Rückblick: So war das Maifeld Derby 2012. Einmal alles, bitte!
Gute Konzerte, wilde und goldene Hirsche, Sonnenbrand, Platzregen, Sturmböen, Futtern wie bei Muttern, Fahrradtouren, geflutete Zelte, gutes Bier und für drei Minuten einen Hauch von Katholikentagstimmung - der Auftakt der Festivalsaison beim Maifeld Derby 2012 in Mannheim hatte einmal alles zu bieten. Daniel Koch war vor Ort.
Man mag nicht so recht glauben, dass sich auf dem riesigen Maimarkt so ein kleinfeines Festival wie das Maifeld Derby versteckt. Von den 210.000 Quadratmetern, auf denen im April die angeblich „größte regionale Verbraucherausstellung Deutschlands“ stattfindet, wird nämlich nur eine kleine Fläche am Rande der örtlichen Pferderennbahn bespielt. Bis man die gefunden hat, fährt man eine Weile an halb abgebaute Festzelten vorbei, die geradezu gespenstisch anmuten durch ihre fehlenden Seitenwände und die noch nicht abmontierten Notausgang-Schilder, die nun überflüssig im Wind wehen. Die Tristesse währt aber nur kurz – ungefähr bis man das Maifeld Derby erreicht hat. Denn auch wenn das Festival noch im Babyalter steckt, macht man schon im zweiten Jahr vieles richtig, um sich als Besucher willkommen zu fühlen. Das liegt vor allem daran, dass die Macher die Stadt Mannheim an Bord geholt haben. Die Popakademie macht mit, die Familienfleischerei aus der Gegend sorgt für die Verpflegung, das Bier kommt aus einer regionalen Brauerei, das örtliche Kurzfilmfestival „Zum Goldenen Hirsch“ liefert einen Teil des Programms, das lokalee Getränk „Wilder Hirsch“ ersetzt die Jägermeister-Theken und im Programmheft wünscht der Oberbürgermeister der Stadt etwas hüftsteif „zwei mitreißende und inspirierende Kulturtage“. Wenn man sich die Hauptbühne im „Palastzelt“ und das Zelt selbst so anschaut, scheint man aus der Stadt auch finanziell ein wenig Unterstützung beigesteuert zu haben. Und das, obwohl der Stadtkern am selben Wochenende vom sicherlich Prestige-trächtigeren Katholikentag beherrscht wird. Schöne Sache das…
Das Wochenende auf dem Maifeld hatte in Sachen Line-up und Wetter viele Überraschungen zu bieten. Und über das Wetter muss man einmal kurz reden – vor allem, wenn es sich beim Derby um eines der ersten Festivals der Saison handelt und sich die ganzen mal geschätzten mal verfluchten Randerscheinungen wie Zelten, Freiluftsaufen, pardon -trinken und Openair-Konzerte noch ein wenig neu anfühlen. Und Zelten musste man, da der „Katholikkentach“, wie man auf dem Gelände so sagte, die Hotelpreise derbe in die Höhe getrieben hatte. Wobei das Schlafen im Hotel ja eigentlich eh nur klargeht, wenn man auf dem Festival wirklich und ehrlich arbeitet. Wer als Musikjournalist über ein Openair berichten will, der muss auch das Treiben auf dem Campingplatz mitnehmen – und eben auch mal morgendliche Beischlafgeräusche aus dem Nebenzelt ertragen, selbst wenn die einen an ein Zitat aus dem Film „Fight Club“ denken lassen, das da heißt: „Das ist keine Liebe, das ist Sportf…..“. Aber wir waren beim Wetter: Das zeigte sich zum Auftakt am Freitag erst bewölkt, sorgte ab Samstagmorgen dann für Sonnenbrand, kippte am Samstagnachmittag in ein furioses Donnerwetter samt Platzregen und röstete einen mit 28 Grad und Sonnenschein auf der langen Heimfahrt nach Berlin. Da dachte man schon manchmal: „Danke Petrus, du mich auch!“
Musikalisch stellt sich das Maifeld in die Tradition eines Festivals wie z. B. dem Immergut in Neustrelitz oder dem Appletree Garden in Diepholz – liefert also eine gute Mischung zwischen Indie und tanzbar. Bespielt werden dabei vier Locations: Das Palastzelt (ein recht großes, geschlossenes Zirkuszelt), eine (vielleicht gar zu) kleine Open Air Bühne, das Bierzelt-mit-Bühne namens Play Me Room und den sogenannten Parcours d’amour, eine Minibühne, die am Fuße der Pferderennbahn-Tribühne platziert ist und einige sehr kuschelige Akustikkonzerte zu bieten hatte.
Gemächlich ging es los am Freitag, wobei nicht unbedingt die Musik gemeint ist, denn Vimes aus Köln brachten mit ihrem Electronica-Indie schon die ersten Füße vor der Openair-Bühne zum Wippen. Leider waren nur gut zwei Dutzend-Fußpaare zum Wippen da, was wohl daran lag, dass nicht jeder Besucher den Brückentag nehmen konnte. Schon bei Sussane Sundfor wurde es dann voller – und bei ihrer Show im Palastzelt zeigte sich schon der große Vorteil dieser Location: Der Himmel mag noch so grau und bleiern sein – was er da noch war – im Zelt kann man die Lightshow auf die Stufe „Dänische Winternacht“ runterdimmen und die Bühne mit neongrün illuminierten Bindfäden behängen, die nicht nur das Artwork ihres bald kommenden Zweitlings „The Silicone Veil“ zitiert, sondern ihre düsterschönen Kompositionen und ihren dramatisch-hohen Gesang perfekt ins Szene setzt. Schade, dass das Gewitter nicht in ihren Song „Can You Feel The Thunder“ platzte.
Erste Zuschauerbewegungen im Rudel sah man zuvor bei den jungen, norddeutschen Wilden von Vierkanttretlager und danach bei Erland And The Carnival, die sehr zum Ärger von Olli Schulz ein wenig überzogen. Der stand nämlich pünktlich, nur mit Gitarre und Mundwerk bewaffnet, auf der Palastzeltbühne – was natürlich für gutes Entertainment reicht, allerdings lautstarkentechnisch ein ungünstiges Duell war. Die Konsequenz: Olli Schulz sagte „Männö!“, stampfte mit dem Fuß wie der dicke, kleine Junge, der kein Eis von Papa kriegt – und kam nach zehn Minuten wieder. Wo er sich dann gleich entschuldigte und klarstellte, dass er gar keine Diva sei. Was folgte, war die typische Schulz-Show, in der er sich als Kreuzung aus Stand-up-Comedian und Songwriter alter Schule präsentierte. Unterhaltsam war das allemal, vor allem bei Songs wie „Bettmensch“ oder „Spielerfrau“ – nur könnte sich Schulz gerne auch mehr auf seine ernsthaften Songs konzentrieren und nicht nur den Klamauker raushängen zu lassen. Warum nicht mal das wirklich melancholische „Koks und Nutten“ vom neuen Album spielen? Oder mal wieder den Sommer- und Jugend-Abschieds-Hit „Unten mit dem King“? Das holt zwar nicht ganz soviel Beifall ab, wie die eingestreuten Cover-Medleys oder die Schenkelklopfer-Songs, stünde ihm aber gut zu Gesicht. Nachdem Balthazar augenscheinlich gut betankt ihr Set dem Hit abschließenden „Blood Like Wine“ entgegenspielten, zeigten Friska Viljor nochmal, warum sie so gerne auf Headliner-Slots bei Festivals dieser Größenordnung gebucht werden: Sie sind einfach eine umwerfende Live-Band und auch wenn ihr nordisch-verschunkelter Folk auf Langstrecke ein wenig gleichförmig klingt, Daniel Johansson und Joakim Sveningsson sind einfach Rampensäue par excellence, die in den Unterrichtsstunden „Mitklatsch-Bespaßung“ und „Stagediving“ sicher ganz vorne saßen – by the way: Lernt man das auch an Popakademie?
Leider zu spät entdeckt am Freitag: Die wundervolle Bühne namens Parcour D’amour, die zwar auf Fotos stets ein wenig seltsam aussieht, weil sie eigentlich nur aus einem Teppich vor einer Leinwand vor einer Pferderennbahn besteht (plus ca. 400 aufgehängte Stoff-Herzen), die aber wahnsinnig gut funktioniert. Man kuschelt sich dort so in die Hartplastikschalensitze und nickt melancholisch mit dem Kopf, während das schottische Songwriter-Duo Martin & James vom Leid und der Liebe und dem Leiden der Liebe singt. Wer nachts noch gepflegten Krach hören und einen Bassisten, der während des Konzerts ein Bier holen geht, erleben wollte, der fand sich im kleinen Play Me Room-Zelt ein, was eigentlich nur ein Bierzelt mit Bühnenequipment war – da spielten die Royal Baths aus San Francisco, die klingen als hätten die Black Keys mit, sagen wir, Portugal. The Man in einer verranzten Garage Pilze geschmissen und Päppchen gefressen. Angekündigt wurden sie als „Pitchfork Band“, was einfach heißt, dass sie mit ihrem Garage-Psychedelic-Bastard auf besagter Website Topnoten eingefahren haben.
Eines der schönsten Konzerte gab es dann am Samstagmorgen, oder vielmehr zum High Noon um 12, kurz vor dem Schnitzelessen, das man für die Besucher ausrichtete. Tim Neuhaus eröffnete den Tag auf dem Parcours D’amour als „Belohnung“ für alle, die an der „Greener Maifeld“-Radtour teilgenommen hatten – eine nette PR-Aktion, um den grünen Ansatz zu bewerben. Wer mitfuhr oder am Vortag einen Fragebogen zum Thema Festivalnachhaltigkeit ausfüllte, durfte rein. Neuhaus, dessen Debüt „The Cabinet“ auch bei uns gut wegkam, überraschte mit einem außergewöhnlichen Setting, das neben Mundharmonika, Sampler, Gitarre und Fußorgel auch eine Art Drumkit enthielt, das aus einem alten Koffer und diversen Buchhüllen gebastelt war und mit Sticks bespielt wurde, die aussahen wie aufgepimpte Grillzangen. Gerade dieses Instrument überrascht nicht unbedingt, wenn man weiß, dass Neuhaus schon Tourdrummer bei Clueso war und Teil der Blue Man Group ist, wo er ebenfalls für Drums und Percussions zuständig ist. Man war fast sprachlos, wie sich Neuhaus so seine Songs zusammenbastelte und dabei mit jeder Hand und jedem Fuß ein anderes Instrument zu bedienen schien. Viele neue Songs gab es zu hören und natürlich das verwunschene „As Life Found You“, so was wie der stille Hit seines Debüts. Und Neuhaus traute sich was, oder vielmehr er wagte etwas, in dem er zwei außergewöhnliche Cover spielte. Eine Version von „Little Drummer Boy“, in die er logischerweise seine Percussions-Künste einbrachte und eine bedächtige Interpretation von „Was keiner wagt“ – im Original von Reinhard Mey. Als man ihm kurz nach dem Gig zu einem kurzen Plausch traf, fragte Neuhaus fast besorgt, ob das mit dem Mey-Song „grenzwertig“ gewesen sei. Nö, in keiner Weise. Und fast bereute man es, dass man witzelte, er hätte einen Hauch von „Katolikkentach“-Spirit auf das Meyfeld, pardon Maifeld Derby gebracht.
Nach diesem so unerwarteten, weil lediglich als „Secret Gig“ angekündigten Auftakt zeigte sich, dass der Samstag im Vergleich das etwas stärkere Line-up hatte und anscheinend auch mehr Leute ins Maifeld zog. Me And My Drummer eröffneten die Bühne im Palastzelt und spielten mit Verve gegen die instrumentelle Limitierung an, die man als Duo nun mal so hat. Dear Reader spielten dann gleich zweimal – einmal auf der Hauptbühne und später noch einmal in etwas abgespeckter Version auf dem Parcours d’amour. Cherilyn MacNeil war dabei wie immer die charmierende Frontfrau, aber irgendwie plätschern die Songs des Zweitlings „Idealistic Animals“ oft an einem vorbei. Dann doch besser Tu Fawning, deren neues Album „A Monument“ zwar auch eher langsam und dramatisch durch die Tür kommt, die aber eine wundervolle Live-Darbietung brachten. Man konnte nur hypnotisch starren, wenn Corrina Repp ihre volle Stimme erklingen ließ, und dabei mit abgehackten, wuchtigen Schlägen ein Drumkit bearbeitete, während sich Joe Haege jeden einzelnen Gitarrenakkord aus dem Körper zu drehen schien. Ein Wow-Effekt, den John K. Samson gar nicht erst überbieten wollte – und auch nicht nötig hatte, da dafür schon das Wetter sorgte. Während draußen kurz die Welt unterging und das ein oder andere Zelt auf dem Campingplatz flutete, spielte er die leisen Hymnen auf die Heimat, die er auf seinem Album „Provincial“ versammelt hat, und vermischte sie mit einem tollen Jawbreaker-Cover „The Boat Dreams From The Hill“ und Weakerthans-Songs wie „Pamphleteer“. Als krönende Zugabe gab es dann „Anchorless“ – der Song, der am besten seinen Schritt von Propagandhi zu den Weakerthans dokumentiert, weil er auf dem letzten gemeinsamen Album der Politpunker mit ihm am Bass zu finden ist, und zugleich auf dem Debüt der Weakerthans.
Zur gleichen Zeit spielten draußen We Invented Paris gegen das Unwetter an – die so zum letzten Act auf der Außenbühne wurden (die Bühne musste danach geschlossen werden). Im Zelt stand derweil Aerobic auf dem Programm – We Have Band brachten die Meute zum Tanzen und überspielten mit ihrer forschen Performance, dass es ihren Dance-Pop-Song oft an der nötigen Tiefe fehlt. Dafür gab Dede Wegg-Prosser die perfekte Vortänzerin in Sachen Indie-Aerobic. Da wurde auf der Stelle gelaufen, die Turner-Arme in die Luft geworfen, die Knie hochgerissen – das volle Programm. Dann doch lieber das Folk-Kommando von The Miserable Rich am Parcour d’amour, die gar nicht mehr von der Bühne wollten – bzw. konnten, weil das Publikum mit Standing Ovations eine Zugabe nach der anderen forderten. Die Konsequenz: Man stieg einfach auf die Publikumstribüne, ließ sich ein Bier reichen und spielte die letzten Songs unverstärkt.
Im Palastzelt teilten sich die Blood Red Shoes und Frittenbude anschließend die Headliner-Pflichten, was jede Band auf ihre Weise erfüllte. Laura-Mary Carter und Steven Ansell spielten druckvoll wie immer, sahen dabei beide zum Verlieben aus (je nachdem, wie man so gepolt ist) und hatten die Meute schon mit dem Opener „It’s Getting Boring By The Sea“ im Sack. Einziges Manko war der übereifrige Lichtmann, der die Publikumscheinwerfer zu oft aufriss und damit eher die Zuschauer blendete, als das Set der beiden atmosphärisch zu verstärken. Frittenbude sorgten dann für die politisch aufgepimpte Teeniedisko, mit der sie ja amtliche Erfolge feiern. „Wir sind jung und abgefuckt, abgefuckt im Takt“ – auf diese Zeilen konnten vor allem die jüngsten Zuschauer, die die Partysongs wie „Steven Seagull“ ebenso frenetisch abfeiern, wie das deutschlandkritische, oder sagen wir lieber antideutsche, „Deutschland 500“, bei dem das Trio die Stinkefinger der Crowd forderte. „Hallo Deutschland, du fühlst dich immer noch so deutsch an! Deine Bären, deine Kühe, deine Leiche, deine Lügen, deine Grenzen deine Straßen, deine Phrasen, deine Nazis! Hier wo sie hingehörn‘, hier wo sie niemand stört, hier wo sie gut aussehen, weil sie dir super stehn‘! Hier wo sie hingehörn‘ , hier wo sie niemand stört, hier wo sie gut aussehen, weil sie dir super stehn'“, heißt es da und man fragt sich, ob die Kiddies, die das ganze Wochenende neben einem zelteten und eigentlich nur zu Frittenbude aufs Gelände gingen, die Tragweite dieser Zeilen tatsächlich fassen oder die Haltung der Band teilen. So ging man also über Fragen dieser Art diskutierend ins Zelt, wo man schließlich nachts um vier noch einmal von einem kurzen Sturm und dann um acht von einem vögelnden Pärchen geweckt wurde. Festivals eben – die sind so.
Am Ende kann man mit Fug und Recht behaupten, dass das Mailfeld ein vorzüglicher Auftakt der Festivalsaison war – und man kann schon im zweiten Jahr erkennen, dass dieses Festival noch eine Menge Luft nach oben hat. Das Gelände kann man hier und da noch ein wenig schöner aufputzen, und wenn man mit dem Line-up wieder so eine gute Mische findet wie in diesem Jahr, ist es nicht unwahrscheinlich, dass im nächsten Jahr noch ein paar hundert Menschen mehr den Weg durch die Weiten des Maimarktgeländes hin zum schmucken Derby finden.