Rust never sleeps – Neil Young öffnet Herz und Garage

Mit „Chrome Dreams II“ setzt der wunderliche Sammler von Sounds und Autos ein Album fort, das er niemals veröffentlichte. Und in der rastlosen Mobilität erkennt Neil Young das Prinzip seines Lebens.

Heute allerdings ist er nicht hier, um über Politik zu reden. Die Themen sind persönlicher, und Neil Young spricht überraschend freimütig, wenn man bedenkt, wie er sonst alles sorgsam hütet, was hinter seiner aristokratischen Stirn vor sich geht.

Young ist 62, seine Züge sind kantig und klar. Wenn man einen Schritt zurücktritt und die Augen zusammenkneift, sieht er aus wie James Garner (nach „Maverick“ und vor „Detektiv Rockford“). Er wirkt auch schmaler als in den letzten Jahren – das Interview hat er um 90 Minuten verschoben, um noch sein tägliches Stündchen auf der Power-Plate zu absolvieren, dem derzeit schwer angesagten Trainingsgerät, auf das auch Madonna oder Clint Eastwood schwören. Von einem russischen Wissenschaftler für Astronauten entwickelt, beschleunigt der vibrierende Apparat den Trainingserfolg, indem er für bis zu 50 Muskelkontraktionen pro Minute sorgt. Perfekt für einen wie Neil Young, der ohnehin gern durch die Zeit reist – obwohl man auf der Platte steht wie auf einer schleudernden Waschmaschine und Warnungen kursieren, das hochfrequente Gerüttel könne das Gehirn schädigen. Komischerweise macht Young sich da keine Sorgen. Wie Jeff Bridges als Überlebender eines Flugzeugabsturzes in „Fearless“ lebt er mit einem neuen Gefühl von Freiheit, seit er nicht nur das Aneurysma überlebt hat und die Operation, bei der winzige Platinringe in sein Gehirn implantiert wurden, sondern auch seinen Zusammenbruch im Central Park zwei Tage nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus – eine Gefäßkomplikation, nach der er blutend und bewusstlos auf der Straße lag. „Ich wusste einfach, dass ich noch nicht bereit war zu gehen“, sagten Er sorgte sich höchstens, die Power-Plate könnte die Songs beeinflussen, die er für sein 43. Album aufnahm, das nun „Chrome Dreams 11“ heißt.

„Ich habe nicht darauf geachtet, wann die Songs entstanden oder aufgenommen Neil Young ist gesprächig. Für seine Verhältnisse jedenfalls. Ernst sitzt er vor mir, blaugraue Augen unter schweren Lidern, ein Blick, der jeder Zeit in der Lage scheint, einen an die nächste Wand zu nageln. Aber er strahlt eine fast meditative Gelassenheit aus, wirkt zufrieden mit sich und seinen Entscheidungen. Verschwunden der Zorn von früher, der Groll, mit dem er Fernseher aus dem dritten Stock in kalifornische Canyons warf oder auf der Bühne mit finsterem Blick eine 15-Minuten-Version von „Down By The River“ spielte, ohne sein Publikum auch nur eines Blickes zu würdigen.

Aber heute will er übers Leben reden wie selten zuvor. Vielleicht, weil er vor zwei Jahren durch sein Gehirn-Aneurysma dem Tod ins Gesicht geblickt und be‘ schlössen hat, mal innezuhalten und den Palmenduft zu genießen. Vielleicht ist er einen Teil seines Ärgers auch mit der Veröffentlichung von „Living At War“ im letzten Jahr losgeworden. Ganz unverbrämt wetterte er gegen den Krieg im Irak und forderte in „Impeach The President“ die Absetzung von George W. Bush.

wurden oder wie sie zu ihrem Sound kamen. Erst hinterher überlegte ich, was an den betreffenden Tagen sonst noch los war. Ich absolviere eben dieses Trainingsprogramm und wollte wissen, ob da ein Zusammenhang bestand. Aber diese Musik… kam einfach so raus.“

Das nun fertige Album hat wenig mit dem ursprünglichen „Chrome Dreams“ gemein – abgesehen vom Titel und dem Umstand, dass beide urspünglich von einem Kunstwerk inspiriert wurden:

„Chrome Dreams I“ von der Skizze eines Autos, das in eine schöne Frau transformiert, gezeichnet von Youngs inzwischen verstorbenem langjährigen Produzenten und Freund David Briggs. Die aktuelle Version kam zustande, nachdem Young das Bild eines verrosteten Kühler-Ornaments gesehen hatte, fotografiert von Anthony Crawford, einem Sänger aus Nashville. Das Foto weckte irgendeine Erinnerung, der alte Titel kam Young in den Kopf, und so unternahm er eine weitere Reise in seine eigene Vergangenheit.

Warum die Version von 1977 nie veröffentlicht wurde, weiß Young allein – und vielleicht noch Carole King, die damals in sein Haus in Malibu kam, sich die Songs anhörte (darunter „Powderfinger“, „Like A Hurricane“, „Sedan De-Uvery“ und „Pocahontas“) und erklärte, die Songs ergäben kein richtiges Album. Zum Glück hatte sie nicht die Gelegenheit, auch „Chrome Dreams 11“ zu kritisieren. Und so setzt sich Young zu einem Gespräch über seine Faszination an motorisierter Fortbewegung, über Heidentum, Rituale vor Auftritten, den Stand der lang versprochenen Komplett-Retrospektive „Arctic“ und nicht zuletzt darüber, wie der Bodenbelag in seiner Garage die Entstehung dieses Albums ganz entscheidend beeinflusst hat.

„Chrome Dreams II“ folgt ziemlich dicht auf „Living With War“ und „Praihe Wind“. Eine ungeplante Schwangerschaft, oder hattest du so etwas schon lange vor?

Ich wollte einfach mal wieder Musik machen. Und ich hatte gerade eine große Garage gebaut, in die meine ganzen alten Autos rein sollten. Aber dann lief ich auf dem Zementboden auf und ab, und das fühlte sich im Rücken gar nicht gut an. Ich dachte: Hier die coolen alten Autos anzuschauen, wird keinen Spaß machen. Also besorgte ich mir diesen Gummibelag, den man auch in Bars hinterm Tresen verlegt. Dicker Gummi, mit Löchern drin, und damit legte ich den ganzen Boden aus. Konnte man toll drauf laufen. Und plötzl ich klang der Raum auch gut, fast der ganze Hall war gedämpft, es gab nur noch eine einzige kurze Reflexion von der Decke, dann war Stille. So muss das sein, so muss ein großer, frischer Sound klingen.

Ein warmer Klang.

Ja. Und groß. Aber ein großer Sound macht eben Druck, der schallt von den Wänden zurück, und dann klingt alles verwaschen. Der Gummiboden schien das aber zu dämpfen. Und als ich dann noch die Löcher mit Sägemehl füllte, klang es unglaublich. Kein Echo, nur großer Klang, und dann Stille. Aus dem hallenden Tank wurde der am besten klingende Raum, in dem ich je gespielt habe.

Und die geänderte Akustik brachte dich auf Ideen.

Ja, ich dachte mir: Hey, jetzt hab ich direkt vor der Tür einen Ort zum Spielen. Ich könnte meine Freunde einladen…

Ah, deswegen heißt das neue Studio Feel Good Garage?

Feel Good’s, genau genommen. Feel Good’s Garage.

Und, wirkt es? Du schreibst ja immer recht schnell, aber zur Zeit bist du wirklich hyperkreativ.

Ich weiß nicht, was es ist, aber jedenfalls bin ich dankbar dafür und lasse es einfach geschehen. Wenn ich nichts zu sagen habe, dann sage ich auch nichts, aber wenn etwas kommt… Um mich anzustoßen, braucht es eigentlich nur die richtige Umgebung. Dann denke ich über Musik nach. So lief das.

Und heißt das Album nun „Chrome Dreams“, weil das Studio, in dem es entstand, ursprünglich für deine Autos vorgesehen war?

Das passte alles aut eine ganz schräge Art zusammen. Es begann damit, dass ein Sänger, mit dem ich manchmal spiele, Anthony Crawford – dass der also Fotos von meinem Autofriedhof voller amerikanischer Klassiker machte. Lauter tolle Autos, aber alle demoliert, in übelstem Zustand. Trotzdem haben sie noch ihre klassischen Linien. Unter anderem fotografierte er ein Ornament auf einer Motorhaube, und als ich das Bild sah – mit Moos und Dreck auf dem Blech und abblätterndem Lack und d le Ve rzierung angelaufen-, daran gefiel mir. dass es etwas Großartiges war, aber nicht zu seiner besten Zeit. Ich dachte, mein Gott, das sieht ja aus wie ich. Ich fühle mich auch ein bisschen verwittert und kaputt nach den Dingen, die passiert sind-aber es geht mir gut.

So fing das an. Dann dachte ich an Chromträume, und dann erinnerte ich mich an das Album „Chrome Dreams“ und dass da die Skizze eines Chrysler von meinem Freund David Briggs vorne drauf war. Wenn man das Cover drehte, sah es aus wie eine Frau. Das Bild wurde bei einem Brand zerstört, aber ich erinnerte mich noch daran, also ging ich ins Internet und googlete „Chrome Dreams“, und tatsächlich gab es in Deutschland jemanden, der vor ein paar Jahren eine Testpressung ergattert hatte.

Und das war genau die eine, die du hattest machen lassen?

Genau die. Ich weiß auch nicht, wie sie in Deutschland landen konnte, aber ich hatte sie machen lassen. Und jetzt wird sie verkauft.

Du konntest doch mal anfragen, ob du sie zurückbekommst. Oder kaufen kannst.

Nein, ich hab nicht gefragt. Ich glaube, sie würden sie mir eh nicht geben. Mich beschäftigt eher, dass ich nicht weiß, wie sie drangekommen sind.

Was bedeutet das für dich? Klingt ja nach Räuberpistole.

Naja, für mich ist es eine Verbindung zu meiner Vergangenheit. Die Songs darauf sind dann zwar über die Jahre auf diversen Platten erschienen, aber in dieser Zusammenstellung stehen sie chronologisch richtig. Wie auch immer. Daran musste ich jedenfalls denken und fand, ein „Chrome Dreams II“ zu machen wäre eine coole Idee. Da ich „Chrome Dreams“ ja nie veröffentlicht hatte. Es gab mir einen Anknüpfungspunkt, die alten Sachen entweder neu aufzunehmen oder die Originale herzunehmen und zu schauen, wie sie sich heute anfühlen.

Drei der Songs entstammen den alten Sessions, soviel ich weiß. Ja, die ersten drei sind alte Songs. Lustig, dass du erst neulich bei „Farm Aid“ darüber sprachst, es gebe keine Bluebirds, keine Hüttensänger mehr auf deinem See, und nun ist auf deinem neuen Album der Song „Beautiful Bluebird“.

Oh, Vögel sind ein großes Zeichen, ein Zeichen für Veränderung. Sie sind Botschafter für die Menschheit. Wenn Vögel verschwinden, dann kündigt das etwas Schlimmes an. Das darf man nicht ignorieren. Denk an Horrorfilme-wenn Vögel einen Ort verlassen, dann weiß man: Es wird etwas passieren, und zwar nie etwas Gutes. „Bluebird“ stammt aus den 8oer Jahren. Ich hatte es ursprünglich für „Old Wti^s“ aufgenommen, aber dann nahm das Album eine andere Wendung, und ich ließ den Song weg.

Jetzt habe ich ihn neu eingespielt. Ich mache das oft, wenn ich aufnehme und nicht allzu viele neue Songs habe, dass ich erst mal alte Songs hernehme. Nicht mal. um sie dann tatsächlich zu verwenden, es ist einfach eine Methode, die Dinge ganz ohne Druck in Gang zu bringen. Wir spielen ein paar Songs, dann habe ich schon mal welche, und dann beginne ich, neue zu schreiben. Aber diesmal wurden die älteren Sachen richtig gut. „Boxcar“ zum Beispiel ist sehr schön geworden. Ich habe noch ein paar andere Versionen davon, aber keine ist so gut wie diese.

Ich bin überrascht, dass du jetzt so viel von deinen Überzeugungen preisgibst. So kenne ich dich gar nicht. Fühlst du dich nicht entblößt dabei? Sonst weichst du viel mehr aus.

Ich habe selbst zum ersten Mal genauer über meine Überzeugungen nachgedacht, das kam irgendwie ganz von selbst. Im Allgemeinen rede ich ungern über solche Dinge, weil ich nicht gerne die Weltanschauung anderer Leute beurteile oder in Frage stelle. Und man tut das irgendwie schon, wenn man seine eigene Sicht darstellt. Glaube, Geschichte… es sind alles nur Storys. Buddhismus, Christentum – geh einen Schritt zurück, es ist eine Story, eine Metapher. Es ist alles das Gleiche.

Du hast mal so toll gesagt, es gebe Fragen, und manche würden eben nie beantwortet. Ich kriege den Satz nicht mehr richtig hin, aber es ging um den Gedanken, dass Glaube eben Glaube ist. Er liefert keine Antworten.

Richtig.

Und dass man aber durch die Fragen stärker wird. Hätte man die Antworten, würde man aufhören zu denken. Wer Fragen hat, macht weiter. Bei unserem letzten Gespräch ging es um den Mond und den Großen Geist. Und auf der Bühne sprachst du über den pfleglichen Umgang mit Ackerboden. Das hat mich an meine Schulzeit erinnert, als wir Zeichnungen von Indianern sahen, die unter jeder Pflanze einen Fisch als natürlichen Dünger vergruben. Als du bei „Farm Aid“ sprachst, da hat mir das deine Religion auf den Punkt gebracht.

Ja. Ja, genau, das ist es. Man dient der Erde, und sie dient einem. Ich hab’s einfach mit der Natur, an sie glaube ich.

Wenn man mich unbedingt in eine Schublade packen wollte, dann wäre ich am liebsten ein Heide. Das Heidentum war natürlich eine Bedrohung des Christentums und hat deshalb seit Jahrhunderten einen schlechten Ruf, als wär’s ein Schimpfwort. Aber es ist ein gutes Wort.

Eigentlich meint es inzwischen nicht unbedingt mehr Abtrünnige – eher eine naturverbundene Religion.

Ja. Wenn man so was wie „Die Nebel von Avalon“ liest, dann rückt es in einen Kontext. Das war wie ein guter Song oder ein herrliches Landschaftsgemälde. Gibt einem Raum. Freiheit.

Als du mit „Chrome Dreams II“ anfingst, gab es da das eine oder andere Dejä-vu, wurden Gefühle von 1976/77 wieder wach?

Nein. Für mich war es einfach eine Sammlung von Songs, und ich bediente mich aus der Vergangenheit. Komisch war, dass das Covermotiv vom Schrottplatz kam und wir in einem Gebäude aufnahmen, das für Autos gedacht gewesen war, in dem aber nun kein Auto stand. Aber es ist, wie gesagt, der tollste Raum, in dem ich je Musik gemacht habe. Man kann laut spielen oder leise, keine Reflexionen, auch kein Brummen-eine echte Entdeckung.

Aber deine Begeisterung für Autos, Züge, überhaupt Fortbewegungsmittel ist lustig. Welche Metapher steckt darin – dass du immer vorausfährst?

Na, auf jeden Fall bin ich in Bewegung. Das hat mich immer fasziniert. Beförderung, Fortbewegung. Ich mag Maschinen. Ich mag das Gefühl zu fliegen oder zu schweben oder wie immer man von einem Ort zu m anderen kommt. Warum auch immer, es geht mir besser, wenn ich mich fortbewege, als wenn ich still sitze.

Wo wir von der Zeit reden – schreibst du immer noch chronologisch?

Davon bin ich abgekommen – ich hab’s eine Zeit lang so gemacht, zwei oder drei Platten lang. Aber diese ist anders, da hab ich mich nicht darum gekümmert, wann die Songs geschrieben oder aufgenommen wurden. Außer dass ich später noch mal über die Umstände nachdachte und über einen Zusammenhang zwischen der Musik und meinem Trainingsplan. Aber ansonsten kam diese Musik einfach so aus mir raus. Ich wusste gar nicht, ob die Songs was taugen, ich wollte nur einfach spielen. Die Sache war die, dass mein Koproduzent Niko Bolas gerade ein Jahr lang seine Frau gepflegt hatte. Bis sie starb. Und als ich ihn anrief und sagte: „Lass uns ein Album machen“, da zögerte er und sagte: „Wir warten auf den richtigen Zeitpunkt, und dann machen wir’s.“ So lief das dann, und deshalb steckt so viel Seele in dem Album, weil er so sensibel ist.

Was sind deine lebhaftesten Erinnerungen ans erste „Chrome Dreams“-Album?

Ich weiß noch, wie ich damals am Strand von L.A. in Malibu lebte. Und Carole King auch, ein Stück weiter, ich kannte sie und sagte: „Carole, komm doch mal vorbei und hör dir was an. Ich hab ein neues Album gemacht, lass es mich dir vorspielen.“ Sie kam, aber nach der Hälfte sagte sie: „Neil, das ist kein richtiges Album.“ Ich sagte: ,Also, für mich schon. Ich singe meine Songs, und da sind sie.“ Sie sagte: „Aber es ist kein Album. Ich meine, da spielt ja niemand, die Hälfte der Songs singst du ganz allein.“ Sie lachte, sie amüsierte sich darüber. Weil man in ein Album mehr Handwerk investieren musste. Sie war darin hervorragend, „Tapestry“ war eine tolle Arbeit. Sie oder auch James Taylor betrieben viel Aufwand bei ihren Platten.

Ja, diese ganze Phase damals, da ging es um Ästhetik.

Genau. Und ich war halt anders drauf, ich nahm „Will To Love“ mit einem Cassettenrecorder vor meinem Kamin auf und spielte dann an einem Abend noch ein paar Overdubs dazu. So arbeite ich. Jedenfalls ist das meine lebhafteste Erinnerung, neben dem Haus selbst – und der Tatsache, dass Pegi und ich dann später wieder zurückkamen, und das Haus war weg.

Das war das Haus, das abbrannte. Hast du die LP deshalb nicht veröffentlicht? Weil sie mit einem Unglück verbunden war?

Nein. Ich habe die Bänder ja noch. Wahrscheinlich wird „Chrome Dreams“ als Teil von „Archives“ erscheinen, es kommt also irgendwann noch heraus, nur das Cover hab ich nicht mehr, ein Jammer. Mich ärgern die Leute, die dann selbst ein Cover zusammenbasteln und fürs Original ausgeben. Die einen Entwurf hernehmen, den ich für „Comes A Time“ abgelehnt hatte, und „Chrome Dreams“ draufschreiben. Dagegen wehre ich mich noch mehr als dagegen, dass sie etwas verkaufen, was ihnen nicht gehört. Die verwenden meinen Titel und verkaufen es, nachdem ich entschieden hatte, es nicht zu veröffentlichen. Das ärgert mich. Aber nicht allzu sehr. Was mich richtig ärgert ist, dass sie ein Cover machen, das mir nicht gefällt, und dann steht mein Name drauf.

Mit wem hast du bei „Chrome Dreams I“ zusammengearbeitet?

Puh, viele Leute. Crazy Horse spielen bei einem Teil der Songs. In den Indigo Ranch Studios nahm ich an einem Abend eine Hand voll Songs allein auf. Manche davon sind auf dem Album.

„Campaigner“ Oder „Powderfinger“, das war damals gerade fertiggeworden, aber ich hatte es schon sechs Jahre vorher begonnen, oder sogar noch früher, in den späten öoerjahren vielleicht. Die ersten paar Zeilen standen, und dann bekam ich es lange nicht fertig. Und „Sedan Delivery“ war natürlich auch toll. Es gab noch ein paar andere, ich versuche mich gerade zu erinnern. Jedenfalls „Pocahontas“, solche Sachen.

„Like A Hurncane“ auch?

„Hurricane“ auch, genau. Und „Will To Love“. Viel Material aus der Phase. Ich war damals in Malibu, arbeitete auf diesem Boot, das ich gefunden hatte, und reiste einfach.

Waren die Songs wie verwaiste Kinder, die nicht richtig zusammenpassen, sind sie deshalb nicht erschienen?

Nein, ihre Zeit war einfach um. Das ist beim neuen Album ähnlich, die Zeit der älteren Songs auf „Chome Dreams II“ war auch vorbei. Aber sie waren gut. Songs aus der Vergangenheit, die ich zurück haben wollte. „Ordinary People“ ist ein gutes Beispiel.

Wie merkst du eigentlich, dass es Zeit ist, ein neues Album zu machen? Geht da ein innerer Wecker los, kannst du nicht schlafen?

Ich wollte einfach spielen. Und als wir anfingen, dachte ich: „Gott, das ist gut. Wenn ich weitermache, kommt vielleicht ein Album dabeiraus.“ Also mache ich weiter, bis mir die Songs ausgehen. Jeden Tag, wenn ich ins Studio komme, habe ich einen neuen Song. Dann ist vielleicht mal einen Tag Flaute, aber am Tag drauf kommt wieder was. Erst wenn dann drei oder vier Tage Pause entstehen, dann weiß ich: Das war’s. Wir sind fertig.

„Chrome Dreams“ wurde zwar nie veröffentlicht, trotzdem hast du noch nie ein Album nach einem anderen benannt. Außer man zählt „Harvest“ und „Harvest Moon“ dazu. Ähnliche Geschichte. Ja, eben. Was verbindet diese zwei Alben, die 30 Jahre auseinander liegen?

Das Vehikel ist einfach das gleiche. Einfach die Tatsache, dass eine Sammlung von Liedern vorliegt. Inhaltlich gibt es zwar ein paar Zeitreise-Geschichten, „Pocahontas“ und einige andere, aber die Songs sind eher formal und allgemein verbunden als durch die Texte.

Auf jeden Fall hat das neue Album keine einheitliche musikalische Linie wie sonst – nur Crazy Horse oder nur die Nashville-Musiker. Du vermischst deine Stile hier.

Es ist ein Album-Album. Im Radio versuchen sie ja schon ewig, alles zu separieren. Die Redakteure isolieren bestimmte Sachen, sie nehmen dir die Entscheidung weg. Stecken die eine Sorte Musik in eine Schublade, und die andere Sorte in eine andere. Jeder Sender hat seine Schublade und alle, die da arbeiten, auch. Irgend jemand, der in einer anderen Stadt sitzt und dafür bezahlt ¿wird, sagt ihnen, was sie spielen dürfen. Das hat die Kreativität der Sache ruiniert. Von daher bedeutet dieses Album für mich eine Rückkehr zu den Basics. Hat nichts mit Chronologie zu tun, sondern nur mit einer allgemeinen Atmosphäre. Ich meine, „Ordinary People“ ist so dominant, dass man es vielleicht auch mal überspringt und sagt: „Das vertrag ich jetzt nicht.“ Das ist in Ordnung. Der Song vertrug sich bisher auf keiner Platte mit den anderen. Bis jetzt. Ich meine, er war ja immer da, ich wusste, dass ich ihn hatte. Jetzt habe ich mir gesagt: Der muss raus, und nicht erst auf den „Archives“, weil einfach zu viel drin steckt, um ihn 20 Jahre lang zurückzuhalten.

Erkennst du durch die Arbeit an den „Archives“ besser, welche Songs aus der Vergangenheit vernachlässigt wurden?

Ach, man lernt einfach dazu. Ich erkenne die Spur, die ich hinterlassen habe, den Schutt, der angefallen ist. Es ist ein Prozess. Ich lerne eine Weile, dann wird es mir langweilig, und ich mache was Neues, was mich dann total in Beschlag nimmt. Da brauche ich dann lange, um wieder loszulassen. Fällt mir sehr schwer. Und wenn ich loslasse, bin ich deswegen nicht glücklich und zufrieden, es hört nicht auf.

Dauernd denke ich: Ich hätte dieses tun und jenes lassen sollen. Aber es muss auch mal Schluss sein. Letztlich ist es egal, ob „Boxcar“ zuerst kommt oder „Bluebird“. Also – irgendwie ist es nicht egal, aber am Ende eben doch. Das sehe ich mal so und mal so.

Warst du als Kind auch schon so?

Ich glaube schon. Ich mache alles obsessiv. Wenn ich mit etwas beschäftigt bin, kann ich alles andere komplett ausblenden. Da bin ich ziemlich rigoros.

Ist doch nichts Schlechtes.

Für die Kreativität ist es gut. Im richtigen Leben nicht so toll.

Als der Kolner Dom Jahrhunderte lang unvollendet blieb, entstand der Ausspruch, wenn er dereinst fertig würde, werde die Welt untergehen. Hast du Angst, dass deine Zeit um ist, wenn du die „Archives“ veröffentlichst?

An der Sagrada Familia in Barcelona wird auch immer noch gebaut. Ein tolles Ding, unglaublich. Man kann sich die Pläne angucken. Gaudi hat auf eine Art den Computer erfunden. Er konnte ausschneiden und einfügen, Dinge spiegeln, eine Form reduzieren und sie dann duplizieren und umkehren… Und weil er das alles in seine Pläne eingefügt hat,

wurden sie so detailreich, dass man sie kaum je fertigbauen kann.

Und hast du auch das Gefühl, dass das Ende der Welt bevorsteht, wenn du aufhörst zu bauen? Oder denkst zumindest manchmal: Hm, vielleicht sollte ich den Song erst später irgendwann veröffentlichen?

Manchmal, ja, und dann veröffentliche ich ihn nicht. Bei „Tonight’s The Night“ habe ich zwei Jahre gewartet. Darum muss man sich auch kümmern. Zuerst kommen die Kreation, der Entwurf und die Umsetzung. Und dann kümmert man sich darum, wie es in die Welt kommen soll.

Wolltest du immer schon so eine komplette Retrospektive machen? Immerhin hast du schon recht früh in deiner Karriere „Decade“ veröffentlicht. So was hatte es noch nie gegeben.

Ich dachte, vielleicht kommt irgendwann mal „Decade II“ und „Decade III“ oder so. Ich bin halt ein Sammler, ich habe so viele Sachen. Und das Thema Zeitreisen fasziniert mich. Von daher sind die „Archives“ einfach wie ein riesiger Karteischrank. So wird das auf den DVDs auch aussehen. Du drückst einen Knopf, und die Ordner kommen raus. Lauter handgeschriebene Akten, die rausfliegen, und die Schublade hört und hört nicht auf. Es sind immerhin 45jahre Musik, das ist schon sehr interessant.

Und ziemlich emotional, stelle ich mir vor.

Um die Wahrheit zu sagen, ich weiß überhaupt nicht, wie das alles hinhauen soll. Ich sortiere, ich schaffe die Basis, und während ich dabei bin, schreibe ich natürlich neue Songs. Die Chronologie ergibt sich von selbst. Das Vehikel ist da, nun muss man entscheiden, was passt und was nicht. Für Volume I hab ich das gemacht, für Volume 2 weitgehend auch. Der dritte und vierte Teil werden einfacher, weil es da weniger Material gibt, weniger Songs, die nicht erschienen sind. Als ich jünger war, schrieb ich so viel mehr als heute.

Jedenfalls hat das ganze Ding ein Eigenleben, aber wenn es erst rauskommt, werden die Leute etwas Tolles bekommen. DVD ist toll, und Blue Ray erst recht. Da passt alles auf eine einzige Disc. Du legst die Disc ein und kannst 20 oder 30 Jahre vor- und zurückreisen, kannst die Dinge in diesem Aktenschrank zueinander in Verbindung setzen undalles sehen, was ich gemacht oder versucht habe, auch Sachen, die auf der Strecke blieben. Und dazu keine Texte von mir, sondern die Kommentare anderer Leute. Alle, die etwas zu sagen hatten, sind da drin, und alles chronologisch. Man sieht das ganze Bild. Das zusammenzustellen hat mir großen Spaß gemacht, und es wird gut tun, die ersten Discs rauszubringen. Und ich hoffe natürlich, dass ich lange genug da bin, um die Sache bis zum Ende zu begleiten.

Denkt man bei so einem Projekt an seine Sterblichkeit?

Auf jeden Fall sieht man, wie man sich verändert, hat. Man sieht die Höhen und Tiefen, fühlt sie in der Musik. Und all das führt natürlich zu einem unvermeidlichen Ende. Aber ich mache mir da nicht allzu viele Gedanken, ich weiß nicht, ¿was das bedeutet. Ich bin noch nicht so weit. Ich bin auf einer Reise, und ich lebe gern. Mir gefällt, was ich tue. Um mich herum verändert sich die Welt, aber ich tue, was ich immer schon getan hab. Und es hat seinen Platz. Nicht mehr im Mainstream, aber das ist nicht so wichtig. Hauptsache, ich kann weiterhin tun, was ich tun will, und behalte meine Freiheit. Radioeinsätze bedeuten nichts mehr, die Möglichkeiten sind grenzenlos. Jahrzehnte lang musste man sich sagen: Wenn du ins Radio willst, dann brauchst du zumindest eine Version, die kurz genug ist. Nein, brauchst du nicht mehr, weil das Internet keine Grenzen hat, und genau dort holen sich die Leute heute ihre Musik. Um das mal deutlich zu machen, haben wir die über 18 Minuten lange Version von „Ordinary People“ als Single an die Radios geschickt. Vielleicht kann man sie auf den Websites der Sender hören.

Toll war auch, die DVD zu diesem Album zu machen, das ist noch mal ein ganz anderes Projekt. Erst mal ist der Sound 200-mal besser. Total anders, sauber, gewaltig. Und dann die Bilder. Die von Anthony Crawford und die von Larry Gragg, der den Schrottplatz fotografiert hat, von dem ich sprach. Details von Chrom und Rost, Close-ups von Metall und Autoteilen. Wir haben einen Algorhythmus dazu entwickelt, mit dem man sie wie einen Bildschirmschoner auf den Computer bringen kann, nur dass sie sich nicht ständig wiederholen, sondern sich mit der Musik verändern. Es ist wie eine Lightshow aus den Sixties.

Wie eine Lightshow aus den Sixties?

Ja, und wir wollen „Chrome Dreams“ auch in Galerien bringen, mit großen PA-Systemen und vielen, vielen Flachbildschirmen überall, und dazwischen Kunst: Abzüge der Fotos. Alles basierend auf diesem Autofriedhof. Es ist sehr anrührend, diese ganzen Bilder, die ineinanderfließen und sich bewegen, vieles gleichzeitig. Man begreift, dass die Erinnerungen und die Geister dieser Songs in den Autos stecken, und man ist mittendrin.

Warum hast du die Autos eigentlich nicht irgendwann entsorgt? Sagte deine Frau Pegi nicht irgendwann, es stünden inzwischen ein paar zu viele im Garten?

Ich hab sie nicht entsorgt, aber sie kamen alle auf ein großes Areal. Da stapeln sie sich. Also, nicht übereinander, aber sie sind überall. Man sieht sie auf der DVD. Zuerst nur Felgen und Reifen und so, und irgendwann gibt’s mal einen verborgenen Ausgang aus dem Schrottplatz. Larry Johnson und die anderen Jungs, die mit mir am visuellen Aspekt der Dinge arbeiten, haben

einen fantastischen Job gemacht. Es ist dasselbe Team, das auch für die „Archives“ arbeitet. Die sind extrem visuell. Lauter kleine Maschinen und Knöpfe, auf die man drückt.

Man kann sich’s schwer vorstellen.

Es ist wie eine Zeitmaschine. Der unendliche Aktenschrank. Auf einer DVD gibt’s einen Teil davon, und dann legt man die nächste ein und so weiter. Es sind ja acht oder neun DVDs. Wenn du dir nun, sagen wir, „I’ve Been Waiting For You“ von meinem ersten Album anhören willst, dann ist da ein Mix drauf, der nie verwendet wurde, aber er ist besser als der Mix auf der Platte. Dazu gibt’s dann eine Collage im Background, mit dem Text in Riesenlettern. Du drückst den Knopf und kriegst zur Musik das Bild.

Hattest du das von Anfang an so geplant?

Wir haben es während der Arbeit an dem Projekt immer weiter entwickelt. Diese Idee, eine chronologische Reise zu bieten und ständig alle möglichen Dinge, zu denen man gehen kann. Sachen zum Lesen und zum Anschauen, Originalmanuskripte, Fotos aus der Zeit, und es hört nicht auf.

Was war das Wesentlichste, was du dabei über dich herausgefunden hast?

Ich glaube, mir wurde klar, dass ich nicht sorgfältig bin. Ich mache einfach immer weiter und hinterlasse viel Unfertiges und Unveröffentlichtes, weil es gerade nicht passt. Ich vergesse, wieviel Arbeit da schon hineingeflossen ist. Und dann vergesse ich es ganz. Aber die Sachen sind noch da. Und ich sag mir: Tja, hm, vielleicht hätte ich das doch rausbringen sollen. Ich selbst weiß zwar, welche Songs ich nicht fertiggemacht habe, aber jetzt steht jeder für sich. Jedenfalls hab ich also festgestellt, dass ich nicht sorgfältig genug bin, weil mich immer das Neue interessiert. Wenn etwas zu lange nicht fertig wird und schon wieder irgendetwas Neues kommt, dann lasse ich das Alte liegen. Weil ich das Neue nicht verlieren will.

ist der Chrom-Traum ein Albtraum?

„Spint Road“ ist ein bisschen ein Albtraum. „Dirty Ol* Man“ auch: Wer hat den Kerl zu der Party eingeladen?

Ja, wirklich, wo kommt das her?

Ich spielte es Jonathan Demme vor, und der sagte: „Das musst du runternehmen, das geht nicht. Ich meine, du sagst da, du seist ein dirty old man. Wie kannst du von shining light singen und dann im selben Atemzug so was sagen?“

Tja, keine Ahnung. Ich kann nichts dagegen tun.

Immerhin darf er bleiben.

Er ist jeder Zeit willkommen. Ich kann nichts dagegen tun, es kam aus mir, es war notwendig. Es kam mit all den anderen Songs und hat seinen Platz. Die Welt ist nicht perfekt. Viele Leute tun Dinge, die sie hinterher sehr bereuen, es gibt Drogenmissbrauch, und es gibt Leute, die nicht loslassen können, die gern auf einer spirituellen Reise wären, aber sie können auf das Greifbare, das sie im Alltag zusammenhält, nicht verzichten. Der Song ist eine Hommage an diese Menschen.

Er gefällt mir, aber ich war trotzdem schockiert. Es gibt eine Zeile, wo es um den Wind geht… „I remember my mama saying I want to be on a windy road.“ Hat deine Mutter das gesagt?

Ja.

Was meinte sie damit?

Sie stand da mit ihrem Trenchcoat, und der Wind blies mit 40 Meilen die Stunde, und die Blätter treiben auf diesem Berg. Die Höhenstraße mit Eukalyptusbäumen auf beiden Seiten, kilometerlang. Riesige Bäume. Und der Wind bläst vom Meer. Sie sagt: „Halt das Auto an, ich will aussteigen.“ Wir halten, sie steigt aus. Eine Minute lang stand sie da. Dann stieg sie wieder ein und sagte: „Hier will ich sein.“ Als sie starb, habe ich ihre Asche dort verstreut. Ging raus in den Wind, warf sie in die Luft und fuhr weg.

Da ist noch ein anderes Thema, über das ich mit dir reden wollte. Ich fragte kürzlich mehrere Künstler nach ihren Ritualen vor einem Auftritt. Gleich drei sagten mir, sie täten das Gleiche wie du – und nannten dann ganz unterschiedliche Dinge. James Mercer von den Shins sagte, er renne auf der Stelle. Robert Plant sagte, er singe Tonleitern, wie du. Und Beth Orton sagte, sie meditiere, wie du. Das mit den Tonleitern hab ich Robert gezeigt. Er besuchte mich mal, und ich sagte: „Komm, mach mit.“

Und, hat er? Ja. Dvlan auch. Der kam zu einer Show. „Los, Bob.“ Also machte auch Bob mit, aber auf seine eigene Art, er sang zweite Stimmen und so. Jeder macht es auf seine Art. Aber ich stehe auf Rituale. Im Studio nicht so. Obwohl – manchmal beginne ich mit einer Art Mischung aus Meditation und Aufwärmen. Ich singe Vokale am Klavier, Tonleitern. Danach bin ich konzentriert. Das ist einfach so etwas ganz Gedankenloses, bei Crazy Horse machen wir das in den Duschen oder so, singen zusammen die Tonleitern, auch wenn die Hälfte der Band gar nicht singen kann, das hört man nicht. Eine Zeit lang wärmte ich mich auf einem Stepper auf oder mit Freiübungen, denn wenn man mit kalten

Händen auf die Bühne geht, dann dauert es manchmal zwei Songs bis man einigermaßen warme Hände hat.

Hatte das Aneurysma auch irgendwelche positiven Konsequenzen?

Ein Gefühl dafür, was wichtig ist. Die ganze Sache entzog sich meiner Kontrolle. Ich konnte nichts tun, also nahm ich mir bestimmte Sachen vor, die ich auf jeden Fall mal machen wollte, und wenn’s das erste und letzte Mal sein sollte. Ich hatte etwas zu tun. Das ist ein Glück.

Denkst du nicht, dass dein ganzes Leben einem Zweck dient? Mir fiel an deiner Musik immer auf, dass du ein fast hellsichtiger Texter bist. Ich weiß ja nicht, was zuerst da war, aber bei einem Song wie „Mr. Soul“ denke ich mir: „Mein Gott, er hat diesen Song geschrieben, und dann wird daraus das Leben, das er führt. Auch „Old Man“ kommt mir so vor.

Tja, danach bin ich tatsächlich ein alter Mann geworden.

Im Ernst, ist dir manchmal aufgefallen, dass du mit diesen Songs deine eigene Realität erschaffst?

Ach, ich schreibe einfach, was ich denke. Ich schreibe nur, was zu mir kommt. Ich gebe mir keine große Mühe, es noch zu editieren. Und ich schreibe nicht, um kommerzielle Songs zu kriegen. Ich schreibe sie nicht, damit sie erfolgreich werden. Ich schreibe, weil ich getrieben bin.

Noch mal: Baut sich dann ein Druck auf, und du weißt, es ist Zeit, ein Album zu schreiben?

Manchmal sitze ich zwei Jahre nur rum. Normalerweise nicht so lang, aber nach „Greendale“ waren’s zwei Jahre. Das war eine so große Nummer, dass es mich einfach ausgezehrt hatte. Und dann wusste ich nicht, ob ich noch mal so eine Geschichte schreiben sollte, oder ob mein nächstes Album ein Roman würde, ob mehr Figuren drin vorkommen würden oder ob es eine Fortsetzung derselben Geschichte wird – ich hatte keine Ahnung, also wartete ich. Und dann endlich, nach 18 Monaten, nahm ich die Gitarre wieder in die Hand.

Du nimmst die Gitarre nicht in die Hand, wenn du nicht arbeitest…

Nein. Wenn mir nicht danach ist, dann nicht. Aber wenn mir danach ist, dann tue ich nichts anderes mehr. Ich gehe einfach mit, und meine Familie und alle sind darauf vorbereitet.

Warst du immer schon so, oder bist du da hineingewachsen?

Naja, ich schrieb viel mehr, als ich jünger war, da war ich einfach getrieben, es war mein Leben. Jetzt kenne ich das. Es ist keine Überraschung mehr.

Wie wurdest du deinen Glauben charakterisieren?

Ich praktiziere nichts. Es gibt kein Buch, in dem ich lesen muss. Es ist viel einfacher, als einem Haufen Regeln zu folgen und jede Woche mit allen anderen in ein Gebäude zu gehen. Ich meine, ich respektiere es, wenn jemand einer organisierten Religion anhängt, aber das ist nicht mein Weg. Von daher fühle ich mich von der momentanen Regierung unterrepräsentiert. Ich tue trotzdem, was für mich richtig ist. Und der Große Geist war gut zu mir. Mein Glaube war immer schon da, er ist nur nicht organisiert. Keine Doktrin, kein Buch, keine Geschichte. Meine Kirche ist der Wald. Wenn ich nachdenken muss, gehe ich unter den Bäumen spazieren.

Dein Leben scheint von Dualitäten geprägt, das weißt du sicher, aber welche Rolle spielt das?

Ja, ich bin ein wandelnder Widerspruch. Ich mache einfach, wonach mir ist, ich schließe keine Tür. Es ist gut, offen zu sein. Ich schließe nicht viel aus, ich habe wenig Glaubenssätze, die mich bremsen. Ein paar bestimmt, aber ich versuche, offen zu bleiben und der Muse überallhin zu folgen. Und wenn sie gerade nicht da ist, versuche ich nichts zu erzwingen. Es ist unsinnig, eine Flamme anfachen zu wollen, wenn gar keine Flamme da ist.

Aber du bist berühmt dafür, dass du tust, was du willst.

Das wirkt manchmal rücksichtslos, wenn jemand das nicht versteht. Ich habe schon oft etwas tun müssen, wofür ich als Mensch ein schlechtes Gewissen hatte.

Was hältst du für deine größte Stärke?

Ich denke, meine größte Stärke ist meine Fähigkeit, mich auf dem Wasser treiben und mitziehen zu lassen. Völlig ohne Kontrolle über meine Bestimmung. Das ist die einzige Stärke.

Du galtst immer als einer der undurchschaubaren Rockstars, ist das Absicht?

Ich glaube, die Leute wollen mich einfach nicht zugänglich. Sie wollen nicht glauben, dass sie vielleicht doch alles wissen, was man über mich wissen muss.

Aber du erlebst doch sicher, dass Leute aufgeregt oder verunsichert sind, wenn sie dir begegnen.

Manchmal ist jemand richtig nervös, ja. Aber ich führe das nicht auf etwas zurück, was ich getan habe. Das ist einfach Teil des Ruhms, das geht allen so, das haben die Medien bewirkt.

Wann schreibst du am besten?

Da gibt es keine feste Zeit. Aber wenn ich morgens zur Gitarre greife, kommt es immer darauf an, was ich als erstes spiele, das ist das Geheimnis.

Glaubst du, dass du deine besten Sachen noch vor dir hast?

Das ist auf jeden Fall so. Das Beste liegt immer vor einem. Die Frage ist nur, wie man drankommt.

Ich fand ja immer toll, dass du das so konsequent durchziehst.

Hey, das ist Teil des Deals. Wenn die Leute das an mir nicht mögen, müssen sie ja nicht kommen. Ich garantiere für nichts. Es gibt keine Garantie, dass ich gut sein werde. Keine Garantie, dass ich spielen werde, was sie hören wollen. Keine Garantie, dass ich nicht spiele, was sie hören wollen. Es gibt einfach keine Garantien.

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