Ryan Adams: Immer unter Strom
Er gibt niemals Ruhe, weil er seine "profunde Lust am Leben" verbreiten will: Ryan Adams hat wieder ein Album aufgenommen. Das Label wollte ein Solowerk, deshalb stellt er diesmal seine Band besonders heraus.
Es sind die Widersprüche, mit denen Ryan Adams einen immer wieder erstaunt. Schon der erste Eindruck: Er trägt ein Jeans-Ensemble samt Whitesnake-T-Shirt, die Haare hat er gerade ordentlich gestutzt. Er ist 32, und wenn man an all die betrunkenen Auftritte und sonstigen Exzesse denkt, sollte er aussehen wie mindestens 40. Stattdessen wirkt er wie ein aufgedrehter Teenager, kritzelt Monster und Frauen auf einen kleinen Block und grinst unverhältnismäßig oft. Er muss all seine Traurigkeit in Songs packen, bis nichts mehr davon übrig ist.
Ein Mädchen hat vor einiger Zeit mal „Easy, Tiger!“ zu Ryan Adams gesagt, als er es wieder mal zu eilig hatte. Nun heißt sein neues Album: „Easy Tiger“. „Funny“ nennt er selbst den Titel, weil er eben so gar nicht der Typ ist, der die Dinge leicht nimmt. „Das passt so dermaßen nicht zu mir, dass es Humor beweist.“ Es gibt aber durchaus Tage, an denen Adams gar nicht an Musik denkt, schließlich hat er auch ein ausgefülltes Privatleben. „Ich habe eine tolle Beziehung, gehe gern ins Museum und ins Kino und spazieren, gucke Tiere an und Natur und so. Sehe gern fern, wie jeder andere. Aber wenn ich Musik mache, komme ich schnell zum Punkt, ohne Zeit zu verschwenden. Straight to the nitty gritty, I don’t fuck around!“
Schlagzeuger Brad Pemberton, den er zur Unterstützung mitgebracht hat, lacht, stimmt dann allerdings zu. Wenn Adams arbeitet, dann hart. Angeblich Montag bis Freitag, acht Stunden, ob auf Tour oder im Studio. Ob er das ernst meint, bleibt sein Geheimnis, obwohl er felsenfest beteuert: „Acht Stunden! Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt. Ich habe schließlich einen guten Job, ich wollte ihn unbedingt. Also strenge ich mich an. Ich profitiere ja auch davon, weil ich besser werde, selbst wenn an manchen Tagen nichts entsteht, was ich brauchen könnte. Ich übe gern. Wäre ich ein professioneller Tennisspieler, würde ich auch jeden Tag spielen, nicht nur in Wembley. Oder wie dieses große Turnier heißt.“
Nun hätte kein Mensch Ryan Adams je Faulheit vorgeworfen: In sieben Jahren hat er neun Alben veröffentlicht, im Jahre 2005 allein drei – und das trotz einer Zyste im Ohr, chronischer Kopfschmerzen und anderer Wehwehchen. Inzwischen ist er übrigens „total nüchtern“, bloß das Rauchen will er sich nicht abgewöhnen. Er fingert gern an seinen Zigaretten herum, während er versucht, Gedanken zu formulieren. Oft fängt er an, etwas zu sagen, stoppt sich dann kopfschüttelnd selbst und behauptet das Gegenteil. Beispiel: sein irrer Output an Songs, den manche doch für des Guten zu viel halten. Adams besteht auf seinem Recht, mehr als das übliche Album alle zwei Jahre zu machen, weil er nun mal dieses große Bedürfnis hat, sich mitzuteilen und seine Lieder nicht im Archiv verrotten lassen will. Außerdem will er bei Tourneen immer neue Stücke zum Spielen haben: „Das ist gut für die Band – und auch für die Zuhörer. I’ve always been really driven. Ich musste mich immer besonders anstrengen, um etwas zu erreichen, um eine gewisse Kompetenz zu erlangen. Mir fiel nie irgendwas leicht. Jetzt empfinde ich eine gewisse Leichtigkeit, auf dem Level, das ich jetzt erreicht habe. Ich brauche doppelt so lange wie andere Leute, um etwas zu lernen.“ Er runzelt kurz die Stirn, als hörte er diesen Satz zum ersten Mal. Haben seine Lippen das gerade formuliert? Sein Gewissen widerspricht: „Das stimmt eigentlich gar nicht, das ist eine unverschämte Lüge.“ Fast empört verbessert er sich selbst: „Was ich meine: Ich habe immer einen ungeheuren Enthusiasmus, und manchmal komme ich dem mit meinen Fähigkeiten kaum hinterher.“
Manchmal kommt auch die Veröffentlichungsmaschinerie nicht hinterher. Ende dieses Jahres soll es ein Box-Set mit allen möglichen unveröffentlichten Songs der vergangenen sieben Jahre geben. Der Produzent von „Easy Tiger“, Jamie Candiloro, ist schon im Studio, um es fertigzustellen. Es sind Stücke, die einfach nicht auf die Alben passten, aus Zeitmangel nie zu Ende gedacht oder erst mal beiseite gelegt wurden. Wie viele Stunden es genau werden, weiß Adams noch nicht, aber die verschiedenen Alben haben schon Arbeitstitel: „The Suicide Handbook“ und „48 Hours“, als Bootlegs schon länger im Umlauf, werden komplettiert und runderneuert. „Darkbreaker“ ist laut Adams „verdammt dunkel und depressiv“, „Black Hole“ schrieb er unter Medikamenteneinfluss und vergleicht die Musik mit „den Strokes, wenn sie schlecht wären“. Zwei weitere Raritäten-Alben haben noch keinen definitiven Namen. Offensichtlich hat Adams noch viel mehr geschrieben, als wir zu hören bekamen. „Du würdest dich wundern!“, ruft er, fast drohend. „Meine Notizbücher sind immer alle voll. Ich bin ständig auf der Suche nach mehr Papier.“
Hört man die Songs von „Easy Tiger“ einzeln, könnte man meinen, da passe einiges gar nicht zusammen. Zwischen melancholischen Liebesliedern wie „Two“
und lakonischen Beobachtungen wie „Oh My God, Whatever, Etc.“ stehen die Billig-Rock-Nummer „Halloweenhead“ und das traditionelle „Tears Of Gold“ und doch ergeben diese Widersprüche am Ende ein stimmiges Gesamtbild, zusammengehalten natürlich von Adams‘ Stimme. Doch er schreibt sich das Ergebnis nicht selbst zu, er verdankte es seinem Team: „Wir hatten sehr viele Songs diesmal, aber keine rechte Idee, wie die Reihenfolge sein soll und wie das komplette Album klingen soll. Es war Zeit, mal um Hilfe zu bitten. Wir fragten unseren Manager John (Grier) und seine Leute, auch jedes einzelne Bandmitglied, sogar ein paar Bekannte, die gar nichts mit Musik zu tun haben – alle außer mir hatten was zu sagen. Manchmal war ich schockiert von den Ansichten, aber es war sehr, sehr gesund. Es war Zeit für mich für ein bisschen Selbstlosigkeit. Ein bisschen Kontrolle abgeben. Auch aus purer Ironie: Ich bin schließlich in einer Band, den Cardinals. Wir haben ohne Ende getourt und zusammen aufgenommen, doch die Plattenfirma wollte unbedingt ein Soloalbum. Ich aber nicht. Der Rest der Band redete mir gut zu, dass ich es ruhig machen soll. Also steht es jetzt als Soloalbum im Laden, und die Ironie ist: Noch nie hatte die Band so viel zu sagen wie diesmal, es ist ein totales Band-Album. Das gefällt mir.“ Er konnte nur durchsetzen, dass auf dem Vinyl auch „The Cardinals“ steht, mehr war nicht drin.
Als Adams das mit der abgegebenen Kontrolle sagt, grinst Pemberton verdächtig. Warum? Er guckt vorsichtig seinen Sänger an. „Sag ruhig“, ermutigt der ihn. „Du kennst mich besser als ich mich selbst.“ Also behauptet der Schlagzeuger: „Ryan hört schon auf andere, er hört ganz genau zu, aber am Ende des Tages macht er doch, was er machen will.“ Einspruch: „Nein, nein, nein!“ „Ich sage ja nicht, dass du unsere Anregungen nicht aufnimmst, aber -“ Und schon redet wieder Adams, ohne Punkt und Komma: „Aber ich muss doch der Sänger sein und der Rhythmus-Gitarrist. Ich bringe meine Ideen immer zur Band, ich schreibe fast nie allein einen Song. Besonders Brad bringt sich viel ein, weil er am meisten Geduld mit mir hat. Er hört sich meine Songs wirklich gern an. Die anderen schon auch, aber manchmal sind sie von der Menge doch überwältigt. Wenn ich das Ding in mir, das Musik schreibt, anwerfe, dann ist das wie ein wildgewordener Wasserschlauch. Da braucht es schon ein paar starke Feuerwehrmänner, um das Ventil wieder abzudrehen. Das verdammte Ding ist einfach sehr kraftvoll. Ich finde das ja gut, auch wenn’s anstrengend ist. Aber beim Schreiben vergesse ich, dass ich den Song irgendwann singen muss, und wenn er fertig ist, muss ich ihn erst mal als Bandmitglied neu bewerten.“
Mit seiner exponierten Rolle hat sich Ryan Adams in den sieben Jahren, in denen er solo unterwegs ist, abgefunden, auch wenn er gerade auf der Bühne noch oft mit sich hadert. „Ich bin ein eher widerwilliger Sänger. Ich kann’s einigermaßen. Ich schaffe es, nicht zu viel darüber nachzudenken, damit ich nicht komplett verrückt werde. Ich mag meine Stimme nicht so gern, die musikalischen Teile meiner Platten und Konzerte sind mir lieber. Ich finde, ich habe einfach nicht das Charisma eines Frontmannes, das fehlt mir. Im Rampenlicht werde ich immer ein bisschen schüchtern. But I can kinda sing, I can kinda lead the band, so I accept the role“
Dass er „Easy Tiger“ als richtiges Band-Album angelegt hat, beweisen etliche Anekdoten, die er nebenbei erzählt. Sein Ausruf „Guitar solo!“ auf „Halloweenhead“ ist einem internen Scherz zu verdanken. „Tatsächlich folgt dann ja ein ulkiger Synthesizer, das ist komisch, oder?“ fragt Adams und kann sich heute noch darüber beeumeln. Was „Tears Of Gold“ betrifft, so behauptet er, die Zeile „We are old despite the years“ sei kein abgewandeltes R.E.M.-Zitat, obwohl er sofort weiß, in welchem Song „We are young despite the years“ auftaucht: „Ach ja, ‚These Days‘ von ‚Lifes Rich Pageant‘. Guter Song! Ich weiß jetzt gar nicht, ob ich daran gedacht habe. Es ging mir mehr um eine Geschichte der Sterblichkeit. Und ich wollte Jon Graboff, unseren Pedal-Steel-Player, in den Vordergrund stellen. Manchmal, wenn ich Lieder schreibe, geht es mir vor allem darum, die Interessen der anderen Musiker zu wahren. Es ist ja mein Job, Lieder zu schreiben, die unsere Band widerspiegeln.“
Über seine Texte spricht Adams nicht so gern. Es hat ja auch einen Grund, warum er nie „topical songs“ schreibt, keine politischen Stücke oder große Geschichten. „Ich interessiere mich mehr für das Alltägliche, die Romantik im Gewöhnlichen-etwas, was jeder nachvollziehen kann. Der Löwenanteil meiner Songs sind vielleicht Liebeslieder, aber ich würde sagen, dass selbst meine traurigsten, düstersten Lieder eine profunde Liebe zum Leben ausdrücken. Ich bin sehr enthusiastisch. Ich genieße all meine Erfahrungen. Deshalb fallen mir ja so viele Songs ein, weil ich diese Freude darüber empfinde, dass ich so viel erlebe, das ist alles mystisch und wunderbar. Und das will ich unbedingt weitergeben.“
Die Begeisterung, mit der Adams über seine Musik spricht, ist ansteckend, und so hat er nie Schwierigkeiten, Kollegen zu finden, die ihm mit ein paar Akkorden oder einer zweiten Stimme aushelfen. Als er für den Song „Two“ eine Sängerin brauchte, dachte er sofort an Sheryl Crow, mit der er schon häufiger auf Festivals gespielt hatte. Dass Crow seinen Anhängern als zu mainstreamig gelten könnte, war ihm völlig egal. „Viele Leute werden ja ganz komisch, wenn ein Musiker erfolgreich wird. Aber wenn man lange dabei ist, gibt es nun mal diesen Unvermeidlichkeitsfaktor: Irgendwann funktioniert es wahrscheinlich einfach. Was ich in meinem professionellen Leben festgestellt habe: Viele dieser Künstler fühlen sich isolierter als die punkigste Punkband in San Francisco. Auf einmal stecken sie in der Schublade und kommen nicht mehr raus – das ist härter als leidlicher Erfolg. Ich stehe ja irgendwie auf diesem Grat zwischen Misserfolg und Erfolg. Bin nicht richtig erfolgreich, aber auch nicht erfolglos. Ich sage: Ich halte meinen Job. Ich habe viele Entscheidungen getroffen, um nicht komplett zu versagen-aber auch, um nicht komplett erfolgreich zu sein.“ Soll das heißen, er hat sich bewusst gegen die große Karriere entschieden? ‚Ja, schon. Vor allem am Anfang meiner Laufbahn gab es viele Möglichkeiten. Wenn man gute Songs hat, weiß man: Man bekommt jetzt das Ticket zum Erfolg angeboten. Will man es annehmen? Will man die Single pushen? Monatelang Promotion machen, Videos, Foto-Shoots, rote Teppiche? All der Scheiß rund um die Musik entscheidet ja, ob man wirklich bekannt wird. Ich habe immer nein gesagt. Ich dachte immer, es nützt mir mehr, wenn ich mich aufs Aufnehmen und Touren konzentriere und meine Nase, soweit das möglich ist, aus den anderen Sachen raushalte. Im Grunde bin ich stolz auf diese Entscheidung. Und gönne es doch allen anderen, wenn sie den anderen Weg nehmen. Wäre auch traurig, wenn im Radio nur noch Mist läuft, da höre ich lieber einen guten Sheryl-Crow-Song.“
Stolz also, gar kein Bedauern? „Ich bereue nichts. Ich bin immer nur so gut wie meine erkennbaren Fehler. Ohne den Mut, Fehler zu machen, schafft man nie etwas Großes. Ich fand es immer aufregend, etwas zu versuchen – auch wenn hin und wieder nichts Großes daraus geworden ist. Das ist die schönste Art, Zeit zu verbringen – mit Musik, beim Üben und Besserwerden.“ Und wenn das nächste Mal einer „Easy, Tiger!“ zu ihm sagt? Hört er wieder nicht drauf.