Ryuichi Sakamoto – Hamburg, Musikhalle
Mit langen Gesichtern, verwirrt sichtlich bestürzt, schlich das Publikum heimwärts – obwohl der kleine Mann am Klavier sie nach dem coolen Abgang (wie im Kino liefen im Vor- und Abspann die Namen sämtlicher Mitwirkender) noch mit einer schönen Zugabe erfreut hatte. Könnte es möglich sein, daß Sakamoto, Gründungsmitglied des Yellow Magic Orchestras, in all den Jahren falsche Fährten gelegt hatte?
Eines war allen klar: Sie hatten einen Blick in die Zukunft getan – Floyd’sche Gigantomanie im portablen Reise-Set, ein Multimedia-Zoo, der das Auge überfüttert bis zum Erbrechen. MTV eben. Laser- und Licht-Orgien, die zusammen mit dem barocken Dekor die Musikhalle in eine jener japanischen Super-Spielhöllen verwandeln. Selten stehen die Bilder von Wolken, Strand, Meer und Straßenszenen inhaltlich mit den Songs in Verbindung (folglich muß es sich um „Kunstvideos“ handeln, wie „Bild“ berichtet). Zum Titelsong des neuen Albums Bilder von weinenden und trauernden Menschen – deutsche Geschichte, politisch korrekt, aber als Show-Effekt billig.
Gast-Stars wie Holly Johnson, Paul Alexander oder Roddy Frame rücken per Videoclip ins Visier, während ihre Geisterstimmen von der Festplatte kommen – Sakamoto ist ein Zauberlehrling, kein Entertainer. Sein Platz ist im Studio.
Als Sakamoto merkt, wie verhalten das Publikum reagiert, beginnt er, in schwer verständlichem Englisch Anekdoten über Katzen, Bertolucci und Hippie-Opas einzustreuen – eine menschliche Geste in der virtuellen Welt, deren technische Perfektion jede Aussage in Zweifel zieht Im Mittelteil, während der Zeitreise durch das Werk der Arbeitsameise, dürfen sich Ohr und Auge erholen: Eine versteckte Kamera am Klavier gewährt endlich den Blick ins Antlitz des Künstlers – bis der VJ seine Hände mit dem Blauen Planeten überblendet Sakamoto plays die world. Beim nächsten Mal soll’s eine Nummer kleiner werden: Dann will Sakamoto im Trio auftreten, nur mit Cello, Violine und Klavier.