Rückblick 2024: Was bleibt von der Hamburger Schule?
Bernd Begemann kam in der NDR-Doku über die Hamburger Schule nicht vor. Aber in der Diskussion danach.
Ende Mai erschien die NDR-Dokumentation „Hamburger Schule – Über den Kiez in die Charts“ von Natascha Geier. Und wer dachte, das mit Blumfeld und dem Diskursrock sei doch ein alter Hut, der wurde eines Besseren belehrt.
Ausgerechnet bei Facebook entspann sich eine lebhafte Diskussion über die Doku, die Christian Ihle in seinem taz-Blog zu einem Drama montierte und Jan Böhmermann und Olli Schulz schließlich sogar als Hörspiel vertonten. Auslöser der ganzen Diskussion war ein Post von Bernd Begemann, mit seiner Band Die Antwort und solo, auf den Hamburger Bühnen und an den Hamburger Tresen einflussreicher teilnehmender und kritischer Beobachter der Szene.
In der Doku kam er nicht vor. Seinem Frust darüber und über historische Ungenauigkeiten und oberflächliche Darstellung machte er in einem Facebook-Post Luft, der sachlich viel Zustimmung fand, ihm aber auch wegen seines harschen Tons als weiterer Beleg für die in der Doku behauptete Misogynie innerhalb der Hamburger Schule Kritik einbrachte.
Er habe das alles nur widerwillig getan, sagt er, im Bademantel auf dem Sofa in seiner Hamburger Wohnung sitzend. „Und rückblickend finde ich auch, dass ich meine Argumente überhaupt nicht sortiert hatte, weil ich zu sehr Ästhet und Kulturmensch bin für solche Debatten. Also mein erster Post war nur so: ‚Oh, fühlt meinen Schmerz!‘, was so unglaublich doof von mir war. Ich habe meine besten Argumente gar nicht gebracht.“
Dann tu’s doch jetzt.
Viele Leute mögen Filme wie „Gladiator“, aber Historiker kriegen Magenschmerzen, wenn sie das gucken, weil, es wird über echte Kaiser geredet, deren Leben wirklich dokumentiert ist und die komplett andere Sachen gemacht haben, als dort dargestellt wird. Aber für uns, die wir uns nicht so auskennen mit römischer Geschichte, ist „Gladiator“ ein unterhaltsamer und spannender Film. Und Natascha Geier hat definitiv ein Händchen für so, na ja, ein spritziges Ego-Doku-Drama. Wenn sie ihren Film „Meine feuchtfröhlichen Nächte in den Neunzigern“ genannt hätte – okay. Aber der Film heißt „Die Hamburger Schule“, und sie redet vor allen Dingen mit Leuten, die nicht in der Stadt gewohnt haben oder die dazugekommen sind, als es schon vorbei war. Die eigentliche Geschichte der Hamburger Schule wird nicht erzählt. Dass es ein offenes Experimentierfeld war für vier bis sechs wundervolle Jahre, bis die Goldenen Zitronen kamen und ideologisch aussortierten. Die Hamburger Schule wurde in der Doku auch als eine reine Männerrunde kritisiert. Eine absurde Geschichtsfälschung. Die Regisseurin leugnet die Beteiligung vieler Frauen, die Teil der Szene waren, die performt haben, die Lieder geschrieben haben, die veröffentlicht haben, mit denen ich getrunken und geredet habe. Sie verschweigt Sandra Zettpunkt, Ebba Durstewitz, Elena Lange, Julia Lubcke … Das waren alles Frauen, die Bands gegründet haben, die Songs geschrieben haben. Die verschweigt sie und sagt: „Oh, da waren keine Frauen in der Hamburger Szene.“ Ja – weil du sie gerade gelöscht hast.
Was bleibt von der Hamburger Schule?
Was wir gemacht haben in dieser Stadt, das war so eine Art Roots-Musik für das, was man heute deutsche Popmusik nennt. Worte, Themen, auch eine Art Haltung, die du in heutiger Popmusik in 20-fach gebrochener und abgeschwächter Form wieder raushörst – fuck, das haben wir erfunden! Und ich weiß es, weil ich dabei war und weil ich die Veränderung
gesehen habe von Tag zu Tag, von der Nacht in Heinz Kramers Tanzcafé, wo Leute vier, fünf Stunden diskutiert haben, und am nächsten Tag haben sie im Studio Dinge aufgenommen, die sie sich ohne den Abend zuvor nicht getraut hätten. Erst als es schon fast vorbei war, hieß das plötzlich „Hamburger Schule“. Vorher hieß das einfach nur: „Oh, wow, lass uns heute Abend ausgehen und Musik hören, die wir noch nie vorher gehört haben, und lass uns eine Demo-Kassette hören von einem Typen, der gerade aus dem Schwarzwald gekommen ist und hier mitmachen möchte in unserer tollen Stadt!“
Konnte das nur in Hamburg passieren?
Ja, wir in Hamburg haben einfach den besten Geschmack. Wenn du im Sommer in Hamburg an der Ampel stehst, neben dir ein Cabrio mit runtergelassenem Verdeck, hörst du Beach Boys, aber nicht „Surfn’ USA“, sondern irgendwas vom „Holland“-Album. Das heißt, irgendein Typ hat echt Ahnung und hat wirklich supersmart ausgewählt für seine Playlist. In jeder anderen Stadt hätte so ein CabrioTyp Scooter gehört. Nichts gegen einen Scooter. Alle haben ein Recht zu machen, was sie machen. Aber ich und du, wir Musik-Snobs, haben wir denn nicht auch das Recht, uns für etwas Besseres zu halten?