Rückblick 2024: Robert Smith, der Gruftwächter

Wie Cure-Boss Robert Smith mit „Songs of a Lost World“ die literarische Gothic-Kultur pflegt und mit Klischees aufräumt

Die Lieder von Robert Smith eignen sich für klischeehafte Gothic-Mutproben. Nächtliche Gänge über den Friedhof, Rotweintrinken vor Kerzen, die auf tropfwachsbehangene Flaschenhälse gestülpt sind und durch deren Flammen man rasch den Finger zieht. Gefahr und Lustschmerz.

Die im Eerie-Pop beheimateten Songs des heute 65-Jährigen waren und sind nicht von Horrorfilmen inspiriert

Aber die im Eerie-Pop beheimateten Songs des heute 65-Jährigen waren und sind nicht von Horrorfilmen inspiriert. Sondern von klassischer Literatur.

In Albert Camus’ Roman „Der Fremde“ (in „Killing An Arab“) und Mary Howitts Gedicht „Die Spinne und die Fliege“ (in „Lullaby“) etwa geht es um Leben und – mehr noch – Tod.

Lyrik der Dekadenz

Auf dem aktuellen Cure-Album „Songs Of A Lost World“, dem ersten nach 16 Jahren Wartezeit, erinnert Smith an den Dichter Ernest Dowson, der von 1867 bis 1900 lebte und mit seinem Ende-der-Welt-Poem „Dregs“ die Vorlage zur ersten Single, „Alone“, lieferte. Man muss Dowson noch nicht kennen. Entscheidend ist die Anregung, sich in dunkle Bibliothekengänge zu wagen. Und die alten Bände mit der Lyrik der Dekadenz von ihren Spinnweben zu befreien.

In dem neuen Song „I Can Never Say Goodbye“, in dem Smith den Tod seines Bruders verarbeitet und ihn als den Gewaltakt eines Dämons beschreibt, zitiert er aus Ray Bradburys Roman „Something Wicked This Way Comes“ (der Titel wiederum ein „Macbeth“-Zitat), den Cure-Fans nun wohl ebenfalls studieren werden.

Geht auch: Crooner-Swing von Bart Howard

Aber, bei aller Gravitas. In der Liebe kann Robert Smith auch sehr beschwingt sein. Für seine Ehefrau, Mary Poole, schrieb er einst „Lovesong“. Und zitiert darin den Crooner-Swing von Bart Howard: „Fly Me To The Moon“.

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