Monika Bestle suchten, gibt es widersprüchliche Angaben. Ein Gespräch mit GEMA-Mitarbeitern unter vier Augen habe sie schließlich abgelehnt, sie wolle Offenheit, sagt sie. Ihre Petition habe sie direkt an das Justizministerium geschickt, am 17. Mai 2010 trugen in einer öffentlichen Anhörung beide Seiten ihre Positionen einem Bundestagsausschuss vor. Bestle hat den Eindruck, das Ministerium wolle die Sache aussitzen. Darauf setze wohl auch die GEMA.
Monika Bestle war allerdings nicht über alle Unterzeichner ihrer Petition wirklich glücklich. Dass sich einige große Konzertveranstalter an ihre Sache gehängt hätten, findet sie „haarsträubend“. Die big player der Branche hätten doch bislang allenfalls „Peanuts“ bezahlt. Wenn die jetzt von der GEMA etwas mehr zur Kasse gebeten würden, dann sei das nur angemessen.
Karsten Jahnke ist ein Bilderbuch-Hanseat und einer der ganz Großen der Konzertveranstalterbranche. Er spricht und formuliert behutsam, aber bestimmt. Erst recht, wenn es um die GEMA geht, denn auf sie ist auch er dieser Tage nicht gut zu sprechen.
In seinem Büro in den Hamburger Grindelhoc++äusern serviert er grünen Tee und stellt einleitend fest (um allen Missverständnissen vorzubeugen), dass er die GEMA für eine „sehr gute Gesellschaft“ hält. Aber zanken muss sich der 72-Jährige nun doch mit den Leuten von der Rechteverwertung. „Die sind zur Zeit völlig kompromisslos“, sagt er enttäuscht.
Jahnke ist ein Musikfan, der seit 40 Jahren kleine, große und sehr große Konzerte veranstaltet. Er betreut obskure amerikanische Indie-Bands, aktuelle Bestseller wie Lady Gaga und Klassiker von AC/DC bis Herbie Hancock. Seine Leidenschaft ist der Jazz, und regelmäßig veranstaltet er in diesem Bereich Konzerte, die weit hinter den Hoffnungen zurückbleiben. Gejammert hat Jahnke trotzdem nie. Aber was die aktuellen Forderungen der GEMA an die Konzertveranstalter betrifft, ist auch bei ihm die Toleranzgrenze erreicht.
Die Ursache der Probleme, die er und der Verband der deutschen Konzertdirektionen – deren stellvertretender Präsident Jahnke ist – nun mit der GEMA haben, sei für ihn „unverständlich“. Über Jahre hätten die Konzertveranstalter und die Verwertungsgesellschaft ein „super Verhältnis“ gehabt. Man traf sich alle zwei Jahre, debattierte gesittet über angemessene Erhöhungen der Tarife. „Und auf einmal wollen die zehn Prozent der Einnahmen“, sagt Jahnke, immer noch entgeistert. „Man ist happy, wenn man bei einem Konzert überhaupt zehn Prozent verdient. Wenn wir an die GEMA künftig so viel abtreten müssten, kämen alle Veranstalter in Schwierigkeiten.“ Trotzdem rauften sich die Vertreter der Parteien zusammen, man einigte sich auf vorerst 4,2 Prozent, die sich im Lauf der nächsten Jahre auf 7,65 Prozent erhöhen werden.
Ganz so simpel ist es allerdings doch nicht. Wer im Verein der Konzertveranstalter ist, bekommt Rabatte bei der GEMA. Um den Höchstrabatt zu bekommen, muss man 200 Konzerte im Jahr ausrichten – und selbst dann zählt der Discount erst ab der 200. Veranstaltung. Dennoch hat Jahnke Verständnis für den Druck, unter dem die GEMA steht: Es sei schon eine Katastrophe, wie wenig das Publikum mittlerweile das geistige Eigentum wertschätze. Dass die GEMA die kollabierenden Einnahmen im Tonträgerbereich daher nun über die Konzertveranstalter wieder reinholen müsse, sei nachvollziehbar. Alle Nebeneinnahmen bei Konzerten sollen deshalb nach Willen der GEMA abgabepflichtig werden. So lange es sich um Sponsorengelder handelt, könne man ja noch darüber sprechen, meint Jahnke. Wenn Firma X für eine Tour 100.000 Euro zahlt, um dort ihr Logo zu präsentieren, sei die Angelegenheit klar.
Schwierig wird die Verhandlung bei den sogenannten fiktiven Zuwendungen. Wenn zum Beispiel eine Stadt ein Festival ausrichten möchte, aber dem Veranstalter die Fixkosten zu hoch sind: „Dann sagen die vielleicht, dass sie uns 30.000 Euro für die Nutzung eines Feldes nachlassen. So etwas soll nun auch noch in die Gewinnberechnung der GEMA einfließen.“ Das führe zu weit. Schon die Bürokratie, die dafür fällig würde, findet er übertrieben.
Als die Donner-Rock-Veteranen von AC/DC 2010 in Hannover das Messegelände erbeben ließen, wurde für Jahnke eine GEMA-Gebühr von ungefähr 195.000 Euro fällig. Viel Geld, keine Frage. Aber da waren auch mehr als 80.000 Menschen, die jeweils um die 60 Euro berappten für ihre Eintrittskarten, für das Privileg, „Highway To Hell“ mitzugrölen und Fassbier aus AC/DC-Plastikbechern zu trinken (Sammleredition: drei verschiedene Motive). Wenn am Ende auch Komponisten und Textdichter ihren Anteil an dem warmen Regen bekommen, sei das „in Ordnung“, meint Jahnke.
Trotzdem gibt es viele Musiker, die über die hohen GEMA-Konzertgebühren unglücklich sind – weil sie ihre Stücke nicht selbst schreiben. Wer nur interpretiert, hat nichts von Zahlungen an die Urheber. Ohnehin gebe es mittlerweile ja viel zu viele Tourneen und Konzerte, sagt Jahnke.
Ein Ende im Zwist mit der GEMA kann er sich nur vorstellen, wenn die doch noch einlenken sollten. Aber an eine Alternative zum Verwertungsverein glaube er auch nicht, sagt er. Und schenkt sich noch eine Tasse grünen Tee ein.
Die GEMA, dieser umstrittene Verein, hat eine lange Tradition. Schon zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts wurde der Gedanke geboren, dass es zur öffentlichen Aufführung eines musikalischen Werkes der Genehmigung der Autoren bedarf. Die Genossenschaft Deutscher Tonsetzer, der Komponistenstars jener Tage wie Engelbert Humperdinck und Richard Strauss vorstanden, führte damals Regie in den Verhandlungen um den Schutz der Kreativen.
In Deutschland ist das geistige Eigentum verfassungsrechtlich geschützt. Der Verein, der heute als GEMA tätig ist, hieß einst AFMA (Anstalt für musikalische Aufführungsrechte) und sammelt bis heute für Künstler die Gebühren ein, die fällig werden, wenn ihre Werke irgendwo zu Gehör gebracht oder in Auszügen genutzt werden – und zwar weltweit: sei es in einer Dorfdisko in Erkelenz, bei einem Konzert in Tokio oder in einer Radioshow in Washington. Beliebt sind Institutionen, die andere zur Kasse bitten, nie. Trotzdem führte die GEMA lange ein dezentes Schattendasein und wurde von Menschen, die wenig mit Musik zu tun hatten, kaum wahrgenommen. Wann genau die GEMA zum Buhmann wurde, ist so genau nicht mehr zu bestimmen. Aber eine Ursache dieser Probleme liegt wohl in der rasanten Evolution der Tonträgermedien.
Früher waren die Zielobjekte der GEMA noch überschaubar: Es gab Radio, Filmmusik, Konzerte und Schallplatten, die den Löwenanteil aller Einnahmen ausmachten. Heute fällt es dagegen schon richtig schwer, den Überblick darüber zu behalten, wo Musik überall eingesetzt wird – umso komplizierter die Überlegung, wie das alles GEMA-technisch erfasst und abgerechnet werden kann. In diesem Jahrtausend reicht das Spektrum von CDs, DVDs und Vinyl bis zu MP3-Dateien, von Blogs, dem iTunes-Shop bis zu Streamingdiensten wie Spotify oder zaOza. Dazu kommen Online-Videoclipkanäle wie YouTube, Vimeo oder tape.tv, die die Nachfolge von MTV und Viva angetreten haben. Nicht zu vergessen all die Handyklingeltöne und Videospiel-Soundtracks. Musik spielt in diesem Jahrtausend anscheinend überall: auf dem Anrufbeantworter des Orthopäden, beim Online-Auftritt des Yoga-Zentrums. Und eben auch beim Kita-Sommerfest. Selbst wenn man den Organisatoren hier kein kommerzielles Kalkül unterstellen würde. Und die kleinen Sänger ebenso schützenswert wirken wie die Lieder auf ihren kopierten Blättern.
Die Vielfalt mag verwirrend sein, aber das eigentliche Problem dieser schnellen Ära besteht darin, dass sich große Teile der Bevölkerung daran gewöhnt haben, dass Musik frei verfüg- und nutzbar ist, im Sinne von gratis und umsonst. Die Millionäre von Metallica oder Pink Floyd sollen sich halt nicht aufregen, denken sich manche – aber die schmerzt eine Raubkopie, wenn überhaupt, höchstens in ihrem Stolz.
Dafür leidet die Mittel- und Unterschicht der Musikschaffenden umso mehr. Die britische Musicians‘ Union hat zum Jahresende gemeldet, dass 87 Prozent ihrer Mitglieder weniger als 16.000 Pfund im Jahr verdienen. Die Performing Rights Society, die britische GEMA, fügt hinzu, dass es bei 90 Prozent ihrer Mitglieder sogar nur 5.000 Pfund sind. Dazu passt „When The Music’s Over“, ein bestürzender Artikel in der Septemberausgabe des englischen Magazins „The Word“, der die oft dramatischen Umstände schildert, unter denen bekannte, aber dennoch mittellose Musiker leben. Der 2010 verstorbene, von Fans und Kritikern weltweit betrauerte Alex Chilton zum Beispiel wagte sich nicht rechtzeitig ins Krankenhaus, weil ihm Versicherung und Geld fehlten. So traurig und peinlich diese Geschichten auch berühren: Für viele Musiker nimmt die GEMA den Status einer Lebensversicherung ein. Syd Barrett, legendärer erster Pink-Floyd-Sänger, soll bis zu seinem Tod 2006 jährlich rund eine Million Pfund an Songwriter-Tantiemen erhalten haben, obwohl er sich schon Anfang der Siebziger ganz aus dem musikalischen Leben zurückgezogen hatte.
Nun ist die gesamte Branche gefordert, irgendwie mit dieser drastischen Situation umzugehen. Weil die schwindenden Erlöse aus dem rückläufigen Tonträgergeschäft aufgefangen werden sollen, sehen die GEMA-Verantwortlichen logischerweise zu, andere Quellen zu finden, um ihre Mitglieder angemessen zu vergüten – vor allem im vermeintlichen Online-Eldorado, bei YouTube und Konsorten. Das führt zu einem weiteren Problem: Früher waren auch Gewinnspannen viel klarer definiert. Es war eindeutig geregelt, wie viel die GEMA vom Verkauf eines Tonträgers abbekam, ähnlich bei Konzerten. Heute dagegen ist längst nicht mehr durchschaubar, wer womit wie viel verdient. So werden Verhandlungen um Beteiligungen und Abgaben abstrakt, spekulativ und oft frustrierend.
Der Musiker und Produzent Matthias Arfmann wirkt eher nicht wie ein GEMA-Typ. Der 46-Jährige sitzt in Hamburg-Ottensen in einem Café vor einem Latte Macchiato, blättert in einem Bildband, den Udo Lindenberg mit Widmung und Grüßen vorbeigeschickt hat, und sagt: „Bei der GEMA haben viele Beschäftigte die Aufgabe, so GEZ-mäßig jede Kneipe auf St. Pauli daraufhin zu überprüfen, ob sie auch korrekt ihre Gebühren entrichtet. So was freut keinen.“
Arfmann ist ein Veteran der jüngeren deutschen Independent-Musikszene. Der gebürtige Bremer startete 1983 mit Katrin Achinger die Kastrierten Philosophen, mit denen er bis Ende der 90er-Jahre recht erfolgreich war. Groß raus kam er in den letzten Jahren als Produzent einheimischer HipHop-Kräfte. Er verantwortete das Bestseller-Album „Bambule“ der Absoluten Beginner und betreute von Beginn an die Solokarriere von Jan Delay als Produzent, Autor und mittlerweile Manager. Arfmann kennt beide Seiten der Musikerexistenz: Das Leben als klammer Indie-Hipster wie auch die Freuden, die Media-Control-Charts aufzurollen und bei „Wetten, dass …?“ im Rampenlicht zu stehen. Seine Haltung ist klar: „Die GEMA ist der Schutzpatron der Künstler. Ohne Wenn und Aber.“
Als er einst mit seiner Band loslegte und ihm dämmerte, dass er der Musikbranche länger erhalten bleiben könnte, waren es ältere, erfahrenere Musiker, die ihn drängten, Mitglied der GEMA zu werden. Das war zwar eher unhip, doch auch ein Weg, sich ein regelmäßiges Einkommen zu sichern. Die GEMA ist ein Verein, dem man beitreten kann, aber nicht muss. Für einen Künstler ist es allerdings fast unmöglich, alle Rechte selbst wahrzunehmen und zu kontrollieren. Auch wenn es wie ein Klischee klingt: Vielen Musikern ist es schlicht zu mühselig, den kleingedruckten Wust von Abrechnungen und Verträgen im Detail zu studieren, geschweige denn zu verstehen. Und selbst wer sich darauf einlässt, dürfte seine Schwierigkeiten damit haben, Radiotantiemen aus Australien einzufordern.
Die GEMA sei auch in Verruf geraten, weil kaum einer genau wisse, worum es bei ihrer Arbeit eigentlich gehe, sagt Arfmann: „Aber alle meine Musikerfreunde und Kollegen in Hamburg sind GEMA-Mitglieder. Ohne Ausnahme.“ Auch Jan Delay. Arfmann ist seit 28 Jahren dabei und hat „unfassbar viele Songs“ gemeldet. Auch wenn ein Lied irgendwo am Ende der Welt nur drei Cent einspielt, bekommt er irgendwann einen Beleg dafür.
Die Nachwuchskräfte, die Arfmann in seinem Studio betreut, einem umgebauten Apfelspeicher im sogenannten „Alten Land“ bei Hamburg, nölen oft, das sei ihnen alles zu kompliziert. Es sei total simpel, entgegnet er dann: „Du schreibst Lieder und wirst GEMA-Mitglied.“
Mehr als 63.000 Mitglieder hat die GEMA. Die Aufnahmegebühr beträgt 51,13 Euro, zuzüglich Umsatzsteuer, dazu kommt einmal im Jahr ein Mitgliedsbeitrag von 25,56 Euro, der mit den Tantiemeneingängen verrechnet wird. Bewerben bei dem Verein kann sich jeder, der die Grundvoraussetzungen erfüllt: Komponisten müssen ihren Anträgen fünf vom Antragsteller verfasste Originalmanuskripte in Form von Partituren oder Klavierauszügen beifügen. Von Textdichtern wird eine Handvoll Texte erwartet. Die Aufnahmeformulare stehen im Internet als PDF-Dateien frei zum Download bereit.
Also eigentlich alles klar, und komplizierte Ausnahmen bestätigen die Regel. Denn im Dschungel der Paragrafen und Beschlüsse erscheinen bei der GEMA immer wieder ganz simple Vorgänge rätselhafter, als sie sind. Das beginnt mit der schlichten Frage, ab welchem Alter man eigentlich Mitglied werden darf. Wäre Mozart, der erste Opern mit elf aufs Papier zauberte, aufgenommen worden? Matthias Arfmanns Sohn war ebenfalls elf, als er seinen Vater bat, ihn bei der GEMA anzumelden. Der tüftelte an ersten Songs, die der stolze Vater schützen lassen wollte. Es dauerte ein Weilchen, dann meldete sich eine ältere Dame telefonisch im Hause Arfmann und teilte freundlich mit, dass das Alter des Sohnes für Verwirrung im Verein gesorgt habe und man beschlossen habe, den Kandidaten ob der jungen Jahre noch etwas zu vertrösten. Weil Arfmann senior versicherte, dass er die Werke seines Sohnes öffentlich aufführe, wurde der Junge einige Telefonate und Sitzungen später doch aufgenommen. „Er findet das sehr cool“, sagt der Vater.
Es gibt drei Gattungen von GEMA-Mitgliedern: sogenannte angeschlossene Mitglieder (die nur gelegentlich texten und komponieren, derzeit mehr als 53.000), außerordentliche Mitglieder (hauptberufliche Autoren, die neu im Verein sind, mehr als 6.000) und ordentliche Mitglieder (die länger als fünf Jahre außerordentlich waren, nur um die 3.000). Dass die kleinste Gruppe, die ordentlichen Mitglieder, bei der GEMA den Ton angeben, sorgt immer wieder für Kritik: Sie stellen die Mehrheit der Stimmberechtigten und streichen den Löwenanteil der Ausschüttungen ein. Von einer „Drei-Klassen-Gesellschaft“ ist immer wieder die Rede. Das stimmt zwar – aber selten wird dabei erwähnt, dass jedes GEMA-Mitglied in diesem Kastensystem aufsteigen kann, wenn es die Voraussetzungen erfüllt. Ordentliche Mitglieder müssen fünf Jahre im Verein gewesen sein und in diesem Zeitraum mindestens 30.000 Euro an Tantiemen eingespielt haben, was 6.000 Euro im Jahr macht – eine Hürde, die für Berufsmusiker zu nehmen sein sollte.
Dass die Abrechnungen mitunter sehr spät kommen, bemängelt Matthias Arfmann: „Die GEMA ist langsam.“ Was wahrscheinlich an dem großen bürokratischen Apparat liegt, der in den Hauptsitzen München und Berlin angesiedelt ist. Wer im November ein Lied anmeldet, könne frühestens im kommenden Sommer mit einer Abrechnung und Vergütung rechnen. Es gäbe sogar Abrechnungen, die bis zu anderthalb Jahre auf sich warten lassen.
Das ist eine Ewigkeit, wenn man als Künstler kein Polster hat, das solche Verzögerungen auffängt. „Aber wenn Musik erfolgreich ist, finden eben auch sehr viele Vorgänge statt“, sagt Arfmann fast entschuldigend. Vorgänge heißt: von der GEMA zu erfassende Einsätze eines Stücks.
Unterschieden wird auch in diesem Jahrtausend noch zwischen E- und U-Musik, Ernst und Unterhaltung. Und auch dass für ein E-Werk mehr bezahlt wird als für U-Musik, wird immer wieder bekrittelt. Ein live aufgeführtes Unterhaltungslied bringt im Durchschnitt 3,95 Euro, wovon der Komponist 1,65 Euro bekommt, der Textdichter 0,99 Euro und der Musikverlag 1,31 Euro. Gewaltiger wird es bei der E-Musik: „Der Verdienst kann hier zwischen 3,82 Euro und 764,- Euro liegen“, heißt es in den Statuten der GEMA, „je nachdem, ob es sich um ein Instrumentalwerk für zwei Stimmen mit einer Dauer von zwei Minuten oder um ein großes Orchesterwerk mit einer Länge von über einer Stunde handelt. Für ein 15-minütiges Streichquartett etwa würde der Komponist rund 51,- Euro und der Verlag 25,- Euro bekommen.“ Für die Wiedergabe eines auf Tonträger erschienenen Popstücks fallen im Durchschnitt 4,60 Euro an, was dem Komponisten 1,92 Euro bringt, dem Textdichter 1,15 und dem Verlag 1,53.
Das erfolgreichste deutsche Album hat vorletztes Jahr ein gewisser Pierre Baigorry geliefert, besser bekannt als Peter Fox. Menschen, die das Kleingedruckte auf Tonträgern studieren, können nachlesen, dass der Künstler die Erträge des Super-Bestsellers „Stadtaffe“ mit Co-Autoren wie Vincent Graf Schlippenbach, David Conen, Grace Risch, Maxim Drüner, Tarek Ebéné, Ruth-Maria Renner und anderen teilen muss. Die haarsträubende Aufgabe, hier die korrekten Anteile zu berechnen, fällt der GEMA zu.
Das Ergebnis wiederum gegenzuchecken, übernehmen Verlage und Administratoren, die für die Künstler arbeiten. So wie Hans-Peter „Toni“ Malten. Der 49-Jährige betreibt in Hamburg mit einem Partner die Firma FutureWorld Consulting und kümmert sich um die wirtschaftlichen Belange von Popmusikern. „Wenn alles so schlecht wäre bei der GEMA, müssten sich ja reihenweise Mitglieder beschweren. Das passiert aber eher selten“, sagt Malten, der selbst Mitglied ist. „Die meisten Beschwerden beruhen auf Unkenntnis. Das wird dann erklärt, und meistens gibt es einen Aha-Effekt.“
Der gebürtige Dortmunder hat in den 80er-Jahren für Bands wie X Mal Deutschland oder The Beauty Contest Konzerte veranstaltet, arbeitete bei einer Plattenfirma, wechselte dann in die Musikverlagsbranche. Er hat selber nie ein Lied geschrieben, aber zum Beispiel Texte von Flowerpornoes-Mann Tom Liwa verlegt. Heute sieht er sich als Bindeglied zwischen Autoren und GEMA, was manchmal anstrengend sei, weil es zu viele Tarife gebe: „Sogar einen speziellen für Bestattungen, kein Witz“, sagt er beim Gespräch in seinem Büro in einem Hamburger Industriegebiet. Aber eben diese Vielfalt sei ja ein Versuch, Gerechtigkeit zu schaffen, fügt er hinzu.
GEMA-Kritiker, die unter anderem aus diesem Tarifgewimmel den Verdacht der Undurchsichtigkeit und Mauschelei ableiten, bringen Malten auf die Palme. „Das Gegenteil ist der Fall!“, sagt er. „Die Abrechnungen sind klar und simpel. Wenn man Mitglied ist und nichts weiter tut, bekommt man für einen Einsatz seines Liedes irgendwann eine Seite Papier. Da stehen dann ein Buchstabe und eine Summe. Also vielleicht ein U und 300 Euro.“ Wer Details wissen will, kann die dazugehörige Einzelaufstellung anfordern, dann folgen Papierberge, die alle Einzelheiten enthalten. Dass nicht jeder, der 20 Euro angewiesen kriegt, dazu einen Stapel Papier bekommt, sei doch selbstverständlich.
Jedes Werk, jeder öffentliche Einsatz müssen der GEMA gemeldet werden, damit sie korrekt arbeiten kann. Viele Klagen über ausbleibende Honorierungen von DJ-Clubhits oder Konzerten liegen einfach darin begründet, dass die Meldungen von Urhebern oder Veranstaltern verschlampt wurden. Und auch wenn es im Lauf der Recherchen tatsächlich verwundert, wie viel Gutes plötzlich über die so oft verfluchte GEMA zu hören ist: Die Sicht der Insider unterscheidet sich eben deutlich von dem, was Außenstehende über den Verein sagen.
Toni Malten hat seit 1994 keine Mitgliederversammlung ausgelassen. Eingeladen sind immer alle, es kommen in der Regel aber nur fünf bis zehn Prozent. „Wer sich als GEMA-Mitglied nicht dafür interessiert, was bei den Versammlungen besprochen und beschlossen wird, sollte sich auch später nicht über mangelnde Binnendemokratie beschweren.“
Seit einigen Jahren bemüht sich die GEMA auch selbst darum, ihr zerschundenes Image aufzupolieren. Verteilt einen Musikautorenpreis oder tingelt mit dem sogenannten „GEMA-Campus“ durch Schulen und Hochschulen. Toni Malten zum Beispiel hält bei eher jugendorientierten Veranstaltungen wie dem Reeperbahn-Festival Vorträge über die Funktion der Verwertungsgesellschaft. Mit Erfolg, sagt er.
Auch der Textdichter Frank Dostal ist bei den meisten Versammlungen der GEMA zugegen. Der gebürtige Flensburger wuchs in Hamburg auf, musizierte in den Sechzigern mit Achim Reichel bei den Rattles. In den 70er-Jahren wechselte Dostal hinter die Kulissen und lieferte die Texte für deutsche Hitparaden-Knaller wie „Das Lied der Schlümpfe“, „Du, die Wanne ist voll“ und „Yes Sir, I Can Boogie“, was ihm den Weg in eine schmucke Villa in Hamburg-Harvestehude ebnete. Seit 2009 ist der 65-Jährige stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats der GEMA. Ihn habe schon immer interessiert, was in Verträgen steht: Seine GEMA-Beitrittserklärung habe er erst unterschrieben, nachdem er mehrfach angerufen und nachgefragt habe, sagt er.
Das war vor ungefähr 40 Jahren. Mittlerweile ist er der Lautsprecher unter den GEMA-Gewaltigen. Immer, wenn mal wieder die Wellen der Empörung hochschlagen, hält Dostal sein Gesicht in die Kameras und verteidigt mit dröhnender Inbrunst das Urheberrecht. Auch bei den Verhandlungen mit neuen GEMA-Sparringspartnern wie YouTube sitzt er gern mit Pokerface am Tisch. „Heutzutage äußern sich zunehmend halb- oder uninformierte Leute zu Themen, von denen sie keine Ahnung haben. Ich rede ja auch nicht über den Bauplan eines neuen Mercedes“, sagt er.
Bei YouTube wurden Clips mit Liedern, die Dostal dichtete, mehr als 100 Millionen Mal angeklickt, weiß er und beklagt, dass er dafür kein Geld gesehen habe. Bereits der alte Vertrag zwischen GEMA und YouTube habe demnach auf einem Versprechen basiert, das nie gehalten wurde. Der Zwist um eine Einigung dauert an, und beide Seiten rücken nicht damit heraus, was genau eigentlich ihre Forderung beziehungsweise ihr Angebot ist. Da man sich bislang nicht einigen konnte, so Dostal, musste sogar „der Sheriff“ eingreifen: die Schiedsstelle beim deutschen Patentamt. Wird deren Empfehlung nicht angenommen, zieht die GEMA gegen YouTube vor Gericht. Dostal findet es „unapettitlich“, dass diejenigen, die die Inhalte vieler Clips zum Beispiel bei YouTube lieferten, am Erfolg nicht beteiligt werden. Immerhin stehe hinter dem Video-Anbieter der milliardenschwere Konzern Google.
Mit den Google-Jungs traf sich Ende Oktober 2010 der umtriebige britische Premierminister David Cameron und verkündete danach, seine Regierung überprüfe derzeit das geltende Copyright, um es „fit für das Internetzeitalter“ zu machen. Zweck sei es, durch eine potenzielle Lockerung in England endlich die kreativen Kräfte freizusetzen, die schon in den USA weltbeherrschende Konzerne wie Google, Facebook und Co. an den Start brachten.
Auch in Deutschland tobt der Streit, ob das Urheberrecht im digitalen Zeitalter eher Schutz oder Fessel für kreative Kräfte sei. „Eine Gesellschaft muss ihre Künstler schützen, sonst vertrocknet sie“, sagt Dostal beschwörend und empört sich über jeden Plan, das Gesetz zu sehr zu modifizieren. „Lieder sind wie Äpfel. Manchmal schmeckt ein geschenkter oder geklauter Apfel einfach besser. Aber nur, weil er die Ausnahme ist.“
Der Berliner Rapper Marten Laciny alias Marteria wird von Spezialisten als kommende Größe seiner Zunft gehandelt. Die Fantastischen Vier haben ihn mit auf Tour genommen, das Album „Zum Glück in die Zukunft“ ist vom Publikum sehr gut aufgenommen worden. Die Single „Verstrahlt“ war immerhin schon bei YouTube ein echter Hit mit vier Millionen Klicks – bis die zuständige Plattenfirma Sony den Stecker zog und das Filmchen sperren ließ. Der frustrierte Künstler kann das nicht nachvollziehen. „Ich verstehe den Streit, aber für Newcomer wie mich ist YouTube enorm wichtig“, klagt er. Besonders rätselhaft sei, dass andere, weniger populäre Marteria-Clips noch zu sehen seien: „Ich kapiere nicht, was gesperrt wird und was nicht. Aber natürlich müsste YouTube GEMA-pflichtig sein, wenn man logisch denkt“, ergänzt er. Mitglied ist Marteria „selbstverständlich“.
Und so endet die Reise durch das Meinungs-, Daten- und Verordnungsdickicht an dem Ort, an dem der Gravitationspunkt der Geschichte liegen muss. Vor der GEMA-Zentrale in München steht ein ungewöhnlicher Brunnen, ein Kunstwerk in Form eines gewundenen Füllhorns mit einem großen Trichter, in den viel hineingeht, und einer kleinen Öffnung, aus der nur wenig herauskommt. So stellen sich viele Kritiker die GEMA vor: viel wird eingesackt, wenig weitergegeben.
In einem schlichten Konferenzraum sitzt Dr. Harald Heker, der Vorstandsvorsitzende der GEMA, vor Mineralwasser und einem Schälchen mit Gebäck, und sagt mit ruhiger, fester Stimme: „Eigentlich glauben alle Kunden, dass sie zu viel an uns zahlen.“
Der 52-jährige Jurist ist ein klassischer Managertyp. Er hat mal ein Buch geschrieben, aber nie ein Lied, und in der GEMA ist er selbst auch nicht. Das Hauptproblem des Vereins sei nicht sein Image, sondern die mangelhafte Aufklärung darüber, was er eigentlich tut. Der Ruf der GEMA sei noch nie der beste gewesen, sagt er – und verweist auf einen „Spiegel“-Artikel von 1953, in dem bereits alle Vorwürfe dieser Tage enthalten seien. Es gebe weltweit an die 200 weitere Verwertungsgesellschaften, aber bei keiner sei der Solidargedanke so ausgeprägt wie bei der GEMA. „Modernisieren ist schwer, wenn die Einzelfallgerechtigkeit Bestand haben soll“, sagt Heker, räumt aber das komplizierte, verzweigte Regelwerk seines Ladens ein.
Bei der Verteidigung des Urheberrechts kennt er keine Kompromisse. David Camerons Initiative, das Copyright zu lockern, entsetzt den Juristen: „Wir haben natürlich die völlig gegenteilige Auffassung. Noch nie war es so wichtig, das Urheberrecht zu verteidigen, denn wenn die Künstler nicht mehr von ihrer Kunst leben können, wird das zu einer dramatischen kulturellen Verarmung unserer Gesellschaft führen.“ Auch dass eine Generation junger Pophelden sich nicht öffentlich zur GEMA bekennen mag, betrübt ihn. Peter Fox, Xavier Naidoo, Wir sind Helden, Silbermond, Juli, Jan Delay nehmen zwar ihre Beiträge dezent mit, aber halten ansonsten Distanz.
„Virtuos“ nennt sich das Vereinsmagazin der GEMA. Auf dem Titel der in Hekers Büro ausliegenden Ausgabe ist Peter Fox abgebildet, wahrscheinlich, weil er 2010 wieder irre viel Umsatz machte. Aber Fox findet nur auf dem Cover statt. Im Magazin wird vor allem über reiche Rentner der Branche berichtet: Da wird Ralph Siegel und Frank Dostal zum 65. Geburtstag gratuliert, Wolfgang Dauner zum 75. und dem Filmmusikmeister Peter Thomas zum 85. Der 88-jährige Musiklehrer der Puhdys wird auf einer Doppelseite vorgestellt und der Chef der Mitgliederbetreuung nach 46 Dienstjahren in den Ruhestand verabschiedet.
Warum jüngere prominente GEMA-Mitglieder sich fernhalten, ist klar: Der Verein erscheint, auch wenn er den Stasi-artigen Schrecken verloren hat, uncool und renovierungsbedürftig. Obwohl es ja letztlich die Musikschaffenden selbst sind, die in ihrer Organisation alles beschließen. Und eine bessere, funktionellere, gerechtere Alternative zur GEMA hat bislang keiner zu bieten. Obwohl es theoretisch möglich wäre, einen Alternativverband zu gründen.
Die Unterschriftensammlerin Monika Bestle hat sich übrigens inzwischen mit der GEMA geeinigt – auf einen Tarif, der die tatsächlichen Besucherzahlen ihrer Veranstaltungen berücksichtigt. Wenn an einem Abend mal keiner kommt, muss sie nur noch 30 Euro plus Mehrwertsteuer zahlen. „Ich habe mir die Härtefallregelung wirklich erarbeitet, auch wenn sie für alle im Land gelten müsste“, erklärt sie.
Mit der GEMA streitet sie dennoch weiter. Aus Prinzip. „Ich kämpfe im Grunde nicht für mich, sondern für die Freiheit der Kultur in Deutschland.“
Die Notenbank
Ein Verein mit Staatsauftrag: Die GEMA waltet seit über 100 Jahren.
Was nutzt einem Musiker das Recht an seinen Songs, wenn er vor lauter Beobachten, Mahnen, Mitzählen und Abrechnen gar nicht mehr zum Komponieren kommt? Und wie treibt man, wenn man in der Mannheimer Mietwohnung sitzt, Rundfunk-Tantiemen aus Australien ein? Diese Gedanken lagen – sinngemäß – dem Zusammenschluss von Komponisten, Textdichtern und Verlegern zugrunde, die 1903 in Berlin die Anstalt für musikalisches Aufführungsrecht ins Leben riefen, unter Federführung des Opernmeisters Richard Strauss. Am Ende einer turbulenten Geschichte (zu der auch der Ausschluss jüdischer Künstler im Dritten Reich gehört) ging die Organisation 1947 in der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte auf, kurz GEMA. Ein sogenannter „wirtschaftlicher Verein“, der kraft Ermächtigung durch den Staat die Urheberrechte seiner derzeit rund 63.000 Mitglieder wahrnimmt, in Zusammenarbeit mit verwandten Gesellschaften wie der VG Wort (literarische und journalistische Texte) und der VG Musikedition (Notenausgaben musikalischer Werke).
Obwohl das Tonträgergeschäft seit Jahren schrumpft, wachsen bei der GEMA die Erträge: 2009 wurden 841 Millionen Euro eingenommen, 2001 waren es noch rund 810. Abzüglich Verwaltungskosten konnten insgesamt 713 Millionen an die Mitglieder ausgeschüttet werden (2001: 693 Millionen). Aufgebrachte Musiker, die den Verteilungsschlüssel und sonstige Modalitäten ungerecht fanden, haben schon öfter mit der Gründung einer Konkurrenzorganisation gedroht. Die Ideen scheiterten an, nun ja, zu hohem Verwaltungsaufwand. JH