Schock in Seattle
In fünf Tagen nahmen The Walkabouts ihr neues Album auf. Mit genügend Wut im Bauch geht das ganz leicht
Chris Eckman kann einfach nicht entspannen. Er sieht jetzt zwar so aus: Sitzt im Münchner „Cafe Mozart“, trinkt Bier und liest ein Geschichtsbuch. Aber natürlich ist der bekennende Workaholic schon wieder in Sachen Musik unterwegs. Es gibt endlich ein neues Album der Walkabouts — für die Eckman Songs schreibt, singt und Gitarre spielt, wenn er nicht gerade andere Musiker produziert oder Soloalben aufnimmt. Es heißt „Acetylene“ und ist die wütendste, härteste, beste Platte der Band seit Jahren.
Eingespielt wurden die zehn Songs in gerade mal fünf Tagen. Ein Problem? Von wegen: „Der zeitliche Druck hat unsere ästhetischen Vorstellungen unterstützt“, sagt Eckman. „Bei uns wird die Musik immer eher kompliziert, aber ausnahmsweise haben wir sehr direkt, fast live aufgenommen. Alles etwas Barocke blieb außen vor.“ Die Form sollte dem Inhalt dienen. Das Album fängt mit einem Stück namens „Fuck Your Fear“ an – und geht ähnlich zornig und verzweifelt weiter. Eckman konnte nicht anders. Er lebt seit einigen Jahren in Europa, kehrte für die Aufnahmen aber an die amerikanische Westküste zurück.,.Für mich war es ein Schock, nach Amerika heimzukommen. Seattle ist ja noch recht liberal, aber allein die Medien – ein Graus. Die zensieren sich selbst, die brauchen gar keine Regierung dafür. Guantanamo? Tote Zivilisten im Irak? Ach, das will doch keiner wissen, darüber berichten wir lieber mal nicht. Ich hätte unter diesen Umständen keine leisen, sanften Songs schreiben können, das wäre mir unpassend vorgekommen.“
Der Liebe wegen zog er nach Slowenien, gerade hat er ein neues Visum für fünf Jahre bekommen. Daß er seine Mitmusiker jetzt eher selten sieht, stört ihn nicht. „Wir wissen, wie man Alben macht. Wenn wir uns verabreden, dann funktioniert das auch. Zwar machen alle auch andere Sachen, aber die Walkabouts sind uns am wichtigsten, da sind wir uns einig.“
Als Eckman und Torgerson sich vor sieben Jahren trennten, befürchteten viele, das wäre auch das Ende der Walkabouts. ,Anfangs war es schon hart. Daß wir trotzdem weitergemacht haben, kann man unterschiedlich analysieren. Wußten wir nicht, was wir sonst tun sollen? Waren wir pervers? Oder war uns klar, daß diese Band es wert ist, sich zu bemühen? Ich tendiere zu Letzterem. Inzwischen ist es leichter. Man muß nicht mehr alle Rollen ausfüllen: Geliebter, Freund, Ehemann, Bandkollege.“ Eigentlich müssen die Walkabouts überhaupt nichts mehr, und genau deshalb macht ihnen die Arbeit so viel Spaß. „Wir brauchen nicht mehr aus Geldgründen Alben zu machen, also lassen wir uns Zeit, bis wir Lust dazu haben.“ Nur ein einziges Mal in mehr als 20 Jahren mit den Walkabouts hat er den Ehrgeiz mit sich durchgehen lassen. „Einmal haben wir sehr bewußt die angeblich richtige Platte zu diesem Zeitpunkt gemacht. Das war 1994, ,Setting The Woods On Fire‘. Da dachte ich, ich hätte die Formel gefunden, und habe keine Herausforderung gespürt. Im Studio geriet nichts außer Kontrolle, wir fühlten uns nie unwohl – und das war ganz falsch.“ Bei ,“Acetylene“ gab es sie wieder, die Diskussionen, die Krisen, die Unsicherheit. Das gefällt Chris Eckman: „Man muß mit sich kämpfen, um eine gewisse Tiefe zu erreichen.“