Sabine Postel: Die Pragmatische
15 Jahre "Tatort" mit Sabine Postel: eine Polizistin, bei der man Geisel sein möchte
Die Schauspielerin Sabine Postel, geboren 1954, hatte schon ein Leben hinter sich, als sie Kommissarin in Bremen wurde: Sie spielte in einer englischen Sitcom und lebte einige Jahre in London. Der Postel traute man das zu, sie ist der forsch-resolute Typ, laut, rechthaberisch und nachtragend. Sie war Schulsprecherin, sie ist eloquent, sie hat zu allem eine Meinung.
Vor 15 Jahren begann sie als, ,Tatort“-Kommissarin Inga Lürsen bei Radio Bremen, der legendär widerständigen ARD-Anstalt. Für den SWR ermittelte damals schon Ulrike Folkerts, aber Frauen waren nie erfolgreich in der erfolgreichsten deutschen Fernseh-Reihe: 1981 wurde die wunderbare Karin Anselm schnell aus dem Amt gemobbt; Hannelore Elsner hatte einen einzigen Auftritt; Roswitha Schreiner war ein paar Jahre lang Assistentin. Keine wehleidigen Frauen, keine glamourösen oder verzärtelten. Aber der, ,Tatort“ verlangt Bärbeißigkeit, Müdigkeit, Zynismus oder Fatalismus, er ist die längste aller langen Strecken, er braucht Männer wie Hansjörg Felmy oder Klaus Schwarzkopf, die sachlich und bitter der Realität ins Auge sahen. Götz George und Eberhard Feik romantisierten den „Tatort“, als die Shangri-La’s „Leader Of The Pack“ sangen und später Klaus Lage und Chris Rea Lieder für die Filme schrieben.
Sabine Postel war die richtige Wahl für Bremen: Bollerig und übel gelaunt, aber mit dem Herz auf dem rechten Fleck, verkörpert sie Pflicht und Bürde, das Nölige und das Pragmatische. Ihr Partner Oliver Mommsen mit dem unglücklichen Rollennamen Stedefreund hat nicht viel zu melden, er muss auf den Hund aufpasssen und die Laufburschendienste verrichten, und vor allem muss er die Launen der Chefin ertragen. 21 Filme sind in den 15 Jahren zusammengekommen. Mittlerweile sind Maria Furtwängler und Nina Kunzendorf beliebter: So möchte der Deutsche seine Polizistinnen gern haben. Sabine Postel spielt die deutsche Polizistin aber so, wie sie ist.
Im Jubiläums-Tatort „Hochzeitsnacht“ reisen Mommsen und Postel in die niedersächsische Provinz: Der Sohn eines alten Freundes von Stedefreund heiratet, Inga Lürsen begleitet den Kollegen. Im Dorfkrug werden holprige Reden gehalten, dann Schlager gegrölt und Schnäpse getrunken – Stedefreund hält es nicht aus und geht mit dem Hund Gassi, doch der läuft gleich in den Wald. Und während der Polizist tolpatschig in einen Bach fällt und dabei seine Hose verliert, überfallen zwei maskierte Männer das abseits gelegene Lokal. Vordergründig wollen sie Geld und Schmuck von der Festgesellschaft rauben, doch tatsächlich will sich der unsichere Wolf Koschwitz (Denis Moschitto) rächen: Vor Jahren wurde er zur Gefängnishaft verurteilt, weil er angeblich eine junge Frau umbrachte, mit der er zuvor ein kurzes Techtelmechtel hatte. Die Indizien wurden gefälscht, der rebellische Jugendliche verhaftet und verurteilt, das Dorf hatte wieder Ruhe.
Nun stirbt im Chaos der Vater des Bräutigams, der die Treppen zu den Toiletten heruntergefallen ist. Einer der Burschen (unter einer Gasmaske gespielt von Ferris MC) will schnell verschwinden, doch Wolf muss die Wahrheit herausfinden. Während die Dorfgemeinschaft wie bei Hercule Poirot den Befragungen ausgesetzt ist, holt Stedefreund Hilfe herbei, und die Polizei belagert das Gasthaus: Aus dem Feierklüngel sind Geiseln geworden. Inga Lürsen bemüht sich um Beruhigung, sie begegnet den Männern rational und nüchtern, nebenbei hält sie übers Handy Kontakt nach draußen. Es ist keine geringe Kunst, wie Sabine Postel die routinierte Psychologie ebenso darstellt wie die bange Furcht: Als die stümperhaften Räuber herausfinden, dass sie Polizistin ist, argumentiert sie sofort mit ihrer Nützlichkeit als Zeugin.
Florian Baxmeyer hat „Hochzeitsnacht“ als brutale Groteske angelegt: In dem Dorflokal eröffnen sich immer neue Gänge und Räume. Vor der Tür läuft Mommsen in Unterhosen und Jackett herum und sucht ein Telefon. Ja, so sind die nebligen Dörfer da, so sind die Leute! In den Erzählungen der Beteiligten ensteht das Bild eines leichtlebigen Mädchens, das die Kerle ausnutzte, und tumber, geiler Männer, die sich zwischen Korruption und Spitzelei durchwurschteln: die Stasi der Provinz.
„Dog Day Afternoon“ wird nicht daraus, aber die Akteure um Braut Julia Engelbrecht dürfen tüchtig verschreckt sein und auch mal einen Anfall haben. Feigheit, Heldenmut und Motivation sind nicht Sachen des Drehbuchs von Jochen Greve, doch man hat schon unwahrscheinlichere Geiselnahmen gesehen – vor allem in der Wirklichkeit.
Wieder ist Sabine Postel die Frau, die einen klaren Kopf behält. Sie ist nicht heroisch. Sie ist eine Frau, mit der man in einem Landgasthof eingeschlossen sein möchte – wenn man schon eingeschlossen sein muss.
ARD, 16.9., 20.15 Uhr