Rundfunkbeiträge? Ja, bitte!

Nichts ist leichter, als gegen den Rundfunkbeitrag zu sein. Diese Haltung ist dumm und elitär. Was uns im Fernsehen gezeigt wird, spiegelt unsere Gesellschaft wider und ist wichtig für die Demokratie. Von Laura Ewert

Rene Schwallich mag Beyoncé, die Jusos, Transformer und H&M. Auch die „Tagesschau“ und NDR 2 hat er bei Facebook gelikt. Er sieht recht jung aus, kommt aus Hannover, hat angegeben, dass er an der medizinischen Hochschule arbeitet und wollte eigentlich eine Demo veranstalten, aber dann haben sich zu viele Leute angemeldet, und es hätte eine Menge organisatorischen Aufwand bedeutet, also hat er sie abgesagt.

(Facebook/ Bildschirmfoto)
„1 Mio. nimmt teil“: (Facebook/ Bildschirmfoto)

„2.000.000 Stimmen erheben sich gegen Die Rundfunkgebühren“ (genau so geschrieben!) heißt seine Veranstaltung, bei der über eine Million Menschen auf „teilnehmen“ geklickt haben und auf deren Seite sie nun über das Für und Wider, meistens aber das Wider des Rundfunkbeitrags diskutieren. „Zwangsgebühr“ nennen sie ihn. „Nur gemeinsam schaffen wir es, diesem ‚Unrechtssystem‘ ein Ende zu setzten!“, schreibt Schwallich auf der Seite. Unterstützt wird er von Künstlern, Journalisten, Arbeitslosen, Friseuren, Filmschaffenden, Linken und Rechten.

Abkehr von Politik und Gemeinschaft

Über vier Millionen Menschen, so wurde vor zwei Wochen gemeldet, weigerten sich 2014, die damals noch 17,98 Euro an den Beitragsservice zu zahlen. Damit kann der Apparat immer noch sehr hohe Mehreinnahmen einfahren, doch der Protest gegen den Rundfunkbeitrag, der in letzter Konsequenz auf eine Abschaffung der Öffentlich-Rechtlichen hinausläuft, wird eher für die Gesellschaft als für den Beitragsservice zum Problem. Denn es ist ein Stellvertreterprotest, in dem sich eine Abkehr von Politik und Gemeinschaft ausdrückt.

„Der öffentlich-rechtliche Apparat wird Schuldiger für das, was sonst so schiefläuft im Land“

„Dass man zahlen muss, finde ich ungerecht“, sagen die Gegner. Denn der Zwang erinnert an die Ohnmacht des Einzelnen, an seine Unfreiheit. Wir müssen Steuern zahlen, wir müssen uns an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten, müssen Anträge ausfüllen, die kein Mensch versteht. Wir hier unten, die da oben: Spricht man mit Gegnern über den Beitrag, landet man schnell bei Themen wie den hohen Kosten für Schwimmbadbesuche oder dem, dass es sich kaum mehr lohne, arbeiten zu gehen. Der Protest gegen den Beitrag ist ein verlegter Kriegsschauplatz, ein Scheinkonflikt, in dem der öffentlich-rechtliche Apparat als Schuldiger dient für das, was sonst so schiefläuft im Land und im Leben.

Sogar die NPD ist dabei

„Wir wollen eine faire und gerechte Lösung für alle + Wir wollen in frieden demonstrieren + Wir wollen dass man uns hört“, schreibt Rene Schwallich und könnte sich damit auch auf jedes beliebige andere Thema beziehen. Die Schlagworte des Protests lauten „Boykott!“ oder „Nein, Danke!“ und sind damit allgemein genug, um die eigenen Konflikte mit ihnen zu assoziieren. Es läuft nicht gut. Das betrifft nicht nur den Niedriglohnjobber, sondern auch die alleinerziehende Mutter, die Studium und Familie finanzieren muss. Selten war eine Protestbewegung aus so unterschiedlichen Schichten besetzt.

Längst macht die NPD gegen den Beitrag mobil, weil sie weiß, dass man dort viele Menschen abholen kann. Und es funktioniert, selbst politisch eher links stehende Gebührengegner verweisen plötzlich auf Strategien zum Beitragsboykott, die von einem Autor des Kopp-Verlags, Tummelplatz für Verschwörungstheoretiker, verfasst wurden. Der rege Zuspruch von wahnhaften Zweiflern unter den Beitragsgegnern überrascht nicht, er kommt immer, wenn etwas so kompliziert ist wie der Rundfunkstaatsvertrag oder die Funktion der Fernbedienung.

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„Ich habe keinen Fernseher“

Er kommt von denen, die längst aus der Gesellschaft ausgestiegen sind. Die Journalisten grundsätzlich für Lügner halten, die sich ihre Wahrheit vermeintlich selbstbestimmt zusammenstellen wie an einem All-you-can-eat-Buffet. Sie halten ARD und ZDF für Gegner, für Repräsentanten einer immer feindseliger erscheinenden Welt. Sie besetzen das Thema und teilen sich Argumente mit der Mitte der Gesellschaft. Und die sagt: „Ich habe keinen Fernseher.“

Es gibt kaum einen Satz, der Unterhaltungen so leicht beendet, er ist sogar noch nerviger als: „Ich bin Vegetarier.“ Ein Satz mit anklagendem Subtext. Wer früher gegen den Fernseher war, war für Bücher, Theater oder Improvisationstanz im Grünen: für die echte Kultur. Wer heute stolz behauptet, keinen Fernseher zu haben, ist auch für die echte Kultur, nur ist die heute keine sogenannte Hochkultur mehr, sondern eine ausdifferenzierte, scheinbar individuelle und meistens im Alleinkonsum erlebte Kultur: die besonders gesellschaftskritische Serie aus Amerika, der japanische Kunstfilm, der Videokünstler mit zweihundert Followern.

Vor allem Nostalgie?

Es sind die Distinktionssüchtigen, die sich vom Protest zwar keine Befreiung von staatlicher Propaganda erhoffen, dem Versprechen individueller Freiheit aber schon in der Wrigley’s-Werbung begegnet sind. Die kreative Klasse grenzt sich von der Bürgerlichkeit ab, die mit Privatfernsehen aufgewachsen ist, die weiß, dass sie nicht mehr das schauen muss, was ihr vorgesetzt wird, und für die ARD und ZDF vor allem Nostalgie sind, etwas Überlebtes, von dem man sich befreien kann.

„Bald bezahlen wir noch dafür, dass wir atmen dürfen“

Aber veränderte Sehgewohnheiten haben nicht zwangsläufig mit Distinktion zu tun. Denn auch die Fans von „Die Geissens“ und „How I Met Your Mother“ auf ProSieben haben sich daran gewöhnt, das schauen zu können, was ihnen selbst am nächsten ist, und schalten die Öffentlich-Rechtlichen kaum noch ein. Es sei denn, die „Sportschau“ läuft.

Der Rundfunk als Volksvertreter

„Bald bezahlen wir noch dafür, dass wir atmen dürfen“, ruft der eher einfach gestrickte Gegner. „Das ist Abzocke bei den Ärmsten der Armen“, sagt die Akademikerin. Weil öffentlich-rechtliche Medien früher alle vor dem Fernseher vereinten, weil der Rundfunk so etwas typisch Deutsches ist, ein gemeinsamer kleiner Nenner, irgendwie ja auch ein Volksvertreter, dient er als greifbare Verkörperung der Politik. Mit seiner Ablehnung wird ein allgemeines Unbehagen an Staat, System und Medien ausgedrückt. Ein Misstrauen, eine vage Unzufriedenheit mit den Verhältnissen.

Die Ablehnung des Beitrags ist ein allmähliches Hinausschleichen aus der Demokratie, der öffentlich-rechtlichen unter den Herrschaftsformen. Das Hinterfragen von Systemen ist auch für sie von großer Bedeutung, doch so analytisch ist der Protest meist nicht. Hinter dem Widerspruch gähnt eine Leere. Umso besorgniserregender, dass der Protest von den Pegidas, den Ken-Jebsen-Fans instrumentalisiert wird. Und er bleibt nur in Teilen nachvollziehbar.

Jeder nutzt irgendwann ARD oder ZDF

Natürlich beschweren sich die Menschen darüber, dass sie für etwas zahlen müssen, das sie nicht nutzen. Die Einführung des Beitrags mit der Keule war schlecht verkauft. Aber in Wahrheit schaut auch der „Mad Men“-Fan „Tatort“ oder hört Radio im Auto. Der Prozentsatz derer, die wirklich nie ein Angebot der öffentlich-rechtlichen Sender nutzen, dürfte gering sein.

Und anders als auch das Feuilleton gern verkündet, ersetzen Netflix und YouTube so schnell nicht RBB und NDR. Auch wenn es großartige Podcasts gibt, Serien jetzt auf Facebook laufen (HBO hat eine Kooperation) und die Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr das Monopol auf die Wahrheit besitzen, sind es immer noch ARD und ZDF, die konstant Nachrichten machen, die detaillierte Berichte vom Syrienkrieg sogar spät in der Nacht senden.

Dass all das nicht unbedingt bei den Kunden ankommt, kann man nicht immer den Inhalten (oder der Ausstrahlungszeit) zuschreiben. Bisher dient vor allem das Öffentlich-Rechtliche als Spiegel der Gesellschaft, als Ort, an dem eine etwaige kollektive Identität überprüft werden kann. Wer Nachmittage mit der ARD verbringt, treibt in der Bürgerseele.

Demokratie heißt schlechten Geschmack zu ertragen

Ein Programm, das in den Gremien von Organisationen beaufsichtigt wird, vom Behindertenverband bis zur evangelischen Kirche. Beim MDR oder im Deutschlandfunk kommt man mit Lebenswelten in Berührung, mit denen man sonst eher wenig Kontakt hat. Es ist ein bisschen, als würde man mit seinen Eltern spazieren gehen.

Wer nicht ab und an guckt, was andere gucken, der vergisst, dass nicht alle wissen, wie die erste Staffel von „True Detective“ ausgegangen ist. Deswegen muss man sich auch mal ein LeFloid-Video anschauen. Wer nicht manchmal Bahn fährt, hat keine Ahnung, wer die Menschen außerhalb der eigenen Peergroup sind.

Abstellen? Bloß nicht!

Wir würden viel weniger voneinander wissen, wenn es nicht das Angebot der Öffentlich-Rechtlichen gäbe, die versuchen, es jedem recht zu machen. Demokratie heißt wahrscheinlich auch, den schlechten Geschmack anderer zu ertragen. Und sich dann über die Perlen zu freuen: Wenn nachmittags beim Deutschlandfunk Hörer anrufen, um über Sexualfrüherziehung im Kindergarten zu diskutieren, ist das eine Talkshow für Bildungsbürger. Oder die Redaktion um Jan Böhmermann – so schnell, so schlau, so da, so nah am Internet war deutsches Fernsehen noch nie.

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Klar sind die Rundfunkräte unzeitgemäß besetzt, unkreativ, überaltert. Das dürfte den meisten Vorständen großer Unternehmen so gehen. Klar, es gibt „Tatort“-Dialoge, bei denen man sich so sehr schämt, dass man gar nicht mehr weiß, für wen. Es gibt Markus Lanz, dessen Sendungen als Fachvorträge zu Inkompetenz und Chauvinismus betrachtet werden können.

Aber es gibt auch Ina Müller, die gleicht Lanz‘ unerträgliche Männlichkeit aus. Man muss sich auch darüber streiten, ob die Ausgaben für den Apparat, für Sportlizenzen und Thomas Gottschalk gerechtfertigt sind. Ja, es gibt die vorhersehbare „Heute-Show“, aber es gibt auch Olli Schulz. Es gibt „Monitor“ und „extra3“, und es gibt den „XXL-Ostfriesen“, die beste Anthropologie-Sendung ever.

„Öffentlich-rechtliches Programm ist so gut oder schlecht wie das Land, das es macht“

Öffentlich-rechtliches Programm ist eben so gut oder schlecht wie das Land, das es macht. So veraltet, so starr, so ausnahmsweise geil. Doch wenn im Altersheim keine Leute mehr sitzen, die Florian Silbereisen sehen wollen, wird sich das Meckern über den „Musikantenstadl“ auch erledigt haben. Öffentlich-rechtliches Programm ist verlässlich, es wird von Menschen gemacht. Abstellen? Bloß nicht! Lieber Rene Schwallich, schalt doch einfach mal wieder ein.

Dieser Text von unseren Kollegen der WELT erscheint mit deren freundlicher Genehmigung auf rollingstone.de.

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