Rückblick 2024: Pop hat im US-Wahlkampf die Mehrheit übersehen

Musikerinnen und Musiker haben sich im US-Wahlkampf zum Sprachrohr der Unterprivilegierten gemacht. Das hat sich nicht ausgezahlt.

Ich bin nicht als prominente hier“, sagte Beyoncé, „und nicht als Politikerin, sondern als eine Mutter.“ Und man durfte sich zu Recht fragen, ob sie wirklich durchs Kinderkriegen allein ihren Platz auf dieser Bühne ergattert hätte, vor 30.000 Menschen auf der Kamala-Harris-Wahlkampf-Party in Houston/Texas. „Als eine Mutter“, wie Beyoncé weiter erklärte, „die sich zutiefst um die Welt sorgt, in der meine Kinder und alle unsere Kinder leben.“

Und wieder konnte man gar nicht anders, als an Beyoncé und Jay-Z in der Kinowerbung für DeBeers-Diamanten vor ein paar Jahren denken. Und sich fragen, ob ihre drei Kinder – Rumi, Blue Ivy und Sir – tatsächlich in derselben Welt aufwachsen wie die des Wahlvolks, das Queen Bey nun an den historischen Wert des Moments gemahnte, „da wir Zeuginnen der Kraft einer Frau sein können, die in der Macht steht“.

Im Nachhinein tut es richtiggehend weh, so klar ist zu sehen, was hier, knappe zwei Wochen vor der US Präsidentschaftswahl, schiefgeht. Von dem Moment an, wo Beyoncé und Kelly Rowland an jenem Tag die Arena betraten. „Wir stehen am Absprung zu einer unglaublichen Wende“, sagte Beyoncé, „at the brink of history.“ Wobei man ihre Formulierung „at the precipice“ und „at the brink“ genauso als „am Abgrund“ hätte übersetzen können „Everybody say Texas!“, rief Beyoncé.

Wahlkampf folgt nicht denselben Gesetzen wie ein Stadion-Gig

Texas antwortete zwei Wochen später mit 56 Prozent der Stimmen für Donald Trump versus 42 für Kamala Harris. Auch die Frauen von Texas wählen übrigens mehrheitlich die andere Version von historischem Moment.

Dabei war Beyoncés Rede noch ein Musterbeispiel an Fingerspitzengefühl im Vergleich zu der von Cardi B, die eine Woche drauf vom Rednerinnenpult die Massen wissen ließ: „Kamala ist sich bewusst, dass die Nahrungsmittelpreise und die Lebenshaltungskosten zu hoch sind. Verdammt, sie sind sogar für mich hoch!“ Donald Trump dagegen verteile bloß Steuererleichterungen an seine reichsten Milliardärsfreunde: „Ich krieg nicht einmal eine Steuererleichterung!“

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich hätten sich im Falle eines umgekehrten Wahlausgangs in den Brandreden auf der Gegenseite noch weit peinlichere Ausritte finden lassen, aber der Punkt bleibt: Jene Stars, die sich für Kamala Harris ins Zeug legten – von Taylor Swift über Lady Gaga, Bruce Springsteen und Oprah bis Queen Bey –, verkörpern in ihrem Hauptberuf jeweils eine Repräsentationsrolle, die unterprivilegierten Gruppen – seien es Frauen, die LGBTQ-Community oder, in Springsteens Fall, ein weißes Proletariat – große Ermächtigungsgefühle vermittelt.

Fatale Falscheinschätzung

Aber guess what, wenn man seine Strategie auf die bloße Repräsentation beschränkt, dann nützt das in der Wahl Arithmetik vor allem der dominanten Mehrheit bzw. jenen, die dazugehören wollen. Denn von denen gibt es per Definition ja mehr als von den Minderheiten, inklusive deren Verbündeten („allies“, wie man sie anmaßend nennt, so als wäre der Glaube an soziale Gerechtigkeit eine Art wohltätiger Leistung).

Da können Prominente historische Momente heraufbeschwören, soviel sie wollen – ohne ein mutiges, glaubhaftes Angebot einer besseren Welt, begleitet vom Eingeständnis, dass in der bestehenden eben nicht eine jede und ein jeder den Status ihrer „role models“ erreichen kann, gewinnen bei der Repräsentationspolitik immer nur die Verteidiger des Status quo. Das sollten „progressive“ Parteien eigentlich schon begriffen haben.

Spätestens jetzt, wo wir am Abgrund der Geschichte stehen.

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