„Ruhet in Frieden“: Interview mit Liam Neeson – ‚Rufe ich die Polizei? Oder kläre ich das selbst?‘
In der Verfilmung von Lawrence Blocks Roman "A Walk Among The Tombstones" spielt Liam Neeson einen Ex-Cop, der mit Kriminellen zusammen arbeitet, um Kriminelle zu schnappen. Ein Thriller mit Grautönen, in dem Neeson endlich wieder seine Klasse zeigen kann.
Grisselig, regnerisch, grau: So sieht es aus in „Ruhet in Frieden“, die Straßen, auch die Mienen der Menschen. Ein Thriller, wie aus den Siebzigern entsprungen, der hier im bitterkalten New York um die Jahrtausendwende angesiedelt ist. Liam Neeson spielt in der Verfilmung von Lawrence Blocks Roman den Ex-Polizisten und trockenen Alkoholiker Matthew Scudder, der in ein moralisches Dilemma gerät: Soll er mit Kriminellen zusammen arbeiten, um andere Kriminelle zu schnappen? Ein Drogendealer (Dan Stevens) bittet Scudder um Hilfe, die Mörder seiner Frau zu erledigen.
Rachedramen sind nichts Neues für Liam Neeson, der im Herbst seiner Karriere vor allem als Actionstar auftritt, und dabei in Haudrauf-Filmen wie der „Taken“-Reihe seinen Ruf als Charakterdarsteller zu zerbröseln drohte. „Ruhet in Frieden“ ist jedoch nur vordergründig ein Rachedrama: Es geht um das komplexe Zusammenspiel von Recht und Gerechtigkeit, um die Illegalität und Selbstjustiz, und wie weit man Grauzonen für die gute Sache betreten darf. Matthew Scudder wird mehrmals die Grenzen überschreiten, zu Beginn des Film schießt er einem Flüchtenden gar in den Rücken. Allerdings bekommen wir es im Laufe des Films auch mit einem Serienmörder-Paar zu tun, das so furchteinflößend auftritt, wie man es lange nicht mehr im Kino gesehen hat.
Wir trafen Liam Neeson, 62, zum Interview im Berlin. Auch er war ein Abhängiger: Das Rauchen hat er sich 2003 abgewöhnt, seitdem kaut er, wie bei unserem Gespräch, oft auf einem Streichholz. „Ruhet in Frieden“ (Original: „A Walk Among The Tombstones“, Regie: Scott Frank) startete am 13. November in den deutschen Kinos.
Mr. Neeson, Sie spielten in den vergangenen Jahren zumeist Cops, Detektive, Air Marshalls. Wäre diese auch Jobs für Sie gewesen, wenn es Sie nicht ins Filmgeschäft verschlagen hätte?
Liam Neeson: Zur Vorbereitung auf meine Rolle des Matthew Scudder hatte ich viele Gespräche geführt. Einer meiner Freunde ist ein pensionierter Polizist des New York Police Departments. Er hat mir Zugang verschafft zu Polizei-Dokumenten der Sechziger. Hartes Zeug, die Suche nach Serienmördern. Manches, was der Freund von seinen Polizei-Erlebnissen erzählt hatte, lässt einen erbrechen. Und die machen diesen harten Job jeden Tag! Aber allein auch der Aufwand der Behörden, einen der Mörder nach fünf oder sechs Jahren zu schnappen … es sind Methoden der kleinen Schritte. Ein Anruf hier, ein anderer dort, ein Hinweis in jenem Lokal. Das nachzulesen hat mir noch größeren Respekt vor den Polizisten verschafft. Die machen richtige Fußarbeit. In heutigen Filmen sieht das immer so einfach aus: Man sitzt am Computer, tippt was ein, schon kommt die Information.
In „Ruhet in Frieden“ verkörpern Sie einen Ex-Cop, der zu zweifelhaften Methoden greift: Er arbeitet mit Kriminellen zusammen, um andere Kriminelle zu schnappen. Hatten Sie Bedenken?
Neeson: Hier handelt es sich, auch aus Sicht der Filmfigur, um ein moralisches Dilemma. Scudder hilft einem Dealer, der indirekt für den Tod von vielleicht tausenden Menschen verantwortlich ist. Aber nun wird er beauftragt, zwei Sickos ausfindig zu machen.
Die Buchvorlage von „Ruhe in Frieden“ hat ein auch in seiner moralischen Bedeutung anderes Ende als der Film, in dem Sie nun, im Sinne eines „Hollywood Endings“ die Killer noch einmal persönlich angehen.
Neeson: Das ist kein Hollywood-Ending. Es passt zum Ton des Films. Das Ende des Romans wäre für den Zuschauer unbefriedigend. Es war notwendig, dass der Held, der gleichzeitig Antiheld ist, zum Schauplatz zurückkehrt. Der Kampf im Keller verläuft grausam, alles andere als heroisch. Der Draht als Waffe, die Schnitte in den Händen … alle Regeln sind aufgehoben.
Beim Kampf mit den Serienkillern beruft sich Scudder auf das Prinzip der 12 Stufen, nach denen Alkoholiker ihre Sucht in den Griff bekommen wollen …
Neeson: Nun, der Alkoholismus ist Teil seines Lebens. Als er noch Cop war, hat er unter dem Einfluss des Alkohols einen tragischen Fehler begangen …
… wie man zu Beginn des Films sieht …
Neeson: … und das möchte ich nicht gegenüber Ihren Lesern spoilern. Die „AA“-Regeln sind Scudders Rettungsring. Sonst könnte er keinen einzigen Tag überstehen. Im Grunde ist er nur noch auf der Suche nach Erlösung. Und je härter der Kriminalfall ist, desto mehr steigert er sich darin hinein, auf eine verrückte Weise. Er bestraft sich selbst.
Der Film vermittelt auch, dass die Herstellung von Gerechtigkeit nicht in jedem Fall vom Staat festgelegt werden kann, sondern vom Einzelnen selbst in die Hand genommen werden muss …
Neeson: Mit ihrer Beobachtung stimme ich überein. Ich weiß nicht, ob Sie solchen Situationen schon mal ausgesetzt waren, in denen Sie sich fragen: Rufe ich die Polizei? Oder kläre ich das selbst? Man wandelt auf einem schmalen Grat, wenn man sich hier entscheiden muss. Schauen Sie sich die Buch-Bestseller-Listen der größten Länder an. In den Top 5 finden Sie immer Krimis. Verbrechen hat schon immer fasziniert, die Dichter der Antike haben darüber ihre Stücke geschrieben. Über Mütter, die ihre eigenen Babys töten.
Sie sind im Nordirland der 1950er-Jahre aufgewachsen, haben die Kämpfe zwischen Katholiken und Protestanten miterlebt. Denken Sie manchmal an diese Zeit, wenn sie bestimmte Rollen spielen?
Neeson: Seit ich 16 bin, habe ich gewusst, was Gewalt bedeutet. Ich habe Gewalt gesehen, ich habe Gewalt gehört. Ich kannte Menschen, die gestorben sind. Menschen, die mit Gewehren geschossen hatten. Und das Ergebnis davon. Kids, mit denen ich im Jugendalter als Boxer trainiert hatte, die nun nicht mehr unter uns weilen. Diese Menschen hatten nie Gerechtigkeit erfahren, sie griffen zur Waffe um selbst dafür zu sorgen. Keiner in unserer Gemeinschaft wurde von der Polizei unterstützt. Der Zusammenbruch der Gesellschaft, wenn man selbst zu militärischen Mitteln greift … das ist sehr furchterregend. Bei Rollen, in denen es um Verbrechen geht, kommt mir diese Vergangenheit wieder in den Sinn.
Haben diese Kindheitserfahrungen auch ihre Rollenwahl beeinflusst?
Neeson: In all den Jahren wurden sehr viele Drehbücher über den Nordirland-Konflikt geschrieben, die wurden mir auch angeboten. Diese Rollen habe ich immer vermieden. Meistens waren das Thriller. Ich bin zu sehr Teil der Gesellschaft gewesen, um das anzunehmen. Gegen das Thriller-Genre an sich habe ich natürlich nichts.
Wirken düstere, gewalttätige Filme wie „Ruhet in Frieden“ eher kathartisch – um Gewaltfantasien freien Lauf zu lassen, aber eben nur in Gedanken?
Neeson: Sicher. Im Kino geht das: Der Held oder Antiheld lässt den Dämonen, die Sie als Zuschauer plagen, freien Lauf. Sie gehen ins Kino, sind noch verärgert über einen Typen, der Ihnen ein paar Minuten zuvor im Verkehr die Vorfahrt genommen hatte, sie würden ihn am liebsten bestrafen … das ist die Schönheit des Kinos, hier geht alles. Man darf sich als Schauspieler aber nicht zu sehr in seinen Rollen verlieren. Bis zu einem bestimmten Punkt ist Schauspielerei Kunst. Danach nur noch Psychodrama.