Rückblick 2024: Clemens Meyer und die Buchpreis-Wut

Clemens Meyer bekam den deutschen Buchpreis nicht, regte sich auf und sprach über seine Schulden.

In den vergangenen Jahrzehnten ist das Interesse an Hungerkünstler:innen sehr zurückgegangen. Wir denken nicht mehr daran, dass beim Schreiben eines Romans oder eines Liedes, bei einem Casting oder der Entscheidung für ein Filmprojekt Existenzen auf dem Spiel stehen. Im Spiegel von Instagram sieht die Kunst so glamourös aus, und jeder ist erfolgreich.

Martina Hefter aber erzählt in ihrem Roman „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ mit leichter Hand, berührend, melancholisch und komisch vom prekären Leben als Autorin, die zugleich ihren MS-kranken Mann pflegen muss. Sie bekam dafür verdientermaßen, wie (fast) alle fanden, den Deutschen Buchpreis.

Der ebenfalls nominierte Clemens Meyer sah das allerdings anders. Eine „Schande für die Literatur“ sei es, dass nicht sein Roman „Die Projektoren“ ausgezeichnet wurde. Sieben Jahre hatte er an diesem über tausendseitigen wilden und stürmischen Epos gearbeitet, in dessen Auge ein Mann steht, der als Junge beim deutschen Großangriff auf Belgrad 1941 seine Mutter sterben sah, sich den Partisanen anschloss, auf eine Sträflingsinsel verbannt wurde und sich nach Kriegsende als Filmkomparse unter anderem in Karl-May-Verfilmungen durchschlug.

Sympathische Offenheit oder narzisstisches Getöse?

Als diese meisterliche Erkundung menschlicher Abgründe, die zugleich eine Geschichte der Gewalt des 20. Jahrhunderts andeutet, beim Buchpreis leer ausging, verließ Meyer wutschnaubend die Verleihungszeremonie. Nie wieder wolle er so was erleben, erklärte er später im Interview mit dem „Spiegel“ und sprach offen über seine Nöte: Er müsse derzeit eine Scheidung finanzieren und habe 35.000 Euro Steuerschulden angehäuft – „wenn ich jetzt auf Platz eins der Bestsellerliste wäre, dann hätte ich 100.000 neue Leser und könnte meine Schulden bezahlen. Ich wäre meine finanziellen Sorgen für eine Weile los.“

Irgendwie war das in seiner Offenheit sympathisch. Aber zugleich sehr unkollegial, hatte er mit dieser Aktion der ebenfalls gegen die eigenen Nöte anschreibenden Hefter doch die verdiente Aufmerksamkeit genommen und auf sich gelenkt. Auch das war natürlich eine Form von Gewalt.

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