Schmäh und Schatten
"50 Jahre Austropop" wurden kürzlich mit einer mehrteiligen Filmdokumentation gefeiert - das außerhalb von Österreich herrschende Klischeebild von Nockerln-Schlager, Dialekt-Rock und Skihütten-Klamauk konnte auch so nicht gelöscht werden. Oder gerade so nicht. Christian Schachinger, Musikchef beim "Standard" in Wien, über die Frage, wieviel Austro der Pop verträgt.
Originär österreichische Popmusik unter dem in Österreich selbst ab Mitte der 80er Jahre nur noch als Schimpfwort gebrauchten Signet „Austropop“ lag eigentlich schon Anfang der 90er Jahre in den allerallerletzten Zügen. Mit dem Niedergang der einst durch „Märchenprinz“ oder „Ba-Ba-Banküberfall“ berühmt und mit den jeweils über eine Million mal verkauften Alben „Liebe, Tod & Teufel“ und „Nie wieder Kunst“ auch reich gewordenen steirischen „Rockkabarett“-Gruppe Erste Allgemeine Verunsicherung war damals endgültig Schluss mit lustig.
Selbst der im Dezember 2006 in der deutschen „Bild“-Zeitung genüsslich verhandelte Kokainprozess Rainhard Fendrichs („I Am From Austria“) verdankte sich mehr der Erinnerung an ihn als Moderator der TV-Show „Herzblatt“ denn als gelackter Wiedergänger von Wolfgang Ambros. Der Rest dieser Bewohner einer lange vor der bösen Realität versteckten und verhätschelten Truppe? Für die Fisch‘.
Und jetzt sollen sie über die Vermarktung einer sechsteiligen TV-, DVD-, CD-, Kaffeehäferl- und Heizdecken-Dokumentation plötzlich aus dem Ausgedinge wiederkehren? Sie kehren alle wieder.
Das bedeutet nicht nur runde Jahrestage bezüglich des unvermeidlichen und leider sehr toten Falco. Auch trotz des manchmal brillanten, sehr oft mediokren und immer zart verschlurften 8oer-Jahre-Pop des Hansi Hölzel, den die Österreicher spätestens 1998 bei seinem Begräbnis in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof heilig sprachen, ist ordentlich Feuer am Dach. Eine, wie man in Wien sagt, blede G’schicht.
Altbewährte Haberer und Chronisten dieses Stils wie die Musikfilmer Rudi Dolezal und Hannes Rossacher stehen mit der Abfeierung von gleich 50 Jahren Austropop jetzt möglicherweise ein letztes Mal in den Startlöchern, um das alte Genre-Unding entsprechend zu beklatschen. Mit den besagten sechs jeweils eineinhalbstündigen Dokus einer originell „50 Jahre Austropop – Weltberühmt in Österreich“ benannten und in Österreich vom Fernsehpublikum Ende 2006 stürmisch konsumierten Rückschau soll durch die deutsche TV-Ausstrahlung und DVD-Lizensierung endlich auch beim nördlichen Nachbarn noch einmal Weihestimmung aufkommen – oder verspätet Überzeugungsarbeit geleistet werden. „50 Jahre Austropop“! Mein Gott, was heißt das? Vielleicht, dass sich alte Seilschaften von mittlerweile flott auf die 60 zugehenden Protagonisten ein letztes Mal um eines bemühen: Die eigene Bedeutungslosigkeit soll hinter jenem chauvinistischen Größenwahn verborgen werden, der immer ein sicherer Indikator für tiefsten Provinzialismus war und ist.
Doch zurück zum Start: Eigentlich hat ja alles einmal ganz gut angefangen. Österreichische Populärmusik startet nicht vor 50 Jahren. Die Geschichte beginnt, entgegen der Behauptung von Dolezal/Rossacher in „Weltberühmt in Österreich“, nicht willkürlich im Jahr 1956. Das eigentliche Jubeljahr 2002 wurde möglicherweise bis 2006 schlichtweg verschlafen. Ein schönes, generelles Stichwort zum Thema: verschlafen, versäumt, „hättiwari“ („hätte ich, wäre ich“) und wurst – wie in: schade, aber egal.
Wir schreiben also in Wahrheit das Jahr 1952.
Damals wurde in Wien im Anschluss an die große Vorkriegsschule des Wieners Schlagers von aus dem amerikanischen Exil heimgekehrten jüdischen Komponisten und Kabarettisten wie Gerhard Bronner oder Georg Kreisler genüsslich die Zertrümmerung des längst überkommenen, aber noch heute nicht kaputt zu kriegenden Wienerliedsbetrieben. Das klassische Wienerlied betrieb mit Tränendrückern wie „Ich muss in meinem früheren Leben eine Reblaus g’wesen sein“ oder „Heut‘ kommen d’Engerl auf Urlaub nach Wien“ zwar bis zum Klischee eine Mythologisierung vom Wiener/Österreicher als herzensgutem, ein bisserl morbidem, immer halbbesoffenem Gemütsmenschen. Was durch den nur eineinhalb Jahrzehnte zuvor mit offenen Armen empfangenen Nationalsozialismus schon nachdrücklich widerlegt worden war.
In Opposition dazu gab also beispielsweise 1952 der Wiener Schauspieler und Kabarettist Helmut Qualtinger den Gerhard-Bronner-Titel „Der g’schupfte Ferdl“; ein flotter Boogie-Woogie-Song über einen halbstarken Proletarier auf Wochenend-Rabatz.
In den Jahren darauf folgten neben dem galligen „Der Papa wird’s schon richten“ etwa noch eine Paraphrase auf Marion Brandos Film „The Wild One“ namens „Der Halbwilde“ – oder der von klassischen US-Trainsongs abgekupferte, ins Niemandsland zwischen Wulkaprodersdorf und Stinkenbrunn verlegte „Bundesbahn-Blues“. Allesamt frühe, serienreife Prototypen des mit WolfgangAmbrosoderGeorgDanzer „klassisch“ gewordenen Austropop der 70er Jahre.
Man sollte auch nicht die damals ebenfalls schon in US-Musik dilettierenden Wiener Heurigensänger Pirron und Knapp vergessen. Die legten in den 50er Jahren ebenfalls mit einer Kombination aus G’stanzln und verwienerter „Negermusik“ einen Grundstein zur späteren Kabarettisierung österreichischer Popmusik. Ganz zu schweigen von Georg Kreislers Sittenbild „Tauben vergiften“.
Immerhin wollte man damals, zumindest ansatzweise, einem heimischen Spießertum ausgerechnet auch mit dem auf Wiener Kabarettbühnen präsentierten Mittel der parodistischen Übertragung US-amerikanischer Kultur auf die heimische Provinz beikommen. Eine eigentlich für Rock’n’Roll spätestens mit Elvis nötig gewordene Verkaufstaktik zwischen Verfremdung und Authentizitätskalkül. Man macht sich über die heimischen Möchtegern-Marlon-Brandos auf ihren Mopeds lustig, gleichzeitig lässt ja jede Parodie immer auch den Drang zur Identifikation erkennen. Die 50er und 60er Jahre waren nicht nur in Österreich tiefste Provinz und kleinbürgerliche Enge. Nachzulesen etwa auch in Elfriede Jelineks Roman „Die Ausgesperrten“.
Der grundsätzlich parodistische Zugang, die Tendenz, sich noch kleiner zu machen, als dieses Land ohnehin schon ist und dann darüber böse zu werden, weil man sich weder so noch so erträgt, führte in Österreich jedenfalls dazu, dass bis heute Pop- und Rockmusik immer auch klar erkennbar ironisch gebrochen sein und „Schmäh“ haben muss, um angenommen zu werden. Dem Austropop zumindest musikalisch stark wesenverwandte deutsche Musiker wie Peter Maffay oder Marius Müller-Westernhagen haben während ihrer Karriere mehrere Anläufe unternommen, um auch in Österreich Fuß zu fassen. Aber bierernst und humorlos bis zur Verbiesterung können wir zur Not schon auch selber sein. Zum Beispiel mit den mit alpinen Hall-Lawinen seit 1981 gegen das Publikum vorrückenden Althippie-Folk-Spießern STS („Fürstenfeld“).
Ernst können wir aber auch bei Begräbnissen sein. Und sei es bei jenem von Falco damals 1998 auf dem Wiener Zentralfriedhof. Der Österreicher liebt Begräbnisse. Nur dort erfahren Künstler wie Falco, dass man sie trotz ihrer etwaigen Erfolge im Ausland im Inland schon auch immer ein wenig gemocht hat. Insgeheim. Lebenden wird in Österreich einen solche Ehre nur äußerst selten zuteil. Sich die Ski anzuschnallen und mit anderen um die Wette zu fahren, statt sich die Gitarre umzuschnallen und gegen die Verhältnisse zu plärren, würde sich auf jeden Fall empfehlen.
Wichtig vor allem auch: Austropop ohne kabarettistischen Mindestgehalt würde die Quadratur des Kreises bedeuten. Bis heute verlaufen die Grenzen österreichischer Popmusik und jener des Kabaretts fließend. Einige der heute bekanntesten heimischen Kabarettisten wie die auch in Deutschland bekannten Alfred Dorfer, Günther Paal alias Gunkl, Roland Düringer, Alf Poier oder der auch als TV-Schauspieler aus „Kottan“ bekannte Lukas Resetarits waren ursprünglich (erfolglose) Musiker. Zusätzlich gilt in Österreich aufgrund der Kleinheit des Landes wie seines Marktes: Man muss sich immer mit dem Publikum gemein machen. Dass es heimischen Künstlern nicht gut bekommt, wenn sie sich zu sehr von ihren Hörern und einer Gesellschaft abheben, die im Erfolg begründete Unterschiede gern mit neidischer Gehässigkeit quittieren – man kann dieses Phänomen anhand der letzten, nicht so glücklichen jähre Falcos ebenso überprüfen wie derzeit frisch anhand des Falls Rainhard Fendrich.
Doch weiter mit der Geschichtsstunde. Während der 6oer Jahre traute sich der zarte Spross österreichischer Popmusik erst einmal nicht aus den Kabarettbühnen oder aus diversen Jazzlokalen heraus. Doch dann, nach gut einem Jahrzehnt Geheimwirken, während dem die internationale Jugendkultur von der österreichischen Jugend (vor allem über von der studentischen Touristik-Organisation ÖKISTA billig ermöglichte Ferienreisen nach Großbritannien) erkundet und für leiwand befunden worden war, ging alles schnell. Als mittelbare Folge formierten sich erste Rockbands wie, um 1966, in Wien Jerry & The G-Men um den erwähnten Lukas Resetarits – und als regelmäßigen Gast seinen jüngeren Bruder Willi. Der sollte später mit dem Polit-Folkrock der Schmetterlinge und bis heute vor allem als Ostbahn Kurti zu so etwas wie dem österreichischen Bruce Springsteen aufsteigen, jedenfalls zum unhinterfragten Volkshelden. Volksheld auch im Sinne von: auf der Bühne Wein aus der Doppelliterflasche trinken!
1967 kam es dann zur Gründung des noch heute das Land musikalisch dominierenden öffentlich-rechtlichen Radiosenders Ö3. Der hatte es sich bald auf die Fahnen geschrieben, den Schlagern, der zunehmend volkstümelnden Volksmusik oder der Hochkultur die angloamerikanische Moderne entgegenzusetzen. Der gesetzlich auch heute noch vorgeschriebene, aber längst nicht mehr angestrebte öffentlich-rechtliche Bildungsauftrag bewirkte auch, dass man Rock und Pop aus Übersee durch kulturelle Eigenleistungen ergänzen – und diese uneingeschränkt fördern wollte. Pop in Muttersprache wurde Ende der 60er Jahre also nicht erfunden, aber von da an über Airplay entschieden begünstigt. Kurz gesagt: Ohne Ö3 und sein Marktmonopol auf Popkultur hätte es Austropop so nie gegeben.
Mit einem Ö3-Moderator namens Andre Heller hatte man zudem auch bald einen Künstler aus den eigenen Reihen zu bieten, der es als zur poetisch-musikalischen und auf jeden Fall wienerisch-raunzenden Vortragskunst berufener Selbstvermarkter immer auch verstand, die mediale Orgel souverän zu spielen. Auf frühen Alben wie „Nr.1“ (1970) oder „Das war Andre Heller“ (1972) hörte man – deklamiert mit mehr als gesundem Selbstbewusstsein, unter strikter Vermeidung offenbar banaler US-Muster- im wienerischen Sinn gedeutete Chansons. Die wurden trick- wie klischeereich auf eine in der Aussegnungshalle stehende Couch Sigmund Freuds gelockt, wo sich dann in einem Fest der Fantasie Eros und Thanatos ordentlich die Gurke gaben.
1969 kam es dann von einer i960 gegründeten und heute länger als die Rolling Sones bestehenden, zwischen Dixieland und Skiffle pendelnden Band namens Worned Men Skiffle Group auch zur ersten Vertonung eines (schon in den 50er Jahren geschriebenen) Wiener Dialektgedichts aus der Feder des existenziellen Dichters Konrad Bayer: „Glaubst I bin bleed, das i waas, wos i wüü“. Andererseits meldete sich auch Gerhard Bronner wieder. Sein von Jazzsängerin Marianne Mendt burschikos vorgetragener Jazz-Schlager „A Glock’n (die 24 Stunden laut‘)“ gilt heute ebenso als wesentlicher Grundpfeiler des Austropop wie der 1971 veröffentlichte, psychedelisch angehauchte Lynchjustiz-Song „Hofa“ von Wolfgang Ambros oder der die Obdachlosenidyllen eines Tom Waits mit kaputtem Grummelgesang vorwegnehmende „Der Tschik“ von Georg Danzer aus dem Jahr 1972.
Die beiden letztgenannten Künstler und Titel läuteten die goldene, die klassische Zeit des Austropop ein. Mit ihren illusionslosen wie präzisen, oft phlegmatischen, meist aber renitenten und raunzenden Alltagsbeobachtungen von unten und einem Habitus, der bis hin zum höhnisch-gehetzten Gesangsansatz in der Schule eines Bob Dylan steht, wurden bis zur großen Zeitenwende um 1980 einige zeitlos gültige Klassiker produziert. Zum Beispiel „Es lebe der Zentralfriedhof“. „Hoffnungslos“ und „Wie im Schlaf“, die empfehlenswerten Dylan-Übertragungen von Wolfgang Ambros. Von Georg Danzer bleiben aus dieser Zeit auch die Alben „Der Tätowierer und die Mondprinzessin“, „Liederbuch“ oder „Traurig aber wahr“. Einige Ambros-/Danzer-Songs dieser Zeit wurden ohnehin zu Volksliedern.
Neben „Ziwui ziwui“ des steirischen Sängers Wilfried von 1974 sollte im selben Jahr mit „Der Watzmann ruft“ ein weiterer, mit heutigen Austrostars wie Hubert von Goisern und leider auch mit DJ Ötzi enorm erfolgreicher Nebenzweig des Austropop wachsen. Der „Watzmann“, ein ursprünglich als Verarschung der volkstümmelnden Musik gedachtes, aber bald schon unhinterfragt rezipiertes Musical, wurde zur Blaupause der in den 90er Jahren in Österreich grassierenden „neuen Volksmusik“. Als wirksames Gegengift empfiehlt sich diesbezüglich von 1991 herauf bis heute das Linzer Duo Attwenger. Dieses kommt politisch gesehen nicht nur von Punk und Hardcore. Mit den Alben „Luft“, “ Song“ oder 2005 zuletzt mit „Dog“ erweiterten Attwenger auch die engen volksmusikalischen Vorgaben.
Zurück in der Zeit um 1980 erlebte der Austropop aber mit Ambros und Danzer nicht nur seinen kommerziellen Höhenflug. Auch zahllose Nachahmer drängten auf den Markt. Rainhard Fendrich, Peter Cornelius, Stefanie Werger. Wilfried, STS. Singende Schauspieler wie Ludwig Hirsch, der bis heuer als Kunststaatssekretär der schwarzblau-orangen Rechtsregierung wirkende Franz Morak oder Maria Bill. Und natürlich der immer ein wenig außerhalb stehende Falco. Mit Ausnahme des Letztgenannten festigten sie alle ein Genre, das damals aufgrund seiner unhinterfragten Vormachtstellung die große Zeitenwende von Punk und New Wave und deren Auswirkungen wie Möglichkeiten großteils verschlief- oder schlichtweg ignonerte. Die „Freiheit“ wurde zwar von Danzer, Ambros, STS, Fendrich und Konsorten eifrigst besungen und kleinbürgerlich verkitscht. Am Ende blieb allerdings die Enge und das Völlegefühl einer gut im Futter stehenden Steffi Werger, die von den Freuden der Völlerei berichtete („Rund und g’sund und leiwand drauf), wie auch ein von allen guten Geistern und der Bodenhaftung verlassener Wolfgang Ambros, der fröhlich darüber jammerte, dass das mit dem Wiedererreichen des „Idealgewichts“ so eine Sache sei.
Aus Gram und Ekel wandte sich während der gesamten 80er Jahre eine junge, gegenüber den arrivierten Musikern chancenlose Generation entweder ganz von der Muttersprache ab und begann wieder auf Englisch zu texten und im Untergrund im Eigenverlag Platten im Sinne britischer und amerikanischer Vorbilder nachzustellen. Die wenigen, die es tatsächlich weiterhin auf (Hoch-)Deutsch versuchten und bei einer Plattenfirma unterkamen, wurden dort zu Tode produziert oder kamen zwischen kommerziellem und künstlerischem Anspruch unter die Räder.
Der sperrige, zickige New Wave von Acts wie Blümchen Blau oder Chuzpe, der existentialistische Garagenpunk von Ronnie Urini, der kühle Synthesizer-Charme von Rosachrom oder der intellektuelle Stakkato-Sprechgesang von Kunstprofessor Peter Weibel & Hotel Morphila Orchester mochten live in kleineren Clubs ihre Wirkung nicht verfehlen. Nicht nur aus heutiger Sicht wurden ihnen damals produktionstechnisch von Produzenten und Toningenieuren, die sich am herkömmlichen Austropop orientierten, beinahe alle Zähne gezogen. Von etwaigen Radioeinsätzen auf Ö3 ganz zu schweigen. Einzig ältere Musiker, die sich jetzt das Mäntelchen der Moderne umhängten, allen voran die Neue-Deutsche-Welle-würdigen Minisex oder Falco-Freund Hansi Lang wurden damals bis in die Hitparaden getragen.
Weil sich der staatliche Popradiosender Ö3 allerdings Anfang der 90er Jahre angesichts aufkeimender Konkurrenz von Privatradios wieder vom Sound her zunehmend internationalisieren musste, seitdem belanglose Konfektionsware sendet, und sich auch das Publikum endlich übersättigt von soviel saturiertem Dialektgesang abwendete, wurden parallel zu den bodenständig hochgebirglerischen Hitparadenerfolgen eines Hubert von Goisern der Austropop wie der Alpenrock in jene Provinz verbannt, aus der er einst kam, um diese zu überwinden. Austropop findet bis heute nur noch in den Regionalradios und fernab überregionaler Medien statt.
Mit der Erfolgsgeschichte des auch international gehypten „Vienna Sound“ und Flaggschiffen wie den DJ- und Produzenten-Teams Kruder & Dorfmeister oder Pulsinger & Tunakan in den späten 90er und beginnenden 2000er Jahren gelangte zwar erstmals seit Falco österreichische Musik auch global gesehen zu Ruhm und Anerkennung. Originäre Wurzeln lassen sich in dieser kosmopolitisch vernetzten Szene allerdings nicht mehr ausmachen. Traditioneller ausgerichtete Musiker spielen inzwischen den vom staatlichen Jugendradio FM4 goutierten Indie-Pop, Deutsch-HipHop oder Emocore streng nach Vorschrift und singen, von Ausnahmen wie Shy aus Linz abgesehen, auf Englisch.
Bands wie die Kärntner Naked Lunch klingen mit ihrer aktuellen Arbeit „This Atom Heart Of Ours“ zwar ebenso viel versprechend wie der von den Disco-Trashern Wipeout oder den (von Scott Walker auf „The Drift“ gesampelten) lndustrial-Wüterichen Fuckhead bekannte Linzer Extremsänger Didi Bruckmayr mit seinem ersten Soloalbum „A Little Warning From The Pimps“. Außer klassischen Austropop-Sachwaltern hat Österreich derzeit aber nur eine Attraktion zu bieten, die mit beiden Beinen fest in der heutigen Zeit steht. Eva Jantschitsch alias Gustav sorgte 2004 mit ihrem Debüt „Rettet die Wale“ auch deshalb für Aufsehen, weil hier erstmals wieder seit langem moderne (elektronische) Musik mit zeitgenössischen politischen Inhalten in Muttersprache aufbereitet wurde („In Linz gibt es viel Polizei – aber ich bin allein….“). Zumindest mit ihr sollte noch heuer mit einem Nachfolgealbum jene Scharte ausgemerzt werden können, die die österreichische Nena, besser bekannt als Christi Stürmer, in Osterreich wie in Deutschland derzeit mit ihrem im nasalen Viva- und MTV-Hochdeutsch vorgetragenen Happy go-lucky-Pop millionenfach reißt.