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Arne Willander schaut fernKolumne

Schockstarre: Die Wahlnacht der langen Gesichter im Fernsehen

ROLLING-STONE-Redakteur Arne Willander hat sich die lange Nacht der US-Wahl angeschaut.

Der Schriftsteller Eric T. Hansen ist in dieser Nacht der Einzige, der sich gegen den Generalbass stellt. Im ARD-Studio sind Susan Link, Mathias Opdenhövel und Jörg Schönenborn versammelt, es sitzen ein paar Diplomaten, Journalisten und Politologen herum und eine Weile der Schauspieler Hannes Jaenicke, der neben der deutschen die amerikanische Staatsbürgerschaft hat. Jaenicke sagt, was alle denken: Es war der schlimmste Wahlkampf aller Zeiten, Trump ist ein Egoist, ein Lügner, ein Sexist, ein Rassist und ein Steuerhinterzieher, man kann es nicht glauben.

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Eric Hansen lebt in Deutschland, er spricht gut Deutsch, und er sagt: Das ist alles Unsinn. Der Wahlkampf war nicht anders als alle anderen. Es ist immer eine Schlammschlacht, es wird immer beleidigt, gelogen und verleumdet, und übermorgen wird nicht mehr darüber gesprochen. Alles wird wie immer sein. Hansen erklärt, weshalb so viele Amerikaner Trump gewählt haben: „Trump gibt zu, dass er ein Arschloch ist. Und alle sagen: Ja, das ist ein ehrlicher Mann.“ Hansen spricht von den zwei Kulturen, von den ländlichen Regionen und den gebildeten Bürgern der Großstädte.

Man muss die Amerikaner verstehen, um Amerika zu verstehen

Man muss begreifen, dass die Hälfte der Amerikaner keine 400 Dollar besitzt, um das Auto reparieren zu lassen. Am Ende der Nacht wischt Jörg Schönenborn rechts auf seiner Schautafel, auf der „Ergebnisse“, „House“ und „Analyse“ stehen, eine Statistik herbei: Ein Drittel der Wähler sind Weiße ohne College-Abschluss.

Donald Trump Holds Election Night Event In New York City

Am Anfang der Nacht erzählt Markus Feldenkirchen noch einmal, wie Trumps Anhänger ihn mit „körperlicher Einschüchterung“ bedrohten, als er bei einer Kundgebung unter brüllenden Menschen in einem Zwinger stehen musste. Nur zwei Prozent der Japaner freuen sich auf Donald Trump, ist zu hören, und 86 Prozent der Franzosen votieren für Clinton, haben aber kein Stimmrecht. In New Hampshire wird die 91-jährige Dottie zur Wahlurne gefahren. „I have always been on your team“, sagt sie. Es wird nicht gesagt, wen sie wählt. Um 2.30 Uhr sagt der amerikanische Journalist Erik Kirschbaum: „Gott sei Dank, der Wahlkampf ist vorbei.“ 16 Staaten sind „too close to call“. Arkansas geht an Trump. Aber er müsste die Swing-Staaten gewinnen, um zu siegen.

Es ist unwahrscheinlich. Susan Link und Mathias Opdenhövel sind nun schon lange mit dem ehemaligen deutschen Botschafter Klaus Scharioth im Studio, und es wurde schon sehr oft gesagt, dass der Wahlkampf tiefe Wunden geschlagen hat, die lange nicht heilen werden, dass das Land gespalten ist und wieder vereint werden muss. Aber eigentlich wollte ja Barack Obama das Land einen und ein Präsident für alle sein, wie es jeder Präsident sagt, und Obama hat es nicht geschafft, wie es kein Präsident schafft. Ohio fällt um 4.30 Uhr an Trump.

Der Ton hat sich geändert

Es wird gezeigt, wie eine 100-Jährige aus dem Autofenster wählt. Ein Archiv-Beitrag über Melania Trump wird gezeigt. Sie sagt: „Leute, die mich nicht kennen, haben oft Mitleid mit mir. Aber ich habe alles im Griff.“ Donald Trump sagt: „Michelle Obama hält eine Rede, und alle sind begeistert. Meine Frau hält exakt dieselbe Rede, und alle regen sich auf.“ Trump findet das ungerecht.

Crowds Gather In New York To Watch Election Results From Across The Country

Das ZDF meldet jetzt: „Es hat sich umgedreht.“

Hillary Clinton gewinnt Hawaii, aber sie muss Nevada gewinnen. Erik Kirschstein sagt im ARD-Studio: „Es ist noch nicht vorbei.“ Aber der Ton ist anders. Vor dem Weißen Haus singen Hillary-Anhänger. Die Reporterin sagt, dass sie Gräben zuschütten wollen. Opdenhövel spricht im Studio vom „doch gespaltenen Land“. Aber das Land ist immer gespalten, jeder Präsident wird mit etwa 52 Prozent der Stimmen gewählt. Um 5.25 Uhr wird aus Berlin gemeldet: „Joachim Gauck wird jetzt am Wording feilen.“ Er wird am Wording zur Wahl von Donald Trump feilen.

Susan Link spricht zum ersten Mal von „Schockstarre“.

Jörg Schönenborn drückt auf „Analyse“: Trump hat die evangelikalen Frauen nicht verloren, und Clinton hat die Frauen nicht gewonnen.“ Der Reporter Stefan Niemann berichtet aus Hillary Clintons Hauptquartier: „Man konnte sehen, wie die Hoffnung aus den Leuten herausgeflossen ist. An den Sieg glaubt niemand mehr.“ Florida fällt an Trump. Eine Latina erklärt, die Mauer an der Grenze zu Mexiko sei verständlich: Es gebe ein Mauer in Guatemala und eine Mauer in Jerusalem – jeder beschütze sein Heim. Es wird darüber spekuliert, dass die Hälfte der Exil-Kubaner für Trump gestimmt hat, weil Obama sich mit der kubanischen Regierung verständigte.

Warum haben die Umfragen versagt?

Der Wahlkampfexperte Nikolas van der Laar sagt im Studio: „Hillary Clinton war einfach eine sehr unbeliebte Kandidatin.“ Herr Scharioth sagt auf dem Sofa: „Auf die transatlantischen Beziehungen kommen schwere Zeiten zu mit einem Donald Trump.“ Man sieht einen Ausschnitt von CNN, in dem gesagt wird, dass die Meinungsforscher demnächst arbeitslos sein werden.

Der Morgen graut. Tina Hassel sagt im Hauptstadtstudio: „Das politische Berlin wacht jetzt auf.“ Cem Özdemir ist aufgewacht, er ist entsetzt. Die Frauen, die Schwarzen, die Homo-Ehe, die bunte Gesellschaft. Warum haben die Umfragen es nicht angekündigt? Jörg Schönenborn sagt: „Diese Nacht endet anders, als sie begonnen hat.“

Patton Oswalt schreibt, nicht im ARD-Studio: „What I’ve learned so far tonight: America is WAAAAAAAAY more sexist than it is racist. And it’s pretty f*****g racist.“

Donald Trump mag ein Narr sein, aber er ist ihr Narr.

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Neilson Barnard WireImage
Michael Reaves Getty Images
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