Rumer: Die Geburt eines Stars.
Zehn Jahre lang sang Rumer in kleinen Clubs, schrieb manchmal einen Song und kellnerte – im Februar triumphierte die Sängerin mit ihrem Debüt "Seasons Of My Soul".
Als man die ersten Lieder der Sängerin Rumer hörte, dachte man: Da singt eine Frau, die schon eine ganze Karriere hinter sich hat. So ruhig und abgeklärt klingt die Londonerin, dass man Erfahrung und eine satte Diskografie vermutete. Zudem schien die Musik auf „Seasons Of My Soul“ bestimmt nicht aus der Gegenwart zu kommen. Rumer singt wie Karen Carpenter betont langsamen Soul-Pop mit jazzigen Akkordfolgen wie von Burt Bacharach, und die Lieder klingen, als wären sie im Hollywood der Sechziger oder am Broadway entstanden. Doch man täuscht sich: „Seasons Of My Soul“ ist das Debüt von Rumer.
Eine Geschichte gibt es natürlich trotzdem. Zehn Jahre lang sammelte die Sängerin in London Erfahrungen, spielte in den üblichen Club-Zirkeln und hoffte nach Kräften auf Ruhm und Karriere. Sie beschritt einen Sonderweg – ohne Produzenten, ohne Popmusikschule –, weil es hier nicht nur um Stimme und Performance, sondern auch um eigene Lieder und eine genaue Vorstellung von Klang und Stil geht. Eine Zeitlang sang Rumer für das Nürnberger Electro-Duo Boozoo Bajou und trat in Deutschland auf, wo der Erinnerung der Künstlerin nach kleine Kinder mit ihren Haaren spielten und überhaupt alle sehr freundlich waren. Zu Hause lehnte sie Angebote von kleinen Indie-Labels ab und wartete auf ihren Moment, während sie sich als Kellnerin verdingte und gerade so über die Runden kam. „Von Zeit zu Zeit schrieb ich ein Lied, das etwas Besonderes zu sein schien“, erzählt Rumer. „Ich legte diese Lieder beiseite – sie durften nicht billig produziert werden, sondern verdienten einen großen Rahmen.“
Der öffnete sich vor etwa einem Jahr, als sich doch ein Produzent meldete und aus Rumer dankenswerter- weise keinen weiteren Retro-Soul-Act machen wollte, sondern umsetzte, was die Künstlerin wollte. Eine Live Band, Späte-Nacht-Musik und möglichst viele Bacharach-Akkorde.
Rumer zeigte ihrem Produzenten und ihren Musikern eine Szene aus „A Star Is Born“ mit Judy Garland, in der ein Musikerensemble nachts nach einem Konzert einfach weiterspielt, müde, betrunken und glücklich. „So sollten wir klingen: Wir haben die ganze Nacht für Geld gespielt, jetzt spielen wir die ganze Nacht zum Spaß.“
Dass Rumer anders ist als viele ihrer Kolleginnen, lässt sich auch biografisch erklären. Die Tochter eines Ingenieurs verbrachte die ersten Jahre ihres Lebens in Pakistan, wo der Vater den Bau eines Staudamms überwachte. Die Arbeiter aus aller Welt lebten samt ihrer Familien in einer Art Enklave, einer Mikrowelt, gut abgeschottet. Zurück in England, sei ein Gefühl des Fremdseins geblieben, sagt Rumer, das sich erst jetzt gelöst habe. Jetzt, da sich der lang gehegte Wunsch, mit der eigenen Musik erfolgreich zu sein, zu erfüllen scheint. „Meine Freunde haben immer gesagt, du bist doch eine intelligente Frau, du solltest Karriere machen, anstatt in Cafés zu bedienen. Jetzt endlich kann ich sagen, ich war nicht verrückt, ich hatte einen Plan, und es ist etwas dabei herausgekommen.“
„Seasons Of My Soul“ bringt Rumer Lob aus allen berufenen Mündern, seit Erscheinen des Albums hängt ihr Bild in den Londoner U-Bahnschächten und Bushaltestellen. England applaudiert und ist ganz überrascht von der beruhigenden, romantischen und sinnlichen Musik der 31-Jährigen.
Rumer war ihrerseits überrascht, als vor einigen Monaten ausgerechnet Burt Bacharach anrief und sie um ihren Gesang bat. Ein seltsamer Zufall, könnte man meinen, doch freilich ist der Name des alten Meisters in so dicken Lettern auf Rumers Album geschrieben, dass ihn die Kunde von der jungen Debütantin erreichen musste. „Sehr eingeschüchtert“ sei sie beim Termin in Los Angeles gewesen, das kann man sich vorstellen. Rumer bekam Musik und Texte eines Liedes mit nach Hause, das schließlich auf einer Weihnachtssingle mit dem Namen „Some Lovers“ erschien. Auf der Rückseite singt Rumer „Alfie“, das ist durchaus eine Ehre. „Natürlich ist es das“, ruft sie, „Dusty, Dion, Karen Carpenter, alle meine Heldinnen haben seine Lieder gesungen! Ihn persönlich treffen und für ihn singen zu dürfen, ist für mich eine große Sache.“
Die Platte, der Erfolg, der große Bacharach am Telefon – Rumer hat das alles noch nicht ganz verkraftet. Auf der Bühne gebe sie jeden Abend den Hamlet, grinst sie und meint damit, dass sie in ihren Liedern über Kindheitserinnerungen, Verlust und intensive Liebe immer alles gebe, bis zur Erschöpfung. Aber das hat sie doch bestimmt auch früher getan, im beinahe leeren Londoner Club! „Schon, aber da hat mir ja niemand zugehört“, erklärt die Künstlerin. „Jetzt hängen alle an meinen Lippen. Das ist doch manchmal etwas beängstigend.“
Hier der Clip zu „Am I Forgiven“: