Sam Genders – Zumindest interessant
Die Kraft für sein neues Projekt Diagrams schöpfte der Ex-Tunng-Mann Sam Genders nicht zuletzt auf dem Schulhof.
Vor dreieinhalb Jahren las Sam Genders eine Kleinanzeige, die sein Leben veränderte. Eine Schule in seiner Nachbarschaft im Süden Londons bot in dieser Annonce einen Job als Grundschullehrer an – genau darauf hatte der damalige Sänger der Indie-Wundertüte Tunng gewartet. Denn Genders brauchte Geld. Bis zu jenem Zeitpunkt hatte seine Band genug abgeworfen. Auf Tourneen wurden Einnahmen erwirtschaftet, die auch für die Dürrezeit danach reichten. Doch diesmal war es anders, und ohnehin wollte Sam Genders sich verändern. Tunng, anfangs ein Projekt von ihm und Mike Lindsay, war zum vielköpfigen Ensemble und einem Geheimtipp für Folktronica geworden – Presse und Indie-Publikum liebten die Band. Doch Genders fühlte sich zusehends unwohl.
„Ich schätze, ich bin ein sehr unsicherer Mensch“, sagt der Künstler. „Eigentlich kam ich in der Musikwelt nicht gut klar. Tunng funktionierte für mich, weil ich umgeben war von sehr begabten Menschen, die selbstsicherer waren als ich. Ich saß auf dem Rücksitz und ließ die Dinge geschehen. Doch ich spürte, dass ich vor etwas davonlief.“
Genders beschreibt die Zeit im Klassenzimmer – eigentlich kein Ort für unsichere Menschen – als eine Art persönlichen Kehraus und glückbringendes Erlebnis. „Ich lernte als Mensch jeden Tag mehr, als in den Jahren davor zusammen“, erinnert er sich, „es hat mich süchtig gemacht, in diese Schule zu gehen.“
Im vergangenen Sommer waren die Therapiestunden fürs Erste vorbei: Genders (der inzwischen bei Tunng ausgestiegen war) hatte neue Lieder geschrieben, deren Vermarktung sich nicht mit einer geregelten Tätigkeit verbinden ließ. Die neue Band heißt Diagrams, weil Genders‘ neue Musik wesentlich geordneter und klarer ist als die von Tunng (die auf Kämmen bliesen und mit Muscheln spielten). Auf „Black Light“ verknüpfen sich Indie-tronic, Electro- und Prog-Pop sowie eine Art Nor-thern Soul zu einem vielschichtigen Organismus, in dem man sowohl Genders‘ Einfallsreichtum als auch die Herkunft von Produzent Mark Brydon erkennt – Brydon war eine Hälfte des Electro-Funk-Duos Moloko. Doch Genders‘ Musik, obschon nicht mehr messy wie bei Tunng, ist nun weder kühl noch technokratisch, sondern immer noch melancholisch, imaginativ und warmherzig.
Sam Genders‘ persönliches Diagramm eines geregelten Lebens sieht vor, irgendwann für beides die Zeit zu finden: Musik zu machen und Menschen zu helfen (schon vor der Zeit bei Tunng hat er Kinder und Leute mit Lernschwierigkeiten unterrichtet). Er bemerkt vielleicht nicht, dass die beiden Welten in seiner Musik bereits zusammenkommen. Denn sowohl an der tröstlichen Intimität von Tunng als auch an der Lebensenergie von Diagrams kann man sich wärmen und erbauen und ein besserer Mensch werden.
„Ich war mir eine Zeitlang nicht sicher, ob die optimistischen Texte der neuen Lieder wie eine Travestie wirken und einfach zu eindeutig sind“, erklärt Genders, „aber es ist wahr: Ich bin ein glücklicherer Mensch als früher. Und aus dieser Perspektive ist das Leben nicht mehr so schwierig und bedrückend. Es ist doch zumindest … interessant.“ Und das ist ja auch schon mal was.